Guido Tartarotti

"ÜberLeben": 100 Prozent Gewichtsverlust

Der Supermarkt wird abgerissen und neu gebaut. Ein paar Bäume standen im Weg. Jetzt nicht mehr.

Unser geschätzter Leser Martin H. fand vor kurzem im Internet eine Werbeanzeige für eine Diät mit folgendem Text: „100 Prozent Gewichtsverlust – man verliert schnell an Gewicht und das völlig ohne Gesundheitsschäden.“ Ehrlich gesagt: Ich habe hier Zweifel. 100 Prozent Gewichtsverlust wird nicht ohne Gesundheitsschäden zu erreichen sein. Ich vermute sogar stark, dass man anschließend tot ist.

Mir fehlt für Diäten ohnehin das Talent. Das liegt auch am Supermarkt, der sich direkt gegenüber meiner Wohnung befindet und der mich täglich mit Köstlichkeiten lockt.

Der Supermarkt wurde vor wenigen Jahren abgerissen und größer, schöner und superer wieder aufgebaut. Jetzt geht das Spiel von Neuem los: Abriss, Wiederaufbau, noch schöner, noch größer, noch superer. Zu diesem Zweck wurden jetzt mehrere wunderschöne alte Bäume gefällt, wenn mich nicht alles täuscht, eine Kastanie, ein Ahornbaum, eine Tanne und eine Föhre. Und das tut mir fast körperlich weh.

Mein Verhältnis zu Bäumen ist ein korrektes. Die Linde vor meinem Fenster grüße ich jeden Tag freundlich, aber ich käme nie auf die Idee, sie zu umarmen. Ich weiß nämlich gar nicht, ob die Linde das will.  Wer weiß, ob sie es angenehm fände, wenn sich dahergelaufene Menschen einfach so an ihr reiben, ohne um Erlaubnis zu fragen. Es ist ja auch nicht jeder Mensch sympathisch, nicht alle Menschen riechen gut, und nur, weil der Baum nichts sagt, heißt das noch lange nicht, dass man ihn einfach so umarmen darf. Aber ich mag Bäume, ich sehe sie gerne, ich freue mich über jeden von ihnen.

Der neue Supermarkt wird sicher wunderschön, er wird in der Sonne glänzen und die Kaufwilligen werden aus nah und fern herbeieilen, um dort einzukaufen. Dass er so schön wird, wie der alte Kastanienbaum war, von der Föhre ganz zu schweigen, das wage ich zu 100 Prozent zu bezweifeln.

Guido Tartarotti

Über Guido Tartarotti

Guido Tartarotti wurde, ohne vorher um Erlaubnis gefragt worden zu sein, am 23. Mai 1968 zur Mödlinger Welt gebracht. Seine Eltern sind Lehrer, und das prägte ihn: Im anerzogenen Wunsch, stets korrekt und dialektfrei zu sprechen, glaubte er bis in die Pubertät, Vösendorf heiße eigentlich Felsendorf. Das Gymnasium Perchtoldsdorf, wo es damals u. a. eine strenge Einbahnregelung für die Stiegenhäuser gab, verzichtete nach einigen Verhaltensoriginalitäten seinerseits nach der fünften Klasse auf seine weitere Mitarbeit. Also maturierte er in der AHS Mödling-Keimgasse. 1990 begann er in der KURIER-Chronikredaktion. 1994 wurde er Leiter der Medienredaktion, ein Jahr darauf auch der Kulturredaktion. Beide Positionen legte er 2004 zurück, um wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

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