"viennacontemporary" und "Curated by" lassen Wiens Kunstszene rotieren

Zwei Messen und ein Galerienfestival unterstreichen die Rolle der Stadt als Kunststandort und Ankerpunkt für Kreative aus der Ukraine.

Wien, die Drehscheibe zwischen Ost und West: Die Phrase ist zum Klischee geworden, auch wenn ihr ein Grad an Berechtigung nicht abzusprechen ist.

Die Kunstmesse viennacontemporary trägt die Drehscheibe seit ihren Anfangstagen mit sich herum – ist sie als Alleinstellungsmerkmal doch auch als Ninja-Wurfstern gegenüber anderen Kunstmessen einsetzbar.

Gerade im Wirrwarr, unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges, des Tods Michail Gorbatschows und der Queen, erweist sich eine drehbare Plattform im Feld der Kultur nun aber als guter Ort, innezuhalten und sich zu orientieren. Und angesichts der vielen Menschen, die die viennacontemporary gemeinsam mit dem Galerienfestival „Curated By“ und der Messe „Parallel“ in diesen Tagen auf die Beine bringt, ist es keine leere Behauptung, dass Wien hier wirklich eine Funktion erfüllt und die Stadt ohne diese Events ärmer wäre.

©kunst-dokumentation.com

Zeitgenossen-Walzer

Die viennacontemporary ist dabei nach ihrer x-ten Häutung kaum wiederzuerkennen: Der russische Teileigentümer Dmitry Aksenov, wiewohl nie als Putin-Freund aufgefallen, ist Geschichte. Die Galerien präsentieren sich nun im Kursalon am Stadtpark, bisher eher für Walzerfeeling bekannt.

Die Kojen der Aussteller sind hier relativ flach, was es schwerer macht, dass Besucher sich auf einzelne Werke einlassen, wie eine Galeristin anmerkt.

Nichtsdestotrotz ist viel interessante Kunst zu sehen – und zu verhältnismäßig moderaten Preisen zu erwerben. Der Input aus Osteuropa sticht dabei noch mehr ins Auge als sonst. So beherbergt etwa die Sandwich Galerie aus Bukarest Tonskulpturen der aus Odessa stammenden Diana Khalilova, die wie Figuren für den Hausaltar anmuten (900 – 1200 €). Galerien wie Kisterem aus Budapest zeigen profilierte Stände.

Ein echtes Highlight ist aber die Präsenz von Pavlo Makov, heuer auch Vertreter der Ukraine bei der Venedig-Biennale. Unter den mit Stempeln gefertigten Bildern (1000 – 35.000 €) findet sich mit dem Doppelbild „Through the Looking Glass“ ein Hauptwerk des Künstlers, der vor den Bomben aus Kharkiv fliehen musste.

©YEVGEN NIKIFOROV

Netzwerk-Effekte

Der Ukraine hat die Messe auch eine Sonderschau in den Räumen des Kunstvereins Das Weiße Haus gewidmet. Und auch sonst zeigt sich die Wiener Galerienszene engagiert: So nutzt die – auch auf der Messe präsente – Voloshyn Gallery einen Teil der Georg Kargl Galerie in der Schleifmühlgasse, die Galerie Christine König verkauft Drucke des Künstlers Nikita Kadan zugunsten eines Hilfszentrums an der slowakisch-ukrainischen Grenze.

©Nicko Havranek

Mit dem Format „Curated by“ kann dann auch jene inhaltliche Vertiefung stattfinden, die in den flachen Messekojen schwer fällt: 24 Galerien luden heuer Gastkuratorinnen und -kuratoren ein, das Überthema lautet „Kelet“, was im Ungarischen „Osten“ bedeutet. Das Motto ist auch eine Anspielung auf ein historisches Avantgarde-Magazin, das sich „Nyuget“ („Westen“) nannte – es war lange Zeit die Richtung, die Fortschritt verhieß. „Doch was nützt die Anbetung einer untergehenden Sonne?“ schreibt der als „Impulsgeber“ geladene Dieter Roelstrate dazu.

Es wäre nicht die zeitgenössische Kunstwelt, wenn eine solch polare Weltsicht keinen Widerspruch erzeugen würde: So manche Künstler und Kuratoren in den Galerien reiben sich daran.

In der Schau „Sensory Tales“ (bei Krinzinger Schottenfeld, 1070) werden dem Rigiden etwa fluide“ Formen gegenübergestellt. Bei Gabriele Senn ) zerpflücken der Schweizer Maler Jean-Frederic Schnyder und die US-Künstlerin Lisa Oppenheim das Bild des Sonnenuntergangs in konzeptuellen Serien. „Die Sonne geht ständig irgendwo anders unter“ heißt jene von Oppenheim etwa. Wo Osten und Westen liegt, ist also nicht mehr so eindeutig zu bestimmen.

Michael Huber

Über Michael Huber

Michael Huber, 1976 in Klagenfurt geboren, ist seit 2009 Redakteur im Ressort Kultur & Medien mit den Themenschwerpunkten Bildende Kunst und Kulturpolitik. Er studierte Publizistik und Kunstgeschichte und kam 1998 als Volontär erstmals in die KURIER-Redaktion. 2001 stieg er in der Sonntags-Redaktion ein, wo er für die Beilage "kult" über Popmusik schrieb und das erste Kurier-Blog führte. Von 2006-2007 war Michael Huber Fulbright Student und Bollinger Fellow an der Columbia University Journalism School in New York City, wo er ein Programm mit Schwerpunkt Kulturjournalismus mit dem Titel „Master of Arts“ abschloss. Als freier Journalist veröffentlichte er Artikel u.a. bei ORF ON Kultur, in der Süddeutschen Zeitung, der Kunstzeitung und in den Magazinen FORMAT, the gap, TBA und BIORAMA.

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