Leuchtfeuer voller Liebe und Narzissmus
Briefe für emotional Ertrinkende
Wie geht’s denn dem Dude!“, empörte sich das Kind, das ich dazu vergattert hatte, für eine Lesung, berühmte Liebesbriefe während der Extremsituation eines Krieges abzutippen. Dude war im von Anglizismen verpeilten Wortzoo des Fortpflanzes der Begriff für Kerl.
Dieser Dude war der 23-jährige Jean-Paul Sartre, der ungeachtet seiner nicht gerade einen vom Hocker fetzenden Optik der geistig ebenso wendigen und bildschönen Simone de Beauvoir, 21, (das Kind meint, letzteres Adjektiv kann ich mir schenken, weil voll sexistisch) erklärte, dass er bei ihr Exklusivität des Herzens einfordere, aber er, bitteschön vielmals seinen Sexualtrieb wann immer und mit wem immer ausleben können müsse. Anderwertig könne er sein Genie nicht zur vollen Entfaltung bringen. „Was für eine narzisstische Anmaßung“, übte sich das Kind in Küchenpsychologie, „aber die Zeit ist gerecht: Der ist totally random und sie ist bis heute an icon und hatte auch mehr encounters, sexually.“
Als Akt der Solidarität tippte sie mit einem simonesken Turban weiter und sinniert über die Liebesintensität, die sich in all den Briefen mit wachsender Entfernung und Funkstille steigerte. „Während wir die Krise kriegen, wenn ein Dude nach einer halben Stunde noch nicht zurücktextet“, sinnierte das Kind, „mussten diese Leute oft Wochen auf eine Antwort warten.“ Und dann haben sie sich wie Ertrinkende an Treibholz an diese Briefe geklammert. Logisch, dass „das die Attraction steigerte“, wie man beim Dichter Paul Éluard nachlesen konnte, der seiner Frau Gala 1930 schrieb: „Wir werden uns auf der Straße masturbieren und in den Kinos, am offenen Fenster.“ Die erotischen Sehnsuchtstiraden kamen zu spät! Gala war längst zu Dalí durchgebrannt, der sie einfach nur „mein Leuchtfeuer“ nannte und kochen ließ. Ihr haben wir den Begriff Gala-Dinner zu verdanken. Zu viel Abstand kann eben auch seine Tücken haben. Heute würde man dafür die trübe Floskel „Sie haben sich auseinandergelebt“ zum Einsatz bringen.
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