"ÜberLeben": Ich hatte nie Klavier
Über eine Lesung mit Musik.
Das erste Gefühl, das ich gegenüber Menschen empfand, die Klavier spielten, war: Mitleid. Als wir Kinder waren, verbrachten wir jede freie Minute auf dem Platz vor der Feuerwehr Hinterbrühl, um Fußball zu spielen. Ich war ein ebenso begeisterter wie schlechter Fußballer, aber ich wusste nicht, dass ich schlecht war. In meiner Version der Realität spielte ich mindestens so gut wie Hans Krankl. Das Gefühl, Fußball zu spielen, war unvergleichlich, einfach großartig, möglicherweise habe ich mich später nie wieder so gut gefühlt.
Und immer wieder passierte es, dass Freunde mitten im Spiel ihre Sachen packten und nachhause gingen, meist mit dem geseufzten Hinweis: Ich muss jetzt gehen, ich hab Klavier. Und es klang so, als meinten sie eine Krankheit, als würden sie sagen: Ich muss jetzt aufhören, ich habe Mumps. Und ich war damals unendlich froh, dass ich kein Instrument lernen musste. Obwohl ich es schon lässig fand, wenn mein bester Freund den Flohwalzer spielte. Mehr konnte er nicht, trotz ständigen Übens, aber für mich klang es wie pure Virtuosität.
Jetzt war ich eingeladen, eine Lesung in Wiener Neudorf abzuhalten. Ich teilte mir die Bühne mit dem Pianisten Christopher Devine, der Stücke des zeitgenössischen kanadischen Komponisten Ronald Hannah spielte. Und selten hat etwas so wenig zusammengepasst: Meine um Gelächter bittenden satirischen Texte und die leicht ins Atonale kippenden Melodien, die vom Klavier kamen. Und dennoch wurde es ein wunderbarer Abend, es wurde gelacht, es wurde gedacht, es wurde gefühlt. Christopher Devine und ich beäugten einander argwöhnisch, aber mit Sympathie, der Komponist war anwesend und so nett, meine Texte gut zu finden.
Und selten habe ich jemanden so beneidet wie Devine: Wofür ich viele Worte brauchte, das drückte er mit wenigen Tönen aus. Schön muss das sein, Klavier zu haben.
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