Von der Gentzgasse stadtauswärts Richtung Gersthof
Vorstadtspaziergang: Vom Währinger Gürtel über die Gentzgasse nach Gersthof.
Ich gehe durch die Gentzgasse stadtauswärts, das heißt, ich lerne die Vorstadt kennen.
Die anfangs noch schmale Gasse wird gesäumt von Biedermeier- und Gründerzeithäusern, dazwischen haben sich ein paar so schmucklose Wohnbauten aus den Sechzigerjahren geschoben, für die die Bezeichnung „funktional“ schon eine Auszeichnung ist. Brautmoden, Pelze und Mode für Übergrößen, ein Kolpinghaus.
Erst nach der Edelhofstraße, deren Verlängerung eine kleine Fußgängerzone ist, die zum nahen Kutschkermarkt führt, macht die Gasse auf und lässt ein bisschen vom Glanz ahnen, den das nahe Cottage-Viertel verbreitet. Sie wird breiter, kreuzt die vielbefahrene Martinstraße, links gibt es Blumen, rechts Perlen, und ich gehe an zahlreichen Häusern vorbei, die mit ein bisschen mehr Anstrich und Sorgfalt durchaus das Zeug zu bourgeoiser Pracht hätten. Tischler, Installateure und Küchenstudios beweisen, dass Handwerk auch heute noch goldenen Boden hat, und der Gemeindebau auf Nummer 79 fügt sich mit seinem Mansardgiebel erstaunlich selbstbewusst ins Bild der bürgerlichen Nachbarschaft.
Am Aumannplatz berührt die Gentzgasse fast die Währinger Straße. Ein kleiner, aber schöner Park fungiert als Verbindungsglied. Die Straßenbahnlinien 40 und 41 wechseln von der Währinger Straße auf die Gentzgasse, und ich folge jetzt den schnurrenden Straßenbahnen, bis ich vor einem Haus stehen bleibe, dessen Fassade mich sofort in ihren Bann zieht. Das Haus Nr. 119 ist im lupenreinen Secessionsstil errichtet, die Fassade versprüht gleichzeitig Zurückhaltung und strengen Gestaltungswillen. Vor allem der Eingangsbereich ist ungewöhnlich. Durch eine zu kleine Flügeltür schaue ich in einen dunklen Raum, der ungenutzt und öd aussieht. Hier war seit 1912 das „Währinger Filmtheater“ untergebracht, ein Stummfilmtheater für mehr als 300 Besucher, das nach der Einführung des Tonfilms vergrößert und in „Währinger Tonfilmtheater“ umbenannt wurde.
Die Geschichte des Kinos und seiner Eigentümer ist eine Geschichte, wie sie in Wien unzählige Male passierte. Die ursprünglichen Inhaber kooperierten mit den Nazis, weil sie, wie sie später zu Protokoll gaben, ohne Parteimitgliedschaft gar keine Möglichkeit gehabt hätten, ihr Kino zu betreiben. Nach Kriegsende galt das Tonfilmtheater folgerichtig als nazifizierter Betrieb und wurde von der amerikanischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und neuen Inhabern übergeben. Nachdem 1947 das neue Nationalsozialistengesetz in Kraft trat, bekamen die ursprünglichen Inhaber das Kino jedoch zurück und führten es bis 1958 weiter. In den Siebzigerjahren wurde es erneut umgebaut und bekam zusätzlich zu einem schreienden Foyer den neuen Namen „Camera“-Kino. Es schloss 1979, wurde temporär als Pornokino weitergeführt und schließlich von der Volksoper als Probebühne angemietet.
Seit die Volksoper den Raum aufgegeben hat, steht das ehemalige Kino leer. Nur ein aufgeklebtes Blatt Papier informiert die Besucher, die hier niemanden antreffen, dass sie dabei nicht rauchen dürfen: The End.
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