Kerbelrübe.

Kerbelrübe für die Ewigkeit: 700 seltene Sorten müssen auf’s Feld

Was getan wird, damit seltenes Saatgut kein Ablaufdatum hat. Und welche seltenen Sorten demnächst ausgepflanzt werden müssen.

Von Hedwig Derka und Anita Kattinger

Die Kerbelrübe muss raus auf’s Feld: Als Gemüserarität aus dem Kamptal findet man das Feinschmecker-Gemüse seit einigen Jahren auf Speisekarten in der Spitzengastronomie. Der Vertreter aus der Karotten-Familie blickt auf eine lange Kulturgeschichte zurück und ist als Wildpflanze in ganz Europa heimisch. Die Alternative zum Erdäpfel hat sich wegen der kurzen Keimfähigkeit der Samen allerdings nie in der heimischen Landwirtschaft durchgesetzt.

Im Waldviertel halfen Gärtner, Gastronomen und Konsument vor einigen Jahren an der Weiterentwicklung mit: Das Saatgut u. a. für die Kerbelrübe wird in kooperativen Netzwerken vermehrt und befindet sich zudem im Samenarchiv der Arche Noah. Jedes Jahr baut der gemeinnützige Verein im Klostergarten des Schlosses Schiltern Sortenraritäten an, um Saatgut zu gewinnen und weiter im Samenarchiv für die Zukunft zu erhalten.

Tipps für Hobbygärtner

Zierpflanzen
Um aus Blumen Saatgut zu gewinnen, lässt man z.B. Akelei, Cosmea oder Lupine im Beet  und die verblühten Blüten am Stängel eintrocknen, rät die Umweltberatung. Bei u.a. Stockrosen oder Dahlien werden die Samen im Herbst abgenommen und im nächsten Jahr gesät

Gemüse
Samen von Paradeiser und Kürbis etwa sind zur Ernte reif. Bei Gurken und Zucchini z.B. lässt man eine Frucht länger an der Mutterpflanze. Die Samen müssen getrocknet überwintern

Tonda di Chioggia

©Arche Noah

Kerbelrübe, Tonda di Chioggia und Osnabrücker Rundsamiger Münsterländer sowie 700 weitere Sorten müssen noch in dieser Gartensaison vermehrt werden, sonst verlieren die Samen an Trieb- und Keimkraft. Für die Detailplanung und Keimproben braucht der gemeinnützige Verein finanzielle Unterstützung: Eine einmalige Spende in der Höhe von 48 Euro ermöglicht die Pflege einer Sorte für vier Wochen.

Saatgut mit Ablaufdatum

Osnabrücker Rundsamiger Münsterländer

©Arche Noah

Das Saatgut für den regelmäßigen Anbau wird in luftdichten Flaschen gelagert, dabei nehmen Keimfähigkeit und Triebkraft nach drei bis vier Jahren stark ab. Die Samen von der Kerbelrübe sind, sogar wenn sie eingefroren werden, nur ein Jahr gut keimfähig.

Weil nicht alle der 5.500 zu vermehrenden Sorten im Samenarchiv innerhalb so kurzer Zeit angebaut werden können und so das Saatgut nicht aufgefrischt werden kann, braucht es alternative Lagerungen. Dies geschieht in einer Gefrierkammer.

©Arche Noah

Bernd Kajtna, Leiter der Sortensammlung, freut sich deswegen, dass die alte Gefrierkammer 2021 gegen eine neue ausgetauscht werden konnte. So können die Arbeiten auf kurzen Wegen erledigt werden. „Weltweit sind laut Schätzung der Welternährungsorganisation FAO schon 75 Prozent der Kulturpflanzenvielfalt verloren gegangen. Wir müssen also jetzt handeln, um die Ernährungsgrundlage der Zukunft zu sichern“, so Kajtna.

Workshops: Wie vermehre ich Saatgut?

©Arche Noah

Auch für Hobbygärtner eignet sich eine Saatgut-Gefrierkammer im kleinen Stil: Gerade bei kurzlebigen Arten wie etwa der Pastinake kann die Keimfähigkeit der Samen durch Einfrieren im Tiefkühlfach länger erhalten werden.

Ab Oktober 2022 bieten die professionellen Sortenretter für interessierte Hausgärtner einen Lehrgang für Samengärtnerei an. Noch im Februar startet ein Online-Lehrgang für Balkon-Gärtnern im Topf – für all jene, die zwar einen grünen Daumen, aber keinen Platz haben.

Wo Österreichs Back-up für Katastrophen gebunkert wird

"Wir sind kein Lagerhaus und auch kein Saatgutgeschäft. Wir sind eine Genbank", sagt Paul Freudenthaler. Er ist Chef über Österreichs größte Sammlung pflanzlicher Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft, die die die AGES seit 1986 in Linz betreibt. Von Anis  über Mohn bis Zanduriweizen – derzeit sind dort mehr als 5.500 Muster verwahrt. Der Schwerpunkt liegt auf Getreide, Bohnen, Heil- und Gewürzkräutern. Hybridsorten werden nicht archiviert, genauso wenig gentechnisch verändertes Material.

"Ziel ist, dass das Erbgut erhalten bleibt", sagt der Genbank-Chef. Die Schätze aus dem Tresor in OÖ stehen weltweit Züchtern und Forschungseinrichtungen zur Verfügung. Auch Landwirte fragen um Muster von alten Sorten an; etwa um ein neues Bier aus alter Gerste herzustellen.

Nach der jüngsten Inventur wurden auch wieder Proben nach Spitzbergen geschickt. Mit den 900 Neulingen lagern jetzt insgesamt 2.350  Muster aus Österreich in Norwegen. Der "Global Seed Vault" – 2008 eröffnet – ist in einer stillgelegten Kohlegrube unter Eis untergebracht. Nach offiziellen Angaben beherbergt der Tresor eine Million Proben, nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO sind es Exemplare von rund 40 Prozent aller Samenarten, die Mutter Erde bietet. In Summe sollen hier einmal 2,25 Milliarden Samen Klimakrisen, Naturkatastrophen oder Kriege überdauern.  

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