Flaschenpost: Alte Eisen, süßer Wein
Pioniere erleiden mitunter das ungnädige Schicksal, mit der Zeit ins Hintertreffen zu gelangen, so sie nicht auf der Hut sind.
Während sie sich noch in ihren Verdiensten von einst sonnen, überholt man sie längst links und rechts, ohne dass sie es merken. So ergeht es auch Weinregionen: Sprach man etwa vor einiger Zeit von deutschem Wein, dachte jeder an Rheingau oder Mosel. Sie schmückten sich mit ruhmreicher Geschichte, die, man ahnt es, mit den Römern begann. Richtig Gas gab dann Karl der Große, später Adel und Kirche. Die hatten Zeit und Geld zuhauf, die Reben zu streicheln und zu tüfteln, wie guter Wein geht.
Irgendwann hatte die Welt genug von Rieslingen mit Zuckerguss.
Irgendwann, glaubt man den Schnurren, entdeckte man zufällig die Spätlese: ein Bote, der um die Ernteerlaubnis zum adeligen Besitzer ritt, hatte sich wohl verirrt oder verliebt oder kam sonst wie auf Abwege. Derweil verschrumpelten die Beeren am Stock. Als man sie schließlich las, war der Wein lieblich und die Freude groß. Kaiser, Könige und Zaren waren hingerissen von den picksüßen Rebsäften – Ruhm und Reichtum der Regionen besiegelt. Weine mit teutonisch anmutenden Etiketten und verstörenden Lagen-Namen erreichten Spitzenpreise. Irgendwann hatte die Welt genug von Rieslingen mit Zuckerguss. Heute ist Herkunft und Mineralität gefragt, bei lieblichem Wein beinahe ein Unding. Trotzdem hielt so manch renommierter Name bockig am alten Stil fest. Winzer wie Clemens Busch oder Peter Jakob Kühn hingegen zeigen inzwischen wie trockener Riesling von Weltklasse geht.
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