Welcher Künstler das legendäre Woodstock Festival schlecht fand
Heute sind die Bühnen bombastisch und die Ansprüche der Besucher hoch. Vor ein paar Jahrzehnten war das anders. Wie sich die Musikfestivals verändert haben
Ein lauer Sommerabend, die Luft vibriert von der Energie Tausender Menschen, die sich auf grünen Hügeln versammeln. Der Klang der Trommeln und das Zupfen der Gitarrensaiten verschmelzen in der Luft. Weg von der Großstadt, wo nicht nur die Drummer, sondern auch die Natur den Takt angibt, beginnt die Geschichte der modernen Musikfestivals.
Was einst ein improvisierter Zirkus für eingefleischte Musikliebhaber war, ist heute ein weltweites Phänomen mit enormen Umsätzen, das im Sommer Generationen und Musikrichtungen über alle Grenzen vereint.
➤ Mehr lesen: Musikfestivals der Zukunft setzen auf Bombast statt Morast
Auch wenn die New Yorker Kids schon seit 1954 zum Newport Jazz Festival nach Rhode Island fuhren, gilt Woodstock aus dem Jahr 1969 für viele als die Mutter der modernen Festivals, weil es viele Maßstäbe gesetzt hat. Und auch, weil alles glimpflich ausging.
Chaotisches Woodstock
Drogen waren genug unterwegs. Und wegen mangelnder medizinischer Versorgung wurde der Notstand ausgerufen. Außerdem war alles chaotisch organisiert – der Veranstaltungsort wurde einen Monat vor Beginn noch einmal gewechselt. Während heute das Chaos verklärt wird, sahen das damals nicht alle so.
Roger Daltrey von The Who zum Beispiel. Der hatte, nachdem er stundenlang im Stau gestanden war, hinter der Bühne versehentlich einen mit LSD versetzten Tee getrunken und musste auftreten: „Als ich in die Dunkelheit von Woodstock blickte und die vagen Umrisse von einer halben Million schlammverkrusteter Menschen ausmachte, über die das Licht hinwegfegte, hatte ich das Gefühl, mein Albtraum sei wahr geworden“, schrieb Daltrey in seinen Memoiren „Thanks a Lot Mr. Kibblewhite“.
Und noch etwas störte ihn: „Die Monitore gingen ständig kaputt. Der Sound war beschissen.“
Jimi Hendrix zündete am Monetrey Pop Festival die Gitarre an
Doch vor Woodstock gab es zwei Jahre zuvor das Monterey Pop Festival im Juni 1967 in Kalifornien. Auch das gilt als legendär: Daltreys Bandkollege Pete Townshend von The Who und Jimi Hendrix hatten eine Münze geworfen, um die Reihenfolge der Headliner für die kommenden Abendshows festzulegen. Hendrix verlor und ging als Erster auf die Bühne. Er versprach Townshend, dass er einen Auftritt liefern würde, der unvergesslich sein sollte. Jimi hielt sein Wort, spielte mit unglaublicher Hingabe, ließ seine Gitarre in Flammen aufgehen. Nicht nur ein Akt der Rebellion, sondern des Marketings.
Ein Moment für die Ewigkeit. Die Veranstaltung soll den Startschuss für alle großen Festivals der Hippie-Ära gegeben haben, heißt es. Stimmt nicht. Eine Woche zuvor hatte am Mount Tamalpais, ebenfalls in Kalifornien, eine Veranstaltung mit dem wunderbaren Namen „Fantasy Fair and Magic Mountain Music Festival“ stattgefunden.
Größtes Festival aller Zeiten, kleines Wiesen
Das Isle of Wight Festival ist seit 1970 eines der ersten Festivals in Europa. Zur dritten Ausgabe, die vom Woodstock-Ruhm profitierte, kamen rund 700.000 Besucher an die Südküste Großbritanniens. Es könnte das bestbesuchte Rockfestival der Geschichte gewesen sein – wenn es denn offizielle Zahlen gäbe. Doch wie Woodstock war auch dieses Festival chaotisch organisiert.
In Österreich begann alles 1976 mit den Festivals in Wiesen. Und dort ging es mit der Bühne unterm Zeltdach und den Hängematten in den Bäumen immer gemütlich zu. Als in den Nachbarländern in den Achtzigern und Neunzigern riesige Veranstaltungen mit zigtausenden Besuchern aus dem Boden gestampft wurden, blieb es im Burgenland immer etwas heimelig. Nova Rock, Frequency und Co. haben Wiesen längst abgelöst.
➤ Mehr lesen: Comeback der Musik-Festivals: Ein Sommer wie damals
Dort ist alles größer: Das Gelände, die Bühne, die Namen der Künstler. Denn Musiker haben in den vergangenen Dekaden den Wert der Festivals erkannt: „Für Künstler sind Auftritte bei Musikfestivals eine einfachere Möglichkeit, Geld zu verdienen, als von Plattenverkäufen oder langen Tourneen abhängig zu sein. Das sagte Rishi Bahl, Musiker und Marketingprofessor am La Roche College in Pittsburgh, einmal dem Time Magazine. Als die Plattenverkäufe Anfang bis Mitte der 2000er-Jahre wegen des Wachstums der digitalen Musik stark zurückgingen, begannen die Künstler, sich auf Tourneen zu verlassen, um Geld zu verdienen.
Bahl sagt, dass Festivalveranstalter schnell merkten, dass immer mehr Künstler auf Tournee gingen und beschlossen, ihnen mehr Geld für Auftritte bei ihren Veranstaltungen zu zahlen.
Randale beim Woodstock-Jubliäum
Bei all dem wachsenden Erfolg von Festivals versuchte man zum 30-jährigen Jubiläum Woodstocks 1999 eine Neuauflage. Die scheiterte kläglich. Anders als bei der ersten Ausgabe kamen keine friedlichen Hippies, die sanfte Klänge hören und sich LSD und noch eher leichtem Gras hingeben wollen. Es war ein männerdominiertes Publikum mit viel Durst und Vorliebe für Nu Metal. Es kam zu Schlägereien, sexuellen Übergriffen, Brandstiftung und Plünderungen.
Das klassische Rock-Festival hat sich ohnehin weiterentwickelt. Statt lauter Gitarren regieren zunehmend Hip Hop, Pop und breitentaugliche elektronische Musik. Statt Dreck an Gummistiefeln, Zelte, Bier und Ravioli aus der Dose gibt es komfortable Unterkünfte, saubere WCs, Duschen und Streetfood aus allen Ecken der Welt. Das Publikum wird anspruchsvoller – und will permanent bespaßt werden. „Man taucht in eine Märchenwelt ein. Die Besucher werden niemals losgelassen“, sagte Monika Kohlhofer, Studiengangsleiterin für Sport-, Kultur- und Veranstaltungsmanagement an der FH Kufstein, einmal der freizeit.
Beispiel ist das Tomorrowland in Belgien, das in ein Zauberreich einlädt. Ein Besuch soll nun einmal ein riesiges Erlebnis sein – und das zeigt sich in der Ausstattung. Die Bühnen sind aufwendig dekoriert, manche Festivals setzen auf riesige 3-D-Projektionen.
„Gerade am Abend muss man etwas bieten. Das Publikum honoriert das aber auch sehr. Die Bilder gehen ganz stark auf Social Media“, erklärte Ewald Tatar, Chef der Barracuda-Music-Agentur, die unter anderem das Nova Rock und das Frequency veranstaltet. Ein Post vom Lieblingsstar auf einer tollen Bühne bringt Likes. Und das mögen nicht wenige Menschen.
Möglichst schick und Instagram-tauglich sind Veranstaltungen wie das Coachella in der kalifornischen Wüste, das als Erstes wiederkehrendes Festival 2017 an die 100 Millionen US-Dollar einspielte. H&M bringt hier eine eigene Festival-Kollektion heraus. Stars und Sternchen, die normalerweise nur in sauteure Schuhe schlüpfen, tragen auf einmal Gummistiefel.
Die Krönung der elitären Festivals sollte das Fyre Festival 2017 auf den Bahamas werden, für das fesche Influencerinnen warben. Tageskarten gab es für läppische 500 Euro. Doch das Ganze endete in einem Desaster. Headliner zogen ihre Auftritte zurück, die Unterkünfte waren schleißig, die Verpflegung grausig. Der Veranstalter wurde wegen Betrugs zu sechs Jahren Haft und einer Geldstrafe von 26 Millionen Dollar verurteilt.
Aber für ein Festival auf eine Karibikinsel zu fliegen, ist ohnehin unvernünftig. Im Trend liegen grüne Festivals, die Müll recyceln oder eine klimaneutrale CO2-Bilanz vorweisen können. Ob das angesichts der hinterlassenen Müllberge beim Publikum ankommt, sei dahingestellt.
Melt! zum letzten Mal
Doch der gut geölte Festivalmotor scheint zu stottern. Nicht bei allen Veranstaltungen läuft der Vorverkauf so, wie es sich die Verantwortlichen wünschen. Und in Deutschland hat das allseits gelobte Melt! für dieses Jahr seine letzte Ausgabe angekündigt. 27 Jahre lang feierten Menschen aus ganz Europa zwischen gigantischen Kohlebaggern zu den Klängen von Gitarrenbands und elektronischen DJs.
Auch Popgrößen wie Kylie Minogue oder die Pet Shop Boys schauten in der Blütezeit vorbei: Gegenüber dem MDR sprachen die Festivalmacher von „unüberwindbaren Veränderungen in der Festivallandschaft“. Die Veranstaltung sei nicht mehr zeitgemäß.
Kommentare