Sowas von offen!

Es ist wunderschön, dass jemand da ist, wenn man nicht nach Hause kommt.

K hatte einen Neujahrsvorsatz. Und zwar nicht sowas Langweiliges wie kein Alkohol, Low-Carbs und regelmäßiger Besuch einer Rückenschule. Nein, sie wollte ihr Liebeskonzept aus „der Einzelhaft der Monogamie“ befreien und ihrer Beziehung mit ihrem ohnehin grundgütigen Gatten mit dem Attribut „offen“ erweitern. „Das ist der heißeste gesellschaftspolitische Schrei“, sagte sie, „es ist wirklich sowas von vorgestern, auf diese Treuekiste zu bestehen. Jeder drittklassige Hollywood-Gaukler fährt schon das offene Beziehungs-Tralala.“ Ich setzte den zarten Einwand, dass dieser Zugang nicht mehr taufrisch war, schon Udo Jürgens skandierte in den 1960ern die Parole „Wer zwei Mal mit demselben pennt, gehört schon zum Establishment.“ – „Aber, Darling, ich reloade das Konzept, wie du ja weißt, bin ich Turbokapitalistin und keine Hippie-Braut, die flache Schuhe trägt und vegane Pastries zaubert. Mein Grundgütiger, der ist mein Hafen, meine Tankstelle, meine Endorphinquelle. Mit ihm plaudere ich über Basquiat, den Freiheitsbegriff bei Kant, wo wir den besten Wildwasser-Branzino kriegen und wie der Müll zu trennen ist. Und die kleinen Abenteuer, die mir Tinder so auf das Display spült, genieße ich einfach nur – ohne wenn und aber.

So hab ich zwei Fliegen auf einen Schlag: emotionale Sicherheit, aber auch dieses Prickeln im Süden meines Körpers.“ – „Klar. Klingt paradiesisch. Gemäß dem Motto: Es ist wunderschön, dass jemand da ist, wenn man nicht nach Hause kommt. Man darf sich nur nicht verlieben.  Weiß der Grundgütige schon von seinem neuen Leben?“ – „So schnell schießen die Preußen nicht. Ich sondiere erst einmal meine Angebotslage in der sexuellen Marktwirtschaft. Außerdem: Wenn er zu enthusiastisch reagiert, überlege ich mir die Sache vielleicht doch noch einmal.“ – „Klingt nicht rasend fair.“ – „Nachdem wir in Sachen Gleichberechtigung zwei Millionen Jahre das Nachsehen hatten, fair enough.“ Grundgütiger!
 

Polly Adler

Über Polly Adler

Polly Adler steht als Chaos-de-luxe-Kolumnistin auf dem satirischen Beobachtungsposten von Alltags-Irrsinn, Beziehungs-Herausforderungen und Brutpflege. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die Wiener Journalistin Angelika Hager. Aus Polly Adlers verrückter Welt entstanden inzwischen acht Bücher, eine TV-Serie und diverse Bühnen-Shows, aktuell „Knietief im Glamour”: die Polly-Adler-Show im Rabenhof. Jeden Sonntag um 11 Uhr.

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