In royaler Residenz: Spannende Einblicke in das ehemalige Anwesen der Queen

Am Freitag jährt sich der erste Todestag der britischen Königin Elizabeth. Wir haben zu dem Anlass jenes Anwesen besucht, das ihr persönlich gehörte. Von Anna-Maria Bauer

Die vielen Blumen, daran erinnert sich Besucher-Guide Kay immer zuerst. Berge an Blumensträußen, sorgsam vor dem schwarzen Tor von Sandringham abgelegt; dazu: Worte des Danks, des Respekts, der Anerkennung für die verstorbene Königin Elizabeth. So viele Trauergäste kamen vergangenen September, um sich von ihrer Monarchin zu verabschieden, dass die Welle an Bouquets dem Zaun entlang um die Kurve schwappte.

Heute, ein Jahr später, ist der perfekte getrimmte Rasen des Anwesens gut zwei Stunden nördlich von London wieder unbedeckt und der Landsitz im Besitz von "His Majesty", König Charles. Und doch hat hier niemand den Moment vergessen, als BBC-Journalist Huw Edwards am 8. September 2022 um 6.30 Uhr den Tod der Königin verkündete. "Ich war in der Arbeit", erinnert sich der 54-jährige Brite Derry Thompson. "Ich konnte es nicht glauben. Sie war so lange unsere Königin; sie war – um eine britische Redewendung zu verwenden – Teil der Einrichtung." Er ist gespannt, wie es wird, diesen privaten Wohnsitz zu erkunden.

Sandringham in Norfolk ist eines von zwei privaten Anwesen des Königshauses, das zweite ist Schloss Balmoral in Schottland. Sie werden nicht von Steuergeldern finanziert und sind somit Orte des Rückzugs, der Ruhe. Seit jeher werden in Sandringham die Weihnachtsfeiertage verbracht; Fixpunkt ist die Messe am Christtag in der St. Mary Magdalen Church – auch für viele Royal-Fans, die sich entlang des Wegs einfinden, um einen Blick auf die Familie zu erhaschen. Als Mädchen hat die Britin Ann die Aufregung nie verstanden, das Warten war langweilig. Nun, als Besucher-Guide und pensionierte Geschichtslehrerin, kann sie sich nichts Besseres vorstellen, als Interessierten Anekdoten über das Haus zu erzählen.

Für Königin Elizabeth hatte der Ort stets besondere Bedeutung. Ihr Vater, George VI., kam hier nicht nur zur Welt, er starb auch hier am 6. Februar 1952; jenem Tag, an dem Elizabeth 25-jährig Königin wurde. Und so, verrät Ann weiter, sei Elizabeth stets in der Woche vor dem Heiligen Abend angereist und exakt bis zum 6. Februar geblieben.

Giebeln, Türmchen und Kuppen im jakobinischen Stil haben Sandringham ein unverkennbares Aussehen verpasst. Gebaut wurde es in seiner heutigen Form 1870 von Prinz Albert, der später König Edward VII. werden sollte    

©Bauer Anna-Maria

Der persönliche Abschied

Im Rathaus der nächstliegenden Stadt, King’s Lynn, erinnert sich Hausmeister David Hobbs immer noch gerne an das Jahr 2012, als die Königin zu ihrem Diamantjubiläum zu Besuch kam. "Sie war einmalig."

Hotelierin Emma Ryan stand wiederum in der Küche, als sie die Nachricht hörte. Sie brach in Tränen aus. Natürlich hatte man damit gerechnet, aber dann war es doch irgendwie ein Schock. Emma Ryan betreibt die Frühstückspension Manor House ein paar Autominuten von Sandringham. In den darauffolgenden zwei Wochen kam sie den Zimmeranfragen kaum nach: Viele Briten, für die der Weg zum Begräbnis nach London zu weit war, wollten zumindest Sandringham besuchen, um sich zu verabschieden.

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Das letzte Foto von Königin Elizabeth in Sandringham, aufgenommen im Februar 2022

©APA/AFP/BUCKINGHAM PALACE/CHRIS JACKSON

Im übertragenen Sinn empfängt die Königin hier die Gäste noch heute. Sobald man durch die schwere Eingangstür tritt, lächelt sie rechter Hand von einem Porträt. Die Farben so intensiv leuchtend, dass sie für einen Moment lebendig wirkt. Sie trägt einen dunklen Cardigan, "die königliche Variante einer Jogginghose", sagt Hazel, die seit zwei Jahren im Haus als Guide tätig ist. "Ihr gemütliches Outfit" als Sinnbild für dieses sehr persönliche Anwesen.

Anders als beim Besuch von Windsor Castle, in dem man durch imposante Staatsräume geleitet wird, ist hier sofort klar: Man ist in einem Privathaus; die Einrichtung ist warm, einladend. Erst vor zwei Wochen wohnte König Charles hier, war für die Flower Show angereist. Danach wurde einzig der rote Besucher-Läufer ausgerollt und die Absperrungsposten mit den Seilen wieder aufgestellt. Ansonsten bleibt alles so, wie es die Königsfamilie benutzt.

William und Kate besuchten das Blumenmeer vor den Toren Sandringhams 2022  

©REUTERS/MARKO DJURICA

Sanft hat Charles dem Anwesen schon seinen Stempel aufgedrückt. Der Teetisch im weißen „Drawing Room“ steht nicht mehr neben dem Kamin, sondern direkt am Fenster. "Charles möchte nach draußen blicken", sagt Ann. Denn auf der riesigen Rasenfläche vor dem Haus, die im Zweiten Weltkrieg ein Gemüsefeld war, das mithalf, die britische Bevölkerung zu versorgen, nimmt ein riesiger Ziergarten Form an – die Pflanzen ausgewählt mit Fokus auf Biodiversität.

Im Eck des länglichen "Sitting Room" steht der helle, geblümte Ohrensessel, in dem Elizabeths letztes Porträt aus Sandringham aufgenommen wurde. Im Februar 2022, anlässlich ihres Platinjubiläums. Auf dem Foto wirkt der Sessel riesig, sie füllt ihn kaum aus; doch direkt davor stehend, wenn man sieht, wie schmal er ist, wird einem bewusst, wie schmächtig die 96-jährige Königin zu dem Zeitpunkt wohl bereits war.

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Anwesen in Sandringham

©mauritius images / Alamy Stock Photos / LizCoughlan/Alamy Stock Photos / LizCoughlan/mauritius images

Nicht ohne Tea-Time

In der Wand hinter dem Holzkabinett, in dem sich der Fernseher verbirgt, ist wiederum eine Tür versteckt. Dahinter ist jenes Büro, in dem Elizabeths Vater, König George, 1932 die erste Weihnachtsbotschaft aufnahm. Eine Tradition, die Elizabeth fortsetzte; 1957 erstmals als Fernsehbotschaft, gefilmt in der Bücherei. Dort wurde am 14. Jänner 2020 noch einmal Geschichte geschrieben. Die acht höchsten Royals fanden sich ein, um über Harrys und Meghans Wunsch zu beraten, als aktive Royals zurückzutreten. Nach 90 Minuten wurde die Besprechung abgeschlossen – angeblich, damit die Königin ihren Earl Grey Tea wie gewohnt um 16 Uhr einnehmen konnte.

Das Porträt von Königin Elizabeth und Kronprinz Philipp entstand anlässlich ihres 30. Kronjubiläums im Februar 1982

©PA Images via Getty Images/Ron Bell - PA Images/Getty Images

Zwischen Lady und Admiral Tea (und einem halben Dutzend weiterer Schwarztee-Varianten) können Gäste im Restaurant wählen, wenn sie sich nach dem Rundgang einen Afternoon Tea genehmigen.

Und apropos Afternoon Tea: Einmal, so wird in britischen Medien zitiert, habe die Königin festgestellt, dass es keinen Kuchen zum Tee gab. Darauf habe sie ihr Kopftuch angezogen und ging ins Dorfcafé, um Nachschub zu holen. "Meine Güte", sprach sie dort eine ältere Dame an. "Sie sehen ja aus wie die Königin." – "Wie beruhigend", erwiderte die Queen, wählte den Kuchen und bevor jemand die Dame aufklären konnte, war die Queen auch schon verschwunden.

Süßer Tour-Abschluss: Afternoon Tea 

©Bauer Anna-Maria

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