"ÜberLeben": My house no good
Fressen und Streiten.
Was machen Menschen, wenn sie Angst haben, eingesperrt sind und ihnen gleichzeitig fad ist? Sie beginnen zu essen und zu streiten.
Vor Jahren war ich in Kuba auf Urlaub. Ein tropischer Wirbelsturm traf die Insel, das Hotel wurde zugenagelt, das Licht fiel aus. Die Hotelgäste begannen sofort, die Buffets kahl zu fressen, und miteinander erbittert um die letzten Nudeln und Schokotorten zu kämpfen. Eine Gruppe junger russischer Touristen brüllte den Kellner an, weil es nicht mehr genug Wodka für alle gab. Er hatte Tränen in den Augen, denn er wusste nicht, ob seine Familie noch am Leben war – „my house no good“, sagte er.
Und während rundherum der Sturm tobte, ganze Orte vernichtet wurden und im Meer Leichen trieben, gab es auf der stabil gebauten Luxusinsel, die dieses Hotel darstellte, tatsächlich Menschen, die sich darüber beschwerten, dass sie nicht baden gehen durften. Ich habe mich selten so geschämt für das, was ich war: Ein privilegierter Gast.
Ein wenig so komme ich mir jetzt vor: Wir haben seit zwei Jahren Pandemie, und alle sind am Kochen und Essen und beklagen sich auf Facebook darüber, dass sie zu dick geworden sind. Auf Twitter schlagen sie sich gegenseitig die Schädel ein, wegen irgendwelchem politischen Blödsinn, den bereits am nächsten Tag alle vergessen haben. Niemand denkt daran, dass es uns immer noch sehr gut geht im Vergleich zu anderen Menschen auf der Welt.
Und in mir wächst die Sehnsucht, die Sehnsucht nach Dingen, die wunderbar unwichtig und daher leicht sind. Ich lese nicht Dostojewski, wie ich mir vorgenommen hatte, sondern alte Asterix-Hefte. Ich schaue im Fernsehen nur noch „Two And A Half Men“-Folgen, die ich längst auswendig kenne. Die Corona-Seiten in den Zeitungen überblättere ich, ebenso die Politik, ich lese lieber Curling-Ergebnisse.
Und hoffe darauf, dass irgendwann das Licht wieder angeht.
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