Guido Tartarotti

"ÜberLeben": Ich schaffe Fußball nicht mehr

Abschied von der Kindheit: Katar muss auf mich verzichten.

In den sozialen Medien finden sich jetzt zahlreiche Aufrufe, die Übertragungen der Fußball-WM in Katar zu boykottieren, um die Einschaltquoten so gering wie möglich zu halten. Das ist sicherlich ein nobler Gedanke, der aber nur Sinn ergibt, wenn man zu den wenigen Testhaushalten gehört. Einschaltquoten werden nämlich nicht gemessen, sondern hochgerechnet. Anders gesagt: Ob wir etwas einschalten oder nicht, ist für die Quote völlig unerheblich – es sei denn, wir sind mit Testgeräten ausgestattet, die das Fernsehverhalten registrieren. Nochmal anders gesagt: Wenn die Testhaushalte nicht einschalten, liegt die Quote bei null Prozent, selbst wenn Millionen andere zugesehen haben. Aus gutem Grund wird geheim gehalten, wer zu den Testhaushalten gehört.

Ich kann verraten: Ich bin kein Testhaushalt. Und ich werde diesmal eher nicht einschalten. Gar nicht so sehr wegen der Menschenrechtssituation in Katar, sondern weil ich es einfach nicht mehr schaffe, mich für Fußball zu interessieren. Und das macht mich zutiefst traurig, es ist ein sehr später Abschied von der Kindheit.

Als ich ein Kind war, habe ich mich wochenlang auf ein „Länderspiel“ gefreut. Bei der Übertragung habe ich dann einen Kassettenrekorder vor den Fernseher gestellt und den Ton aufgenommen. Wurde ein Spiel nur im Hörfunk übertragen, habe ich in meinem Kinderzimmer zugehört und versucht, das Match nachzuspielen. Stundenlang habe ich damals Hans Krankls Torjubel geübt, für den Fall, dass aus mir selbst einmal ein Teamstürmer werden sollte.

Warum ich das Interesse am Fußball verloren habe, weiß ich selbst nicht. Vielleicht liegt es daran, dass das Spiel so überraschungsarm und geometrisch geworden ist. Vielleicht hat mich meine Liebe zu American Football für den Fußball verdorben. Vielleicht jubelt auch niemand mehr so schön wie Hans Krankl. Ich weiß nur eins: Beim Fußball wird mir nach zehn Minuten fad.

Guido Tartarotti

Über Guido Tartarotti

Guido Tartarotti wurde, ohne vorher um Erlaubnis gefragt worden zu sein, am 23. Mai 1968 zur Mödlinger Welt gebracht. Seine Eltern sind Lehrer, und das prägte ihn: Im anerzogenen Wunsch, stets korrekt und dialektfrei zu sprechen, glaubte er bis in die Pubertät, Vösendorf heiße eigentlich Felsendorf. Das Gymnasium Perchtoldsdorf, wo es damals u. a. eine strenge Einbahnregelung für die Stiegenhäuser gab, verzichtete nach einigen Verhaltensoriginalitäten seinerseits nach der fünften Klasse auf seine weitere Mitarbeit. Also maturierte er in der AHS Mödling-Keimgasse. 1990 begann er in der KURIER-Chronikredaktion. 1994 wurde er Leiter der Medienredaktion, ein Jahr darauf auch der Kulturredaktion. Beide Positionen legte er 2004 zurück, um wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

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