Drei Eismarillenknödeln in der typischen Metallschale.

So entstehen Tichys legendäre Eismarillenknödel in Wien-Favoriten

Der Tichy in Wien-Favoriten ist berühmt für seine Eismarillenknödel und setzt auf Retro-Charme. Ein Blick hinter die Kulissen des Kult-Eissalons.

Hinter dem lila Polsterbezug, den Marmortischchen, dem Stuck und Glasbildern, auf denen Eisbecher prangen, verbirgt sich im Salon eine unscheinbare Tür. Geht sie auf, betritt man nicht einfach nur eine profane Eiswerkstatt.

Hier schlägt das süße Herz des Betriebs: Eine Maschine presst cremiges Oberseis in Kugelform, injiziert mit fast chirurgischer Präzision Marillenmark in ihr Innerstes – wie bei einem Krapfen. Die Kugeln nehmen an Umfang zu. Es zischt, es schnauft, dann kommen die Formen auf ein Tablett und landen zum Schockfrosten im Kühlraum bei minus 32 Grad.

Noch fehlt die knackige Kruste aus gerösteten Haselnüssen und der Staubzucker. Erst dann ist er perfekt und verzehrbereit: Der Eismarillenknödel. Tiefgekühlt, Paradeprodukt des Tichy – und Kult. 30.000 Stück fertigt der Betrieb hier pro Woche. Pro Saison gehen allein 50 Tonnen Haselnüsse weg.

Opa Tichy blieb auf den Eismarillenknödeln sitzen

„Dabei war der Eismarillenknödel am Anfang ein totaler Ladenhüter“, sagt Chefin Xenia Tichy.

Ihr Großvater, ein gelernter Konditor, erfand den Eismarillenknödel vor fast 60 Jahren. „Der ging ganz schlecht, weil alle dachten, das sei ein Fertigprodukt, das man auftauen muss.“ Doch die Kunden tauten auf, dann klopfte sogar die Industrie an, um den Knödel aufzukaufen, doch bei der Qualität der Zutaten schieden sich die Geister. „Da stehe ich mit meinem Namen dahinter“, monierte der Großvater.

 Er ließ seine Erfindung dann doch lieber patentieren. „Jetzt dürfen nur wir ihn Eismarillenknödel nennen“, sagt Xenia Tichy. Namen wie Marilleneisknödel oder Marillenknödeleis deuten auf Imitate hin.

Die Chefin vor einer Glaskachelwand, auf der Eissorten eingearbeitet sind. Dazu stehen Tische und Sesseln aus den 1950ern.

Chefin Xenia Tichy im Salon am Reumannplatz.

©kurier/Martina Berger

Das Original gibt es bei einigen ausgewählten Großkunden – und natürlich dort, wo es hingehört. An den Reumannplatz in Wien-Favoriten. Mindestens einmal im Leben sollte man im Eissalon Tichy gewesen sein – nicht nur wegen des Eismarillenknödels, aber schon auch. An einem guten Tag pilgern bis zu 10.000 Menschen hierher.

Trends kommen und gehen

Sorten wie blaues Schlumpfeis oder Dubaischokolade gibt es nicht. „Unsere Gäste fragen da gar nicht danach“, sagt die Chefin. Statt Einhornregenbogen setzen die Tichys auf bewährte Klassiker: Erdbeere, Vanille, Schokolade, Haselnuss – so solide wie die metallenen Eisschalen, die das Verkaufspersonal in rosa Schürzen zu den Tischen bringt. „Mein Vater sagt immer: Trends vergehen, Qualität bleibt – und genau so sehe ich das auch.“

36 Sorten stehen bei Tichy im Programm. Kein Firlefanz, dafür viel Handwerk – und jede Menge Rohstoffe. Fünf Tonnen Zutaten braucht es pro Produktionstag, sonst läuft hier gar nichts. Alleine 13 Tonnen Erdbeeren verwandeln sich hier pro Saison in Eis. Veganes Eis gibt es auch, denn: „Das ist kein Trend, sondern eine dauerhafte Entwicklung.“ Aber eigentlich waren viele Fruchteissorten ohnehin schon immer vegan.

Wer sich niedersetzt, bestellt kein Frozen Yoghurt mit Bio-Chia-Topping. Hier bestellt man einen Coup, so wie früher. „Diese Becher sind in vielen Gaststätten verschwunden, bei uns aber nach wie vor ein Highlight – und Teil unseres 70er-Jahre-Flairs“, sagt Tichy. „Der Bananensplit ist immer noch sehr beliebt.“ Ein anderer Verkaufsschlager ist Coup Praline: Ein Becher, voll mit Pralinen- und Trüffeleis, dazu bis zum Rand mit selbstgekochter, dicker Schokosauce aufgefüllt – ein Coup Dänemark in Wiener Festtagsrobe.

Alles ist hier frisch

Dekoriert wird per Hand, direkt an der hauseigenen Station hinter dem Verkaufspult. Darüber hängt ein türkisblaues Schild, das aussieht, als sei es mit dem Salon gemeinsam in den 1950ern stehen geblieben: „Beharrlichkeit führt zum Ziel“, steht darauf. Und man glaubt es sofort. In den Schalen lagert frisch geschnittenes Obst. Auch die Saucen – Himbeere, Karamell, Schoko, Vanille, Orange – werden hier noch selbst eingekocht. Keine Fertigware, keine langen Kühltransporte, keine Kompromisse.

Eine Kirschsauce wird mit einem Schöpfer in einen Becher gekippt.

Dort, wo die vielen bunten Coups zusammengestellt und mit unterschiedlichen Saucen überhäuft werden, mahnt ein Schild – wohl nicht unerfolgreich – seit Jahrzehnten zu Beharrlichkeit

©kurier/Martina Berger

Eine der neuesten Kreationen des Hauses: der Favoritner Sommer – sogar mit Emblem des Bezirks oben drauf. „Der Bezirk feierte im Vorjahr 150 Jahre, da wollten wir etwas beitragen. Favoriten ist bekannt für seine Schrebergärten – da wachsen viele Erdbeeren, Weichseln und Ribiseln. Diese drei Früchte bilden die Basis, dazu kommt ein Schokoeis, frische Minze, die auch überall wächst.“ Ein Coup wie der zehnte Bezirk selbst. Nicht nur zuckersüß, manchmal gibt‘s auch Saures.

Gerüchte um Wegzug vom Reumannplatz

In der Nachbarschaft des Tichy häuften sich zuletzt Schlagzeilen über Gewalt, Drogen und junge Männer mit Testosteronüberschuss, die ihre Macht demonstrieren wollten. Ein Medium titelte „Messerstecherei bei Tichy“. Das klang zwar knackig, nur richtig war das halt nicht. Das stieß den Tichys sauer auf. Zuletzt gab es gar Gerüchte, der Tichy würde umziehen. „Darüber kann ich eigentlich nur lachen“, sagt Tichy.

 „Einmal hieß es, wir verkaufen. Ein anderes Mal hieß es, wir haben unsere Rezepte verändert.“ Was die Gerüchte um den Abzug vom angestammten Ort befeuert haben könnte: Der Betrieb ließ die Fassadenbeleuchtung auf LED umstellen. „Das Haus war eingerüstet. Da schaut halt alles gleich ein bisschen traurig aus.“

Auch wenn die Technik eine neue ist, der Retro-Faktor ist geblieben. Und der gehört zum Tichy mit dem Verkaufsraum mit Boden aus geschliffenem Stein, den Metallsesseln mit den roten Polstern. Die Sortenliste wird mit Wechselbuchstaben in einen dunklen Kasten gesteckt – wie früher vor dem Kino, nur dass statt „Ben Hur“ oder „Cleopatra“ jetzt „Haselnuss“ oder „Topfen“ steht. Dazu gibt es noch die bunten Glaskacheln mit Eis drauf und den überladenen Salon mit den Spiegeln und cremefarbenen Wänden. „Früher haben viele gefragt: Warum baut ihr nicht um? Aber es war genau richtig, alles so zu lassen. 

Der Retro-Stil erinnert viele an ihre Kindheit. Viele unserer Gäste kommen mit ihren Kindern und Enkelkindern wieder.“ Und fast als hätte sie es bestellt, tritt kurz, nachdem sie das gesagt hat, eine Kundin zu ihr. „Ich komme schon seit 50 Jahren zu Ihnen.“

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Ein  gemischter Eisbecher geht immer. Rund 70 Menschen sorgen im Betrieb dafür,  dass das Geschäft läuft. 

©kurier/Martina Berger

Für Xenia Tichy war es auch seit ihrer Kindheit klar, dass sie in den familiären Betrieb einsteigen will, den sie heute mit ihrem Vater leitet. „Ich bin hier aufgewachsen und habe als Kind auf den Zuckersäcken gespielt.“ Die Eltern waren ob des Wunsches skeptisch und wollten ihr eine andere Ausbildung ermöglichen. Sie schickten die Tochter aufs Gymnasium. „Aber das war nichts. Ich war eine katastrophale Schülerin.“ Sie wechselte in eine Gastro-Fachschule und wurde bestätigt: „Das ist meine Welt.“ Später folgte die Konditorenausbildung.

Xenia Tichy liebt Eis als Mittagessen

Vom Süßen – vor allem vom Eis – hat sie heute noch nicht genug. „Es kommt vor, dass ich mein Mittagessen auslasse und mir stattdessen einen Eisbecher gönne. Ich esse es immer noch gerne.“ Es ist gerade Mittag, und obwohl es draußen nicht sonderlich warm ist, beginnt das Geschäft anzulaufen. Einige werden schon drunter sein, die es wie die Chefin machen.

Damit das täglich läuft, braucht es viele Hände. 70 Personen arbeiten im Schichtbetrieb – von sieben bis 23 Uhr, sieben Tage pro Woche, von März bis Oktober. Das ganze Jahr über offen zu haben, ginge schon. Aber: „Wir arbeiten sieben Tage die Woche – damit andere, wenn es warm ist, ihr Eis essen können. Im Oktober freuen wir uns dann auch auf eine Pause. Und es soll ja doch etwas Besonderes bleiben.“

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember 2020 über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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