Gottfried Helnwein in der Bibliothek seiner Villa in Irland

Gottfried Helnwein: "Kunst muss gar nichts"

Der Künstler spricht über die Rolle der Kunst, seine neue Sicht auf Wien, die US-Wahlen und wieso er ein Entenhausen in Irland gebaut hat.

Mit dem Thema Gewalt beschäftigt sich Gottfried Helnwein in seinen Werken seit Jahrzehnten. In Zeiten von Krieg und Krisen bekommen sie für viele eine neue Bedeutung. Die einen sind von den Bildern verschreckt, die anderen fühlen sich aufgerüttelt.

Es ist unverkennbar: Wo er auftritt, versammeln sich Menschenmassen. Gottfried Helnwein bewegt mit seiner Arbeit. Er lebt in Irland und Amerika, doch immer wieder zieht es ihn nach Österreich. Besonders Wien hat sich für ihn verändert, erzählt er im Interview.

freizeit: Was verbinden Sie mit Wien?

Gottfried Helnwein: Obwohl ich schon lange im Ausland lebe, ist meine Kunst doch zutiefst in der österreichischen Kulturtradition verwurzelt. Wo immer ich auch in der Welt bin, da ist auch Österreich. Erst durch diese lange zeitliche und räumliche Distanz habe ich die Qualitäten dieser eigenartigen und einzigartigen Stadt wirklich schätzen gelernt.

Inwiefern?

Nach den beiden Weltkriegen und dem Holocaust, war Wien wirklich ein dunkler und depressiver Ort. Aber mit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist eine Art Wunder geschehen, es war so, als wäre Wien aus den Trümmern der Geschichte wieder auferstanden, zu neuem Leben erwacht, und wieder zu einem weltoffenen, kulturellen Zentrum geworden. Als Wiener weiß ich, dass man sich hier gerne dauernd über irgendetwas aufregt und motschkert, aber wenn sie lange genug weg waren, und sich in der Welt umgesehen haben, wird ihnen erst bewusst, wie wunderbar diese Stadt eigentlich ist.

Welche Qualitäten meinen Sie damit konkret?

Allem voran der Respekt für die Kultur. Ich kenne kein Land, das mehr in die Kultur und sozialen Einrichtungen investiert wie Österreich. Dem amerikanischen Imperium zum Beispiel sind Kultur, Bildung und soziale Gerechtigkeit völlig egal, während viele in diesem Land unter dem Niveau der Dritten Welt leben, fließt das gesamte Kapital in den sogenannten "Military Industrie Complex", die größte Militärmaschine aller Zeiten. Friedensnobelpreisträger Obama hat einmal stolz verkündet: "Wir geben mehr für die Rüstung aus als die nächsten zehn Nationen zusammen." Das waren im letzten Jahr 820 Milliarden. Stellen Sie sich vor, man hätte nur einen Bruchteil davon für Friedensbemühungen und Völkerverständigung ausgegeben.

Wenn Amerika so kunstuninteressiert ist, wieso leben Sie dort noch?

Man muss immer unterscheiden, zwischen den Menschen und ihrer Kultur und den herrschenden Eliten und politischen Systemen. Außerdem kommt die Lichtgestalt, die in meinen frühen Kindheitstagen meinem Leben erst einen Sinn verliehen hat, aus Amerika: Donald Duck. Entenhausen ist die positive Seite Amerikas.

Das haben Sie auch nach Irland gebracht.

Ja, wir haben 25 Enten, die hier leben wie die Fürsten. Ich wollte in dieser entlegenen irischen Landschaft ein kleines Sanktuarium schaffen, in dem sich jeder frei und glücklich entfalten kann, die Künstler, die Kinder, die Bäume und die Tiere. Aber vollständiges Glück ohne Enten ist unvorstellbar.

Er würde fast alles anders machen, sagt Helnwein, wenn er noch einmal von vorne beginnen würde.

©APA/AFP/JOE KLAMAR

Ist es aber realistisch, dass Sie Ihren Lebensmittelpunkt wieder nach Wien verlagern?

Mit Wien bin ich sowieso in alle Ewigkeit untrennbar verbunden, aber ich bin ein unruhiger Geist und ich muss immer weiterziehen und an verschiedenen Orten leben.

Wir leben in gewaltreichen Zeiten, zwischen Krisen und Kriegen. Sie stellen Gewalt in Ihren Bildern dar. Könnte das den Menschen nicht zu viel sein?

Die Negativnachrichten von Terroranschlägen, Wirtschaftskrise, Serienmördern und Kriegen, mit denen uns die Medien ständig überfluten, bewirken ja nur eines: Hilflosigkeit, Ratlosigkeit und ein Gefühl des Ausgeliefertseins. Und die Gewissheit, nichts daran ändern zu können, treibt die Menschen in Resignation und Apathie. Aber wenn Kunst sich mit dem Schrecklichen beschäftigt, hat das genau die entgegengesetzte Wirkung: Sie gibt den Menschen die Möglichkeit einer anderen Sichtweise, sie macht es möglich, sich auch mit dem Abgründigen auseinanderzusetzen. Die Unentrinnbarkeit des Schreckens wird durch die Ästhetik transzendiert und relativiert. Durch die Kunst verliert der Tod seine Macht. Die Essenz jeder großen Kunst ist Empathie. Mit meiner Arbeit will ich mich auf die Seite der Opfer stellen und die Menschen auffordern, ihnen ins Gesicht zu sehen.

Allerdings werden auch Ausstellungen von Ihnen verboten.

Die Zensur ist so alt wie die Kunst. Alle wirklich relevanten Künstler sind bekämpft, zensiert und verboten, oder wie man heute sagt, gecancelt worden. Francesco Goya, einer der bedeutendsten Künstler, hat um 1800, als in seiner spanischen Heimat der Aufstand gegen die französische Besatzungsmacht stattfand, in einer Radierungs-Serie die Gräuel des Krieges dargestellt. Er musste sie zurückziehen, weil ihn die Inquisition bedrohte.

Muss die Kunst schreien in Zeiten wie diesen, damit sie gesehen wird?

Kunst muss gar nichts. Sie kann inspirieren, beglücken, aber auch nachdenklich machen oder erschüttern. Es gibt eine Tradition von Künstlern, die sich als Chronisten verstehen und die Menschen dazu bringen wollen, hinzusehen und sie daran hindern wollen zu vergessen, damit sich die Geschichte der Unmenschlichkeit nicht immer wiederholen muss. Wahrscheinlich vergeblich, denn die Menschheit ist zu meisterhaft im Vergessen. Die Katastrophen der ersten beiden Weltkriege sind dem kollektiven Gedächtnis der Menschen offenbar schon wieder entschwunden, denn wir laufen gerade wie die Lemminge auf den nächsten großen Abgrund, den Dritten Weltkrieg, zu, der möglicherweise der letzte sein wird.

"Eine Menschheit ohne Ästhetik, Musik, Literatur, Malerei, Design, Architektur – was bliebe übrig? Das Leben bestünde aus Fressen, Sex, Gewalt und Tod. Erst Kunst verleiht der Existenz Würde."

Gottfried Helnwein

Kann Kunst in Richtung Frieden wirken?

Die Kunst ist die größte Macht der menschlichen Existenz, sie kann alles verändern, aber ihre Wirkung ist nicht immer direkt feststellbar. Sie wirkt langfristiger und tiefer. Stellen Sie sich vor, man würde aus der Geschichte der Menschheit alles entfernen, was mit Ästhetik, Musik, Literatur, Malerei, Design, Architektur zu tun hat. Was bliebe übrig? Ein Dahinvegetieren auf niederstem Niveau, das Leben bestünde aus Fressen, Sex, Gewalt und Tod. Erst die Kunst verleiht der menschlichen Existenz Würde. Kunst und Kreation ist die Gegenkraft von Gewalt und Destruktion. 1937 wurde die kleine spanische Stadt Guernica von den Nazis niedergebombt, 8.000 Menschen wurden dabei getötet, ein Ereignis, das längst vergessen wäre, niemand würde sich auch nur an den Namen der Stadt erinnern. Aber Picasso hat mit seinem Bild den Namen dieser Stadt und die Erinnerung an die Opfer für immer in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt.

Derzeit kristallisiert sich eine Spaltung der Gesellschaft heraus, die politischen Ränder erfahren Zulauf, die Mitte wird leiser. Wie betrachten Sie diese Entwicklung?

Durch eine Flut von Propaganda, die durch die Neuen Medien noch potenziert wird, ist die Gesellschaft gespalten, Menschen werden gegeneinander aufgehetzt und radikalisiert. Und die alten politischen Systeme funktionieren nicht mehr, in Amerika kann man sehen, dass das alte Links-rechts-Paradigma seine Bedeutung verloren hat: Prominente Liberale, also Demokraten, wie Robert Kennedy jr., Tulsi Gabbard, Elon Musk und andere wechseln zu Trump über – und Dick Cheney, Mitt Romney und andere Falken der Republikaner zu Kamala Harris.

Allerdings gibt es in der Berichterstattung Qualitätsmedien, ergo Journalisten, die einordnen und analysieren.

Ich glaube, dass es in diesem aufgeheizten politischen Klima immer schwieriger wird, seine freie Meinung zu äußern, vor allem, wenn sie von offiziellen Narrativen abweicht, aber es gibt immer noch überall auf der Welt heldenhafte Journalisten, die ihr Leben riskieren, um zu berichten, was wirklich geschieht.

Wie glauben Sie gehen die USA-Wahlen aus?

Die politische und gesellschaftliche Situation in Amerika ist katastrophal, das kapitalistische Imperium hat den Höhepunkt seiner Dekadenz überschritten und befindet sich im freien Fall. Es ist wie der zweite Untergang Roms. Bei den Wahlen, die aus einem Malstrom von Propaganda, Manipulation und Hass bestehen, wird es nur einen Gewinner geben: die finanzielle Elite und der Military Industrial Komplex, die Verlierer werden die Menschen sein.

Zurück zu Ihrem Alltag: Wie sieht dieser aus? Woher bekommen Sie Inspiration?

Durch das Leben, ich lese sehr viel und rede mit vielen Menschen überall auf der Welt. Ich versuche mich ständig zu informieren, zu lernen und die offiziellen Narrative zu hinterfragen. Dort wo ich arbeite, lebe ich auch mit meiner Familie und meinen Freunden. Es ist bei uns ein bisschen wie in einer italienischen Großfamilie, ich liebe es, wenn die Kinder mit den Hunden durch alle Räume toben, auch im Atelier, und sie dürfen sogar in meine Bilder hineinmalen. Meine Kinder und Enkelkinder dürfen alles. Ich habe mich nie als Vorgesetzten betrachtet oder als irgendeine Autorität, sondern eher als Verbündeten oder Komplizen. Das Wichtigste für mich ist Freiheit und Unabhängigkeit, und ich denke die Welt würde anders aussehen, wenn wir unsere Kinder mit mehr Respekt behandeln würden.

Zur Person: 

Gottfried Helnwein (75) wurde vor allem durch seine hyperrealistischen Bilder von verwundeten Kindern bekannt. Geboren wurde er in Wien, inzwischen lebt er auch in Irland (seit 2004 ist er auch irischer Staatsbürger) und in Amerika. Er erhielt  zahlreiche Preise, 2021 etwa den Europäischen Kulturpreis für Bildende Kunst.

Die freizeit ist 35 Jahre alt geworden. Wenn Sie Ihrem 35-jährigen Ich etwas sagen könnten, was wäre das?

Ich würde fast alles anders machen, ich würde viel konsequenter und radikaler sein, viel mehr fokussiert auf meine Arbeit, und ich würde mir eine Menge Fehler und Blödheiten ersparen. Das Leben ist ein ständiger Lernprozess, und wenn ich nach all den Jahren nichts dazugelernt hätte, hätte ich völlig versagt.

Marlene Auer

Über Marlene Auer

Chefredakteurin KURIER-freizeit. War zuvor Chefredakteurin bei Falstaff und Horizont Österreich, werkte auch als Journalistin im Bereich Chronik und Innenpolitik bei Tages- und Wochenzeitungen. Studierte Qualitätsjournalismus. Liebt Medien, Nachrichten und die schönen Dinge des Lebens.

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