Guido Tartarotti

"ÜberLeben": Einladungen der Zukunft

Wer ist 2123 alles dabei?

Nimmst du an der 106-minütigen Mondfinsternis teil?“, fragt B. Ich bin mir nicht sicher, was hier die erwünschte Antwort ist und lehne schwankend ab. „Heute  nicht, heute ist Vollmond, da ist es nicht finster“, gebe ich mein amateurastronomisches  Wissen preis. „Nicht heute!“, sagt B. „Wann dann?“, frage ich.

„Ich hab dir eine Facebook-Einladung dazu geschickt!“, mahnt B. kryptisch. „Wenn ich jede meiner Facebook-Einladungen nur eines  Blickes würdige, bin ich bis 2100 beschäftigt“, antworte ich. Und B. ist begeistert: „Das geht sich aus! Die Mondfinsternis ist erst im Juni 2123.“
Ich glaube, mich verhört zu haben, frage aber nach: „Ist das ein neuer Werbeschmäh dieser Mondkalenderleute? Davon halte ich nichts. Ich schneide meine Haare, wenn sie lang sind, meine Christbäume, wenn Weihnachten ist, und meine Grimassen, wenn mir danach ist. Also komm mir nicht damit!“

„Ich rede nicht vom Mondkalender, sondern vom Erdkalender“, wird B. ungehalten, „und mach dich nicht lustig, 8.565 Menschen haben bereits zugesagt, 17.131 sind an einer Teilnahme interessiert.“ 

Taktvoll versuche ich, B. auf den Umstand hinzuweisen, dass sich  2123 für all die Leute – und auch für uns beide – womöglich nicht ausgeht: „Ich habe nachgerechnet, für eine Teilnahme hab ich a) die vergangenen 50 Jahre nicht gesund genug gelebt, b) zu wenig Glauben an die Auferstehung und c) zu viel Angst vor der Reinkarnation. Ich werde absagen. Außerdem  denke ich, dass  es Facebook 2123 nur noch in den Geschichts-E-Readern gibt.“

B. schaut enttäuscht und hält dagegen: „Das ist keine Facebook-Veranstaltung, sondern eine Mondveranstaltung, die auf der Erde, noch dazu in Europa, gut zu sehen sein wird.“

„Der Mond schrumpft“, bringe ich mein letztes Argument, „allein 46 Meter in den letzten 100 Millionen Jahren. Womöglich sind nicht nur wir beide bis dahin Geschichte, sondern auch der Mond.“ B. sagt: „In Rechnen warst du nie gut. Dann geh’ ich eben alleine hin.“

Guido Tartarotti

Über Guido Tartarotti

Guido Tartarotti wurde, ohne vorher um Erlaubnis gefragt worden zu sein, am 23. Mai 1968 zur Mödlinger Welt gebracht. Seine Eltern sind Lehrer, und das prägte ihn: Im anerzogenen Wunsch, stets korrekt und dialektfrei zu sprechen, glaubte er bis in die Pubertät, Vösendorf heiße eigentlich Felsendorf. Das Gymnasium Perchtoldsdorf, wo es damals u. a. eine strenge Einbahnregelung für die Stiegenhäuser gab, verzichtete nach einigen Verhaltensoriginalitäten seinerseits nach der fünften Klasse auf seine weitere Mitarbeit. Also maturierte er in der AHS Mödling-Keimgasse. 1990 begann er in der KURIER-Chronikredaktion. 1994 wurde er Leiter der Medienredaktion, ein Jahr darauf auch der Kulturredaktion. Beide Positionen legte er 2004 zurück, um wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

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