Mavie Hörbiger: "Wenn die Leute lästern wollen, sollen sie"
Der Teufel ist eine Frau. Mavie Hörbiger spielt ihn im "Jedermann" zum zweiten Mal und ist damit die erste Frau in dieser Rolle in der Geschichte der Salzburger Festspiele. Im Interview spricht sie unter anderem über die katholische Kirche und ihren Vater, der Liedertexte für Udo Jürgens schrieb.
Vor Salzburg ist Kritzendorf. Mavie Hörbiger sitzt am Strand des Donauufers, vor ihr das kühle Nass, die Kinder spielen, über ihr blauer Himmel. Sie trägt eine schwarze Sonnenbrille und ein blau-weiß gemustertes Oberteil, ihre blonden Haare wehen im Wind. Ab 18. Juli wird ihre tägliche Aufmachung eine andere sein: Dann steht sie bei den Festspielen wieder in Rolle und Kostüm des Teufels auf der Bühne.
Frau Hörbiger, wir gehen ins zweite Jahr mit der neuen Besetzung im "Jedermann" – wie groß ist die Vorfreude?
Mavie Hörbiger: Der Gedanke an Salzburg ist verbunden mit gemischten Gefühlen. Ich habe ein bisschen Angst und freue mich noch nicht so richtig drauf. So schön, wie es vergangenes Jahr war – das kann man gar nicht wiederholen. Es war so ein toller Sommer und wir hatten so einen Spaß. Es kann nicht besser werden, nur schlechter. Am besten wäre, man würde es bei der einen Saison belassen. Aber wenn ich dann in Salzburg bin und alles anfängt, wird sich das schon geben.
Sie sind der erste weibliche Teufel im "Jedermann". Was bedeutet Ihnen das?
Einerseits viel, andererseits nervt es ein bisschen. Es sollte keine Rolle spielen, welches Geschlecht der Schauspieler hat. Ich finde das ein bisschen albern. Die Entscheidung, jetzt eine Frau als Teufel zu besetzen, hat das bewiesen. Derjenige sollte fähig oder der Richtige für den Part sein. Aber die Debatte um die Haare der Buhlschaft hat das Thema ohnehin überlagert. Die Haare haben vergangenes Jahr eine wichtige Rolle gespielt.
Adorno sagte, in der Kunst könne nichts mehr provozieren. Und dann reicht für Salzburg eine Kurzhaarfrisur?
(lacht) Ja, das beruht meiner Meinung nach aber auch auf der Verstärkung des Effekts durch die sozialen Medien. Das ist ein schöner Zünder für so was. Doch so ein richtiger Aufreger war es dann im Endeffekt nicht. Oder?
Die Medien waren voll davon.
Die Medien haben das gut perpetuiert. Aber auch, weil man so einen Aufreger unbedingt wollte. Dabei sieht Verena Altenberger mit kurzen Haaren viel toller aus als mit langen Haaren. Die Kurzhaarfrisur steht ihr richtig gut. Dem Publikum war’s, glaube ich, im Endeffekt wurscht.
Ich mag die sehr gerne. Die ist’n feiner, cooler Kumpel. Ist ein gutes Mädchen.
Und was macht Lars Eidinger aus?
Das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht. Ich habe mit ihm keine Szenen. Und unsere Wege haben sich auch sonst nie berührt, was eigenartig ist, weil wir im selben Alter sind. Er hat aber einen sehr guten Musikgeschmack. Bei einer Party hat er für uns aufgelegt, da war er wahnsinnig gut. Wir haben lange getanzt und hatten riesigen Spaß.
Was interessiert Sie am Teufel? Sie gingen ja auf eine katholische Klosterschule in Bayern.
Ich kann mich zwar an die Darstellungen der gefallenen Erzengel erinnern, mit großen Flügeln und Speeren, aber die fand ich immer ein bisschen fad. Zeichnungen vom Teufel kenne ich komischerweise nicht. Was ich wahnsinnig faszinierend fand, waren die Märtyrer. Je grausamer denen die Haut abgezogen wurde, desto geiler fand ich das. Da habe ich als Kind wohl einen eigenartigen Sadomasochismus entwickelt. Aber ich fand das irgendwie toll.
"Mit diesem Jahr war es das mit meiner Rolle als Teufel. Ich war dann sieben Sommer lang in Salzburg. Ich kann das meinen Kindern nicht mehr länger als Urlaub verkaufen."
Mavie Hörbiger
Auch das Theatrale am Katholizismus?
Alleine die Papst-Wahl, wahnsinnig theatralisch. Die Gewänder, die Kardinäle in Rot, der ganze Pomp, wie so ’ne fette Burgtheater-Inszenierung. In meiner Klasse sind die Mädchen auch immer in Ohnmacht gefallen in der Kirche. Das war schon toll. Wobei ich selber mit der Kirche wenig anfangen kann.
Sie haben den Glauben abgelegt?
Ich bin aus der Kirche ausgetreten. Das hatte mit den extremen Fällen des Kindesmissbrauchs zu tun, die sich dann so gezählt haben – da war ich dann raus. Da wollte ich nicht mein Geld lassen, das geht nicht.
Der "Jedermann" gilt als museal, ist er mit der jetzigen Aufführung endgültig entstaubt worden?
Die meisten, die da Kritik üben, haben das Stück ja gar nicht gelesen. Der "Jedermann" ist mehr Meinung als Stück geworden. Wenn man ihn wirklich begreift, ist er gar nicht museal. Er beinhaltet die großen Themen, hat tolle Rollen, wenngleich keine so tollen Frauenrollen. Ein super Stück, dramaturgisch sehr gut aufgebaut. Und jetzt da angekommen, wo wir es haben wollten. Das ist das Wichtige.
Gehört es dazu, über Salzburg und den "Jedermann" so lange zu lästern, bis man selber dafür engagiert wird?
(lacht) Ich habe nie gelästert. Ich fand das Stück immer schick. All die großen Schauspieler! Ich habe ja große Ehrfurcht vor der Tradition des Berufs. Wenn die Leute lästern wollen, dann sollen sie es tun. Aber dann haben sie’s nicht wirklich gesehen. Es wird schnell gelästert, ohne dass man eine Ahnung hat.
Wie nervös waren Sie bei der Premiere?
Sehr nervös. Mir fehlten vier oder fünf Proben, was ganz schön viel ist. Bei der Generalprobe dachte ich noch: Das verscheißt man jetzt morgen ordentlich. Aber dann gelang es irgendwie doch gut. Manchmal macht die Anspannung was mit einem. Die Erleichterung danach war sehr groß. Von allen. Weil der Druck war schon enorm.
Sind Sie in Salzburg eigentlich wie viele auch mit dem Fahrrad unterwegs?
Ich fahre ungern Fahrrad, leider. Ich finde das aus unerfindlichen Gründen irgendwie demütigend. Die gebückte Haltung beim Fahren, das Absperren, dass man immer richtig dafür angezogen sein muss – da gehe ich lieber zu Fuß oder fahre mit dem Bus. Kinder fahren Fahrrad. Aber ich bin eine erwachsene Frau. Ich möchte damit jetzt allerdings nicht die Fahrradlobby verärgern.
Ihr Lieblingslied von Udo Jürgens?
„Immer wieder geht die Sonne auf“, weil das mein Vater geschrieben hat. Ich mag auch „Merci, Cherie“, das ist ebenfalls von ihm, ich mag seine Texte. Aber vielleicht ja auch, weil ich dabei an meinen Vater denken muss. Er ist jetzt seit elf Jahren tot und ich vermisse ihn immer noch sehr.
Haben Sie mit Ihrem Vater über die Arbeit als Liedtexter für Jürgens gesprochen?
Die haben sich einfach gut verstanden, waren Freunde. Wie der Udo Jürgens war auch mein Vater Barpianist in Nachtklubs, so haben sie sich kennengelernt. Mein Vater konnte sehr gut schreiben, der Udo sehr gut Musik machen. So kamen sie zusammen.
Schreiben Sie auch, ist das etwas, das Sie tun, oder reizt, zu tun?
Ich habe es nie versucht. Andere haben im Lockdown irgendwelche neuen Fähigkeiten gelernt, ich dagegen vornehmlich Alkohol getrunken. (lacht) Ich kann nicht Brot backen, habe die Möbel in der Wohnung nicht umgestellt und mir kein Haustier zugelegt. Stattdessen habe ich Daytime Drinking für mich entdeckt, etwas, das ich früher nie gemacht habe, weil ich ja abends immer auftreten musste. Tagsüber trinken, herrlich.
Wie lange möchten Sie den Teufel spielen?
Ich glaube, mit diesem Jahr war es das. Zwei Jahre, das reicht. Ich war dann, andere Rollen eingerechnet, sieben Sommer lang in Salzburg. Meine Kinder sind Teenager, ich kann ihnen das nicht länger als Urlaub verkaufen. Mein Sohn will nach Paris, die Tochter nach New York. Diese Wünsche muss ich ihnen – vielleicht – erfüllen.
Zur Person
Mavie Hörbiger wurde 1979 in München geboren. Sie ist Christiane Hörbigers Nichte und die Enkelin von Paul Hörbiger. 2001 Start am Theater am Schauspiel Hannover. TV-Serie "Arme Millionäre", mehrere Filme. Seit 2011 Ensemblemitglied Burgtheater. Geschieden von Michael Maertens, Kinder: Wilma, 13, Peter, 10.
(freizeit.at)
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Stand:
Über Alexander Kern
Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.
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