Guido Tartarotti

"ÜberLeben": Der Lockruf der Laufschuhe

Manchmal denke ich, ich hätte von Beruf Braunbär werden sollen.

Manchmal denke ich, ich hätte von Beruf Braunbär werden sollen. Braunbären verschlafen den Winter, und genau das täte ich auch am liebsten. Ich halte den Winter nicht gut aus, Wörter wie „Schneematsch“, „Hochnebelfelder“ und „Graupelschauer“ erwecken in mir den Wunsch, in die Karibik auszuwandern, was mir finanziell leider nicht möglich ist. Und bei Temperaturen unter 25 Grad friere ich.  Klar, Weihnachten, Silvester und Skifahren sind schön, aber doch nur ein schwacher Trost für Dunkelheit, Nässe und Kälte von Ende Oktober bis Anfang Mai. Ich bevorzuge es, diese Monate, gehüllt in weiche Decken, in geheizten Innenräumen zu verbringen.

Aber kaum steht der Frühling vor der Tür, regt sich in mir der Wunsch, zu ihm hinauszugehen. Aus dem Vorzimmer höre ich meine Laufschuhe rufen: Zieh uns an! Hinaus mit dir!

Knieweh

Ich war nie ein begabter Läufer, ich trabe eher, als ich laufe. Einmal bin ich spontan, aus einer Laune heraus die Halbmarathondistanz gelaufen – übrigens absurderweise ohne Frühstück und ohne dabei zu trinken – und brauchte dafür zwei Stunden und 22 Minuten. Mittlerweile tun mir die Knie weh und ich bräuchte für diese Strecke vermutlich doppelt so lange. Beim Laufen werde ich manchmal von alten Damen beim Nordic Walking überholt, was doch ein wenig an meinem Stolz kratzt.

Trotzdem kann ich mit dem Laufen nicht aufhören, denn ich liebe das Gefühl, wie sich das Hirn dabei abschaltet und ich endlich zu denken aufhören kann. Laufen ist für mich wie Schlaf auf zwei Beinen.

Zu heiß fürs Laufen ist mir nie. Selbst im Juli bei 30 Grad habe ich Lust, ein wenig durch die Gegend zu traben und dabei an nichts zu denken. Und das unterscheidet mich dann doch vom Braunbären, denn kein vernünftiger Bär würde bei Hitze etwas anderes tun, als gemütlich im Schatten zu liegen. Aber so ein Bär muss ja auch nicht ständig denken, der hat es leicht.

Guido Tartarotti

Über Guido Tartarotti

Guido Tartarotti wurde, ohne vorher um Erlaubnis gefragt worden zu sein, am 23. Mai 1968 zur Mödlinger Welt gebracht. Seine Eltern sind Lehrer, und das prägte ihn: Im anerzogenen Wunsch, stets korrekt und dialektfrei zu sprechen, glaubte er bis in die Pubertät, Vösendorf heiße eigentlich Felsendorf. Das Gymnasium Perchtoldsdorf, wo es damals u. a. eine strenge Einbahnregelung für die Stiegenhäuser gab, verzichtete nach einigen Verhaltensoriginalitäten seinerseits nach der fünften Klasse auf seine weitere Mitarbeit. Also maturierte er in der AHS Mödling-Keimgasse. 1990 begann er in der KURIER-Chronikredaktion. 1994 wurde er Leiter der Medienredaktion, ein Jahr darauf auch der Kulturredaktion. Beide Positionen legte er 2004 zurück, um wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

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