"ÜberLeben": Die Zeit vertrocknet so schnell
Das Freibad und ein alter Christbaum.
Es ist Ende Mai und endlich nicht mehr ganz so kalt, also eröffne ich meine Badesaison. Wobei „Badesaison“ ein gewagter Begriff ist, bei 21 Grad Wassertemperatur bringt mich niemand ins Becken. Aber ich platziere mich auf einer der außergewöhnlich unbequemen Liegen und genieße die Sonne. Meine Freundin holt eine Portion Pommes und sofort stellt sich der vertraute Badgeruch ein, eine Mischung aus Sonnenöl, Frittierfett und Chlor.
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Das Bad funktioniert für mich wie eine Maschine, die die Zeit anhält. Es ist still, die kreischenden Kinder fehlen, nur zwei ältere Damen unterhalten sich angeregt über die SPÖ-Krise. Sonst passiert gar nichts, und ich kann den Bäumen beim Wachsen zusehen. Ich bin sogar zum Lesen zu faul und lasse müde die Gedanken von der Leine. In dem Bad war ich schon als kleines Kind, ein Badbesuch war damals für mich eine Sensation. Damals gab es auch noch den Dreimeterturm, den haben sie dann irgendwann aus Sicherheitsgründen entfernt.
Als Teenager bin ich immer mit dem Moped ins Bad gefahren, hab dort meine Freundin getroffen und den ganzen Tag die Doors gehört. Und dabei immer das Gefühl gehabt: Das Leben kann mich mal gernhaben – und es hatte mich gern.
Am Abend bin ich wieder einmal über das Bad-Paradoxon verblüfft: Obwohl im Bad die Zeit langsamer vergeht, geht der Tag schneller vorbei als sonst. Ich gehe eine Hunderunde – mein Hund ist zwar schon gestorben, aber immer noch gehe ich abends um die Siedlung, als wäre der Hund noch da. Und wenn ich einen schönen Stock sehe, hebe ich ihn auf, um ihn zu werfen.
Am Rand des Gehsteiges liegt ein vertrockneter Weihnachtsbaum. Offenbar hat tatsächlich jemand seinen Christbaum bis Pfingsten stehen lassen, um ihn jetzt vors Haus zu legen. Ich muss lachen über soviel Optimismus. Andererseits: Jetzt hätte man den Baum auch gleich bis Weihnachten aufheben können. Die Zeit vertrocknet so schnell ...
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