Willkommen im Vierer!

Über die Wärme der Wehmut am Vorabend des Na-Sie-wissen-schon ...

Die Wärme der Wehmut durchflutete das Lieblingskaffeehaus in der Postgasse. Am Vorabend zum „Vierer“ wollten alle „Engländianer“ noch einmal wissen, wie es sich anfühlt, den Kellnern „Ein Achtel geht noch“ zuzuraunen. Menschen, die man lange nicht gesehen hatte, legten einen Boxenstopp an unserem Tisch ein, wir versicherten einander gegenseitig, dass das Wiedersehen, wer weiß wann, dann umso schöner sein werde und schworen uns, auch diesmal nicht in die Sauerteig-Offensive zu gehen. Und wenn, dann allerhöchstens still und heimlich, also ohne ein Feuerwerk an Instagram-Postings bezüglich häuslicher Tätigkeiten abzusondern. Zuvor hatten P, U und ich noch eine letzte „Nymphen in Not“-Vorstellung im Rabenhoftheater gerockt. Uns flossen fast die Tränen, als wir beim Verbeugen dem zum Klatschen aus den Sitzen hoch geschnellten Publikum dankten, dass es all die verordneten Prozeduren auf sich genommen hatte, um hier zu sein. Und als eine Dame uns beim Verlassen des Saals zuflüsterte: „Jetzt habe ich wieder ein Lachdepot für die nächsten drei Wochen angelegt“, flüchtete ich schnell in die Nasszelle, um einen unbeobachteten schnellen Heulgang einzulegen. Es waren auch Tränen der Wut gegenüber jenen Menschen, die im Kaninchenbau des abstrusen Irrsinns abhanden gekommen waren. Auf einschlägigen Facebook-Seiten warnten sie einander, dass die Stadt Wien unter den Kanalgittern („Sichere Quelle!!“) „Mitarbeiter versteckt hat, die uns in die Waden zu impfen versuchen!!! Hohe Stiefel anziehen!“ Ich beschloss meinen Zorn auf diese geballte Dummheit in Mitleid umzukanalisieren – aus purem Egoismus für die eigene Psychohygiene. Und dachte gleichzeitig, in welchem Luxus von Gesundheitssystem wir eigentlich leben – unkomplizierter und angenehmer können Impf- und Testsysteme definitiv nicht organisiert werden. Danke, Wien. Ich geh’ nicht nur wegen deiner Kaffeehäuser und deinem „g’fernsten Schmäh“ vor dir in die Knie!

Polly Adler

Über Polly Adler

Polly Adler steht als Chaos-de-luxe-Kolumnistin auf dem satirischen Beobachtungsposten von Alltags-Irrsinn, Beziehungs-Herausforderungen und Brutpflege. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die Wiener Journalistin Angelika Hager. Aus Polly Adlers verrückter Welt entstanden inzwischen acht Bücher, eine TV-Serie und diverse Bühnen-Shows, aktuell „Knietief im Glamour”: die Polly-Adler-Show im Rabenhof. Jeden Sonntag um 11 Uhr.

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