Heinz Kaiser

Top-Barkeeper über die Zukunft: „Wenig Alkohol, viel Geschmack!“

Was macht den perfekten Sommer-Drink aus? Wie lange wird der „Spritz“ noch alles dominieren? Trinken wir in Zukunft glutenfreie Cocktails? Mit Heinz Kaiser und Gerhard Tsai stehen zwei Spitzen-Barkeeper der freizeit Rede und Antwort.

Zwei Barkeeperlegenden – ein schier unerschöpfliches Thema: Wer sich mit Heinz Kaiser und Gerhard Tsai über Cocktails unterhält, verlässt rasch die ausgetretenen Pfade zwischen Schein und Schirmchen. Denn beide sind es gewohnt, über den Teller- oder eben Glasrand zu schauen

Heinz Kaiser, studierter Apotheker, schrieb seine Magisterarbeit in Südamerika und ist mit zahlreichen internationalen Preisen der höchstdekorierte Barkeeper des Landes. Gerhard Tsai führt seit elf Jahren die Kult-Bar „Tür 7“ in der Josefstadt: Keine Werbung, kein Chichi – dafür allerhöchste Kompetenz in der laut Kritikern besten Bar Österreichs. 

Ein hochsommerliches Gespräch über „kommerzielle Trinker“, den Wert von Hitparaden, den Wellness-Aspekt von Wodka – und die Zukunft der Cocktails. 

Wie sieht heute ein zeitgemäßer Sommer-Drink aus? Und: Hat sich der, im Vergleich zu früher, entscheidend verändert?

Heinz Kaiser: Generell lässt sich sagen, dass Cocktails im Sommer etwas leichter und gerne auch ein wenig säuerlicher getrunken werden. Das war allerdings schon immer so – passt eben besser zum Klima. Von den typischen Sommer-Cocktails kann man natürlich auch viel mehr trinken, das macht in der heißen Jahreszeit schon einen Unterschied.

Gerhard Tsai: Man muss auch zwischen „Freizeit-Trinkern“ und echten Cocktail-Freunden unterscheiden, denke ich. Die klassischen „Bar-Geher“ differenzieren nicht so stark zwischen Sommer und Winter. Die gehen dann auch an heißen Abenden in eine echte Cocktailbar und bestellen einen Old Fashioned und ähnliche Drinks.

Gerhard Tsai

Gerhard Tsai bei der Arbeit. Hinter der "Tür 7" in der Josefstadt

©Kurier/Franz Gruber

Es gibt also zwei Arten von Cocktail-Trinkern? 

HEINZ KAISER: Durchaus...

HEINZ KAISER: Durchaus... Menschen, die sich für die Welt der Cocktails interessieren und ihren Drink genießen wollen, ganz unabhängig von der Jahreszeit – und Menschen, die im Sommer in Gesellschaft etwas Erfrischendes zu sich nehmen wollen.

GERHARD TSAI: Im Freien, also im Gastgarten oder auf der Terrasse, wenn man mit Freunden feiert, greift man selten zu Martini oder Negroni, eher zu einer Spritz-Variante.

HEINZ KAISER: Mit dem Spritz-Boom tu ich mir ein bissl schwer. Weil's halt schon oft einfach Massenware ist. Beliebt, ja – aber auch beliebig. Das ist ein wenig wie mit der Hitparade oder den diversen Bestsellerlisten: Da findest du auch nicht unbedingt die besten Vertreter ihres Genres.

GERHARD TSAI: (lacht) Stimmt natürlich. Aber: Aperol ist ja nicht schlecht.  Das muss man schon sagen. Es kommt halt darauf an, was man daraus macht.

Heinz Kaiser

Heinz Kaiser ist  Apotheker und Barkeeper. Ein besonderer Mix, der sich auch in seinen Cocktails niederschlägt. Seit  2019  ist er Chef der „Dino’s Apothecary Bar“ (Salzgries 19, Wien 1)

©Kurier/Gerhard Deutsch

Was macht den „Spritz“ eigentlich so überaus populär? Und wie geht man als Profi mit so einem Trend um?

GERHARD TSAI: Ein großes Plus ist sicher die relativ hohe „Treffsicherheit“. Auch ein nicht ausgebildeter Barkeeper kann da eigentlich nicht wirklich etwas falsch machen. Und sogar zuhause kann man damit ganz schnell Cocktail-Feeling erzeugen.

HEINZ KAISER: Und man muss dieser Tendenz natürlich Rechnung tragen. Halt ohne beliebig zu werden. Ich habe seit einiger Zeit einen „Ferdinand“ auf der Karte, der gut angenommen wird. Dabei ist er eine augenzwinkernde Parodie auf „Hugo & Co.“ Aber, so bilde ich mir zumindest ein, eine mit Charakter. Das ist mir doch sehr wichtig.

Gerhard Tsai

Wer hinter die geheimnisvolle „Tür 7“ in der Josefstädter Buchfeldgasse schauen will, um von Gerhard Tsai einen Drink serviert zu bekommen –  sollte unbedingt reservieren: tuer7.at 

©Kurier/Franz Gruber
Was werden  wir in Zukunft  trinken? Wie sieht ein Expertenblick in die Glaskugel aus?
HEINZ KAISER: (lacht) Ich sehe helle, leichte Spirituosen, reduzierte Süße ... Aber im Ernst: Das ist eine Entwicklung, die man schon seit einiger Zeit beobachten kann – und die sich mit Sicherheit fortsetzen wird.
GERHARD TSAI: Auf jeden Fall, LABV ist hier das Schlagwort:  Low Alcohol by Volume, möglichst geringer Alkoholanteil also. Wobei ich persönlich andererseits nicht glaube, dass alkoholfreie Spirituosen in absehbarer Zeit über ein Nischen-Dasein hinauskommen, auch wenn sie aktuell noch so forciert werden. Das ist einfach geschmacklich nicht dasselbe, so ehrlich muss man sein.
Der „Spritz“ bleibt uns also erhalten?

GERHARD TSAI: Ziemlich sicher. Der allgemeine Trend geht nämlich auch in Richtung „unkompliziert“, würde ich sagen. Und die vielen, teils neuen Fruchtliköre bieten sich alle zum Aufspritzen an. Wahlweise dazu Gin, Wodka oder ein anderer Spirit – und fertig. Wobei ich hier wieder von den vorhin von mir erwähnten „kommerziellen Trinkern“ spreche.

Also der „Hitparade“, wie Heinz Kaiser sie genannt hat. Was werden wir da noch drauf finden?
HEINZ KAISER: Ein neues Bewusstsein aufseiten der Gäste wird die Cocktailkarten wohl ganz entscheidend prägen oder verändern. Menschen sind heute viel informierter als noch vor 20 Jahren, wollen länger leben,  gesünder leben – auch wenn sie in eine Bar gehen.  Histamine und Gluten spielen schon jetzt eine Rolle, und auch nach veganen Drinks wird immer öfter verlangt. Dann muss man eben beim Boston Sour statt mit Eiweiß mit anderen Mitteln für Cremigkeit sorgen. Das wird in Zukunft ganz sicher noch zunehmen.
GERHARD TSAI: Auf jeden Fall. Was die Zutaten betrifft, denke ich, dass neben den schon erwähnten Fruchtlikören leichte Komponenten wie, eben, Aperol, Wermut und andere Amaros eine wichtige Rolle spielen werden. Nach dem Motto: Wenig Alkohol, viel Geschmack.
HEINZ KAISER: Weil ich vorhin den Trend zu „gesünderen“ Cocktails angesprochen habe: Der treibt jetzt schon teils absurde Blüten. Plötzlich will jeder „Wodka Wellness“, wahrscheinlich weil's gut klingt, wobei die Kombination „Wodka“ und „Wellness“ ja an sich schon haarsträubend ist. Dabei ist das nichts anderes als ein leichter Sommerdrink, der als Wodka Rickey schon satte 150 Jahre auf dem Buckel hat. Er ist gut –  einfach, klassisch. Aber „Wellness“ ist schon witzig ...
Herr Kaiser, Sie haben im Rahmen einer Veranstaltung Salz als kommende Trend-Zutat genannt. Das klingt für Laien doch einigermaßen überraschend. Da will Salz doch nicht so Recht ins bunte, fruchtigsüße Cocktail-Bild passen ...

HEINZ KAISER: In Wahrheit ist Salz in Cocktails schon seit geraumer Zeit ein Thema. Und ja, ich bin überzeugt, dass es in Zukunft noch wesentlich mehr Breite bekommen wird. Es ist ja so, wie jeder Küchenchef weiß: Etwas Gutes braucht vier „S“ - Sweet, Sour, Salty, Spicy. (lacht) Oder auch so, wie schon die Oma wusste: In jede Mehlspeise gehört ein bissl Salz. Weil Salz eben ein unfassbar guter Modifier ist, für jeden Geschmack.

Die Drinks werden also leichter, schlanker. Wie werden sich die Bars selbst verändern, ihr Status?

HEINZ KAISER: Auch hier lässt sich eine Prognose recht gut stellen, wenn man die aktuelle Lage betrachtet – und wie sie sich gegen früher verändert hat. Was zum Beispiel auffällt: Heute gibt es viel weniger wirklich betrunkene Barbesucher als früher. Damals ging man in eine Bar, ohne groß zu reservieren, nahm möglichst viele seiner Lieblingscocktails zu sich, und das war's. So nach dem Motto: Ich brauche keine Karte, ich trinke Gin Tonic. Heute wird der Besuch oft im Voraus geplant, ist beinahe ein Ereignis. In etwa so wie ein gutes Essen, ein „schöner Abend“.

GERHARD TSAI: Was tatsächliche Veränderungen betrifft, muss man auch hier unterscheiden zwischen traditionellen Bars, wo die besprochenen Trends sich nur in abgeschwächter Form niederschlagen werden, und angesagten Rooftop-Locations und dergleichen. Davon werden wir in Zukunft wohl auch noch mehr sehen, während die Anzahl der Bars kaum wachsen wird.

HEINZ KAISER: Wobei die Grenzen fließend sind, wie ich denke. Aber ja, die gesamte Dynamik verändert sich. Ich habe teilweise Reservierungen für zwei Monate im Voraus. Was ebenfalls auffällt ist, dass sehr oft für etwa acht bis 15 Personen reserviert wird. Ohne besonderen Anlass wie Geburtstag oder ähnliches. Der Barbesuch selbst wird zum Event.

n diesem Sinne: Prost - auf gestern, heute und morgen!

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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