Fabelhafte Welt: Die Revierinbesitznahme
Über das Auswildern von Säugetieren und die Probleme, die eine zu gute Lösung bringen kann
Mein geliebter Dottore Amore verlebte fast vier Dekaden in Altbauwohnungen. Zeit an der frischen Luft zu verbringen bedeutete für ihn, auf dem Balkon zu sitzen oder einen Schanigarten aufzusuchen. Seine Beschäftigung mit Flora und Fauna bestand darin, Anti-Motten-Papier zwischen Pullover zu legen und aus Angst vor Schimmel regelmäßig den Kühlschrankinhalt zu entsorgen. Und dann verliebte er sich ausgerechnet in mich.
Ich schleppte ihn auf Berge, obwohl er Höhenangst hat. Segelte mit ihm durch Stürme, obwohl ihm eh schon schlecht war. Suderte ihn so lange an, dass ich zurück nach Niederösterreich ziehen will, bis wir als Kompromiss in ein altes Haus am Stadtrand übersiedelten. Hohe Bäume, verwachsene Sträucher, Dachse, Frösche und allerlei Wildnis fand sich vor unserer Haustür. Ich war sehr glücklich. Mein Mann fühlte sich ins Dschungelcamp versetzt: Herausforderungen, Mutproben und Dinge, die er nicht essen will, aber soll. Er erinnerte mich an ausgewilderte Zootiere, die sich mit der neuen Freiheit schwer tun, weil sie ihr bisheriges Leben im Käfig eigentlich wundervoll fanden. Ich recherchierte, wie man Tiere an neue Umgebungen gewöhnt und las, dass man Säugetiere am besten durch positive Reize an ein neues Revier bindet, wie Essen und Spiel. Also besorgte ich meinem Mann einen Grill.
Man glaubt es kaum: Der Stadtbub entpuppte sich zur Überraschung aller als Natural Born Grillmaster – er grillt nicht nur gern, er grillt sogar großartig. Mein einziger Wermutstropfen: Er braucht dafür Platz. Sträucher und Bäume sollen einem Grillplatz mit Ablagetisch weichen, einen Weg durch mein Beet will er anlegen, um die Asche zu transportieren. Meine Wildnis schwindet. Er unterwirft sich sein Revier. Und was antwortet er mir auf meine Klagen darüber? „Du wolltest doch immer, dass ich mich wohlfühle. Oder?“
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