Guido Tartarotti: "ÜberLeben"
Zum Warten fehlt das Talent.
Neben der Müllinsel warten die letzten Christbäume auf das Sammeltaxi. Es wird gleich vorfahren, bringt nur noch schnell die Osterhasen und Ostereier zu den Supermärkten. 2024 nimmt Fahrt auf, ehe wir überhaupt bemerkt haben, dass es da ist.
Rast die Zeit? Nein, sagte schon Orwell, "die Zeit vergeht gar nicht schneller als früher, wir laufen nur eiliger an ihr vorbei“.Und wäre ich nicht so in Eile, würde ich Ihnen meine Lieblingsgeschichte von Commander Data erzählen, dem Androiden aus Star Trek. Ach was, weil wir schon dabei sind, nur in aller Eile, ganz kurz, die Szene: Data will ergründen, um wie viel länger es dauert, bis Wasser kocht, wenn man es bewusst beobachtet. Denn Data bemerkt, dass Menschen, die Tee kochen, oft sagen, beim Zuschauen vergehe die Zeit langsamer.
Data stellt also einen Teekessel auf und stoppt exakt, wie lange es dauert, bis der Kessel pfeift. Einmal, indem er sich mit etwas anderem beschäftigt.
Und einmal, indem er den Teekessel nicht aus den Augen lässt. Das Ergebnis seiner Messungen lässt ihn einmal mehr am gesunden Menschenverstand zweifeln: Es dauerte beide Male exakt gleich lang.
Neulich lag ich in einem Krankenzimmer, um auf einen kleinen Eingriff zu warten. Nichts Schlimmes, aber man wird doch ungeduldig und schaut häufig nach, ob der Zeiger der Wanduhr Millimeter macht oder selbst in Narkose ist. Und während jeder Millimeter noch länger dauerte als der vorhergehende, wurde mir bewusst, was ich eh weiß: Zum Warten fehlt mir das Talent.
Genau deshalb schaue ich nicht gern auf die Uhr, in den Kalender oder auf den Teekessel. Ich schaue lieber zur Müllinsel, ins Osterhasenregal oder zur Stadtbadkassa, und frage, ob das Freibad bald öffnet. "Im Mai“, sagt die Frau an der Kassa und dann noch, lächelnd: "Abwarten und Tee trinken!“
"Nein, danke“, erwidere ich, "dazu fehlt mir das Talent“.
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