Guido Tartarotti

"ÜberLeben": Ich habe Rücken

Wie lernt man, alt zu sein und Sport durch Haltungsturnen zu ersetzen?

Als ich ein Kind war, glaubte ich, einmal im Leben kommt ein Tag, an dem man erwacht und so wie mein Großvater ist. Man mag nicht mehr die Beatles, sondern Peter Alexander, man trägt nicht mehr Jeans, sondern Bauernbund-Anzug, man lacht nicht mehr, sondern betet, man findet junge Menschen zu laut. Man ersetzt Sport durch Haltungsturnen.

Ich habe oft drüber nachgedacht: Wie lernt man, alt zu sein?  Gibt es da einen eigenen Kurs, wo sie einem beibringen, Vorträge über Schuhpflege zu halten, die richtige Kirche anhand der Strenge des Pfarrers auszuwählen und jeden Tag auf die Mittagsglocken in Ö Regional zu warten, damit man weiß, wann man Hunger hat?

Ich bin jetzt 54 Jahre alt, in dem Alter war mein Großvater fast schon ein Greis, er fühlte sich wohl in der Rolle. Ich mag immer noch die Beatles, Jeans und junge Menschen und habe wenig Talent zum Beten.

Aber etwas ist anders: Ich habe Rücken. Ein lieber Freund sah mich kürzlich schief und krumm in der Gegend herumstehen und sagte: Ah, du hast Rücken.

Mir tut der Rücken weh. Beim Laufen, Klettern und Tennisspielen, aber auch beim Gehen, Stehen, Liegen, Schlafen. Also war ich erstmals im Leben bei einer Orthopädin, die betrachtete Röntgenbilder, bog meine Gliedmaßen nach links und rechts, sagte „Aha“ und „Soso“ und verordnete mir Haltungsturnen. Und plötzlich hörte ich in meinem inneren Ohr eine Stimme sanft „Brüderlein fein“ singen.

Aber noch fühle ich mich jung, denn ich habe immer noch ein originelles Unfallrisiko. Unlängst auf einer Party versuchte ein schon gut eingespritzter Freund, mit einem Fußball zu gaberln, traf dabei ein volles Weinglas, das vor mir auf dem Tisch stand, das Weinglas zerbrach, und Wein und Splitter ergossen sich über mein Gesicht.

Das wäre meinem Großvater nie passiert. Ich trocknete mein Bauernbund-Sakko und ging nach Hause. Langsam, wegen des Rückens.

Guido Tartarotti

Über Guido Tartarotti

Guido Tartarotti wurde, ohne vorher um Erlaubnis gefragt worden zu sein, am 23. Mai 1968 zur Mödlinger Welt gebracht. Seine Eltern sind Lehrer, und das prägte ihn: Im anerzogenen Wunsch, stets korrekt und dialektfrei zu sprechen, glaubte er bis in die Pubertät, Vösendorf heiße eigentlich Felsendorf. Das Gymnasium Perchtoldsdorf, wo es damals u. a. eine strenge Einbahnregelung für die Stiegenhäuser gab, verzichtete nach einigen Verhaltensoriginalitäten seinerseits nach der fünften Klasse auf seine weitere Mitarbeit. Also maturierte er in der AHS Mödling-Keimgasse. 1990 begann er in der KURIER-Chronikredaktion. 1994 wurde er Leiter der Medienredaktion, ein Jahr darauf auch der Kulturredaktion. Beide Positionen legte er 2004 zurück, um wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

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