
Der Geist der Ekstase: Dem Phänomen Rolls Royce auf der Spur
Kaum eine Automarke verkörpert Prestige, Perfektion und Pferdestärke so eindrucksvoll wie Rolls-Royce. Zum 100. Geburtstag des Phantom-Modells, das bis heute Königinnen und Weltstars chauffiert, hat die Freizeit die Manufaktur in Südengland besucht. Eine Reise zu einem Meisterwerk auf Rädern.
Die riesige Autotür schließt mit einem dumpfen, überraschend befriedigenden Klack. Dafür muss man sich nicht aus dem Auto lehnen – sie ist mit ihren eineinhalb Metern ohnehin so wuchtig, dass man den Griff vom Fahrersitz aus kaum erreichen könnte. Ein Druck aufs Bremspedal genügt. Über einem funkeln kleine Lichter – sie sollen einen Sternenhimmel imitieren. Und als das Auto die geschwungene Auffahrt hinaufrollt, dringen die Geräusche der Außenwelt nur sanft und gedämpft heran – als wäre man in eine weiche Decke gehüllt.
Ob sich der Brite Henry Edmunds ausgemalt hatte, was er mit seinem Vorschlag anstoßen würde, als er am 4. Mai 1904 das erste Treffen zwischen seinen beiden Freunden Charles Rolls und Henry Royce organisierte?
Zunächst war Charles Rolls etwas skeptisch. Der Spross einer aristokratischen Familie hatte schon in der Schulzeit seine Vorliebe für Motoren entdeckt. Ein ungewöhnliches Hobby für einen britischen Adeligen – in Eton nannte man ihn deshalb „Dirty Rolls“. Doch er ließ sich nicht von seinem Weg abbringen, studierte in Cambridge Maschinenbau und war dort der erste Student, der ein Automobil besaß. 1903 knackte er theoretisch in Dublin auch noch den Geschwindigkeitsweltrekord, als er mit einem 30 PS starken Mors auf 133 km/h kam. Doch weil die Zeitmessgeräte nicht genehmigt waren, wurde seine Leistungen nicht erkannt.
Ein Treffen mit Folgen
1904, im Alter von 26 Jahren, war er jedenfalls ein gewiefter Geschäftsmann und erfolgreicher Luxusautoverkäufer. Jedoch: mit einer Vorliebe für ausländische, vor allem französische Autos.

Charles Rolls erkannte die Qualität der Royce-Fahrzeuge auf den ersten Blick.
©SSPL via Getty Images/Science & Society Picture Library / Rolls-Royce Motor CarsAls er am 4. Mai im Midland Hotel in Manchester dem 41-jährigen Henry Royce gegenübertrat und daraufhin dessen 10-PS-Zweizylinder Probe fahren konnte, sah er das Potenzial sofort: das überraschend leise Fahrerlebnis, die unmittelbare Reaktionsfähigkeit, die akribische Liebe zum Detail von Royce. Noch vor Ort bot Charles Rolls Henry Royce an, künftig alle Autos zu verkaufen, die dieser produzieren konnte – unter dem neuen Namen: Rolls-Royce.
Fast auf den Tag genau 21 Jahre später folgte der nächste Meilenstein. Am 2. Mai 1925 verließ das erste Phantom-Modell die Werkstatt. Auch wenn alle Autos der britischen Marke ausnehmend hochwertig sind: Dieses Modell hat es Staatsoberhäuptern, Königinnen und Superstars besonders angetan, verbindet es doch wuchtige Souveränität und verspielte Eleganz besonders gut.

Die britische Königsfamilie lässt sich mit Vorliebe in Rolls-Royce kutschieren.
©Getty Images/Anwar Hussein/Getty ImagesEs war ein Phantom VI – mit dem Heiligen Georg im Kampf mit dem Drachen anstelle der berühmten „Spirit of Ecstasy“-Kühlerfigur – der Königin Elizabeth II. 1977 zum 25. Thronjubiläum überreicht wurde. Premierminister Winston Churchill ließ sich in den 1930ern wiederum in einem schwarz-grünen Phantom II herumkutschieren. Das „Green Car“ wird übrigens am heutigen Samstag versteigert; der Besitzer erhofft sich 150.000 Euro.
Aber auch Beatles-Musiker John Lennon ließ sich einen Phantom anfertigen (und ihn mit psychedelischen Farben verzieren). Fußballstar und Luxusautoliebhaber David Beckham bestellte eine Coupé-Variante, Sängerin Jennifer Lopez bekam ein bordeauxrotes Modell zum 33. Geburtstag geschenkt, und Unternehmerin Kylie Jenner gönnte sich mit 21 Jahren einen silbernen Phantom.

In wahlhabenden Regionenwie Monaco ist ein Rolls-Royce nie fern.
©Getty Images/BrianScantlebury/istockphotoUnd so hat die den 100. Geburtstag dieses Flaggschiffs zum Anlass genommen, hinter die Kulissen zu blicken: Was macht die Faszination dieses Fortbewegungsmittels aus? Und warum kann ausgerechnet ein Rolls-Royce die High Society überzeugen?
Natürliche Perfektion
Das goldene Doppel-R auf der violetten Tafel sticht sofort ins Auge, wenn man von der Claypit Lane in The Drive einbiegt. Linker Hand glitzert ein schilfumrahmter Teich und dann baut sich, überraschend flach und modern, das würfelige Gebäude der Rolls-Royce-Zentrale am Goodwood Estate in West Sussex, Südengland, auf. (Hierhin wurde der Firmensitz 2003 von Cheshire, Nordengland, verlegt, als Rolls-Royce von der Motorengruppe BMW aufgekauft wurde.)
65 Lindenbäume führen zum Eingang – jede einzelne Krone ist zu einem perfekten Würfel gestutzt. Milde lächeln die Erfinder dann in der Whispers Lounge von überlebensgroßen Gemälden, die einem kurz einen Schreck einjagen, wenn sie sich auf einmal leicht bewegen – wie die Gemälde der Harry-Potter-Welt.

Prinzessin Anne inspizierte die Produktionshalle vergangenen Dezember.
©Rolls-Royce Motor Cars„Kleinigkeiten“, wird Henry Royce auf einem Wandtattoo am Weg in die Produktionshalle zitiert, „machen die Perfektion aus; aber Perfektion ist keine Kleinigkeit.“
Die Halle ist hoch, lichtdurchflutet und – das überrascht am meisten – leise. Die Mitarbeiter sind konzentriert auf ihre Arbeitsschritte oder ins Gespräch vertieft, während sich glänzende Karossiereteile wie bei einem Skilift in regelmäßigen Abständen in die Schlange reihen; 450 Stunden, wird erklärt, sind im Schnitt nötig, um einen Rolls-Royce zu bauen. Und rund neunzig Paar Hände.
In einer Zeit, in der Routinearbeit vermehrt von künstlicher Intelligenz übernommen wird, entstehen die Limousinen der luxuriösen Automarke inmitten der rollenden Hügel des South Down Nationalparks weiterhin per Hand. Und so fällt auf der Tour ein Wort besonders häufig: Handwerkskunst.

Henry Royce setzte mit seinen Qualitätsansprüchen neue Maßstäbe.
©Rolls-Royce Motor CarsIn einem abgetrennten Arbeitszimmer inmitten der Produktionshalle sitzt Mitarbeiterin Audrey über ein Holzpanel gebückt, auf dem sich Blumen aus Holz entfalten. Die asiatische Technik, bei der hauchdünne Furnierstücke ausgeschnitten, arrangiert, auf eine Trägeroberfläche geklebt und anschließend geschliffen werden, nennt sich Intarsienkunst. „Es ist ein bisschen wie ein Puzzle“, sagt Audrey und schiebt ein Stückchen helles Holz, das ein Blütenblatt darstellt, mit einer Art Pinzette an die richtige Stelle.
Ausnahmen als Norm
Vierzig Stunden würde es brauchen, um die sogenannte Galerie – ein Panel im Armaturenbrett – zu gestalten. Solche Sonderanfertigungen sind keineswegs die Ausnahme. Während die meisten Menschen nach Bindung und Zusammengehörigkeit suchen, streben Superreiche vor allem nach einem: sich abzuheben. Und so konzentriert sich Rolls-Royce mehr denn je auf die Einzigartigkeit seiner Produkte.
Vergangenes Jahr wurden mit 5.712 Autos zwar weniger als im bisherigen Rekordjahr 2023 verkauft (da waren es 6.032), aber mit den Gesamteinnahmen war das Unternehmen dennoch äußerst zufrieden – weil es deutlich mehr Sonderanfertigungen gab. Während ein Rolls-Royce also theoretisch ab 300.000 Euro zu haben wäre, werden die Limousinen im Schnitt zum doppelten Preis verkauft.
Derzeit werden zudem 350 Millionen Euro in die Produktionsstätte investiert, um noch individuellere Versionen bauen zu können. Neben der Intarsienkunst soll das mit holografischen Farben, handgefertigten Leder-Stickereien oder filigranen Kunstwerken auf der Motorhaube realisiert werden.
Auch David Beckham war die Standardausgabe des Phantom Coupé nicht genug. Er dürfte sein Fahrzeug mit getönten Scheiben, einer schwarzen Spirit-of-Ecstasy-Kühlerfigur und riesigen schwarzen 24-Zoll-Radfelgen versehen lassen haben.

Jeder Aspekt ist bis ins Detail abgestimmt und auf Perfektion getrimmt.
©Rolls-Royce Motor CarsRapper Jay-Z war bei seinem Cabriolet wohl nicht nur mit vier Sitzplätzen und einem abnehmbaren Kohlefaserdach zufrieden. Er soll, so munkelt die Branche, Besitzer jenes eisblauen Modells sein, das zwei seitlich aufklappbare Fächer im Heck erhalten hat, die Champagnerkühler, Picknick-Set und sogar einen Sonnenschirm beherbergen.
Die Goldversion
Doch das vielleicht aufregendste Fahrzeug kam 2024, zum 60. Jubiläum des Bond-Klassikers „Goldfinger“, auf die Straße. Drei Jahre lang wurde an dem Phantom Goldfinger gearbeitet; das Auto mit verspielten Akzenten versehen: Im Kofferraum befindet sich ein goldener Golfputter, der an den Schläger erinnern soll, den Bösewicht Auric Goldfinger bei seiner ersten Begegnung mit James Bond verwendete. Die Kühlerhaubenfigur wurde mit 18-karätigem Gold veredelt. Das Starlight – die Lichter in der Innenseite des Fahrzeugdachs – imitiert den Sternenhimmel über dem Schweizer Furkapass. Und zwar die Konstellation vom 11. Juli 1964, als die Verfolgungsjagd zwischen Goldfinger und Bond gedreht wurde. Design der allerhöchsten Stufe.

Die eindrucksvolle Spezialanfertigung zum 60. Jubiläum des Bond-Klassikers Goldfinger.
©Rolls-Royce Motor CarsDie beiden Männer, die all das begründeten, konnten die Früchte ihrer Arbeit kaum feiern. Charles Rolls verunglückte 1910 im Alter von nur 32 Jahren bei einem Flugunfall. Die Nachricht traf Henry Royce schwer; sein Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide, bis er 1933 verstarb.
Dabei hat sich ihre Vision nie von ihnen entfernt – weder im Geist noch geografisch. Der Londoner Showroom liegt einen Steinwurf von Charles Rolls’ Elternhaus, das Werk in Goodwood keine halbe Stunde von dem Strandort, an dem sich Henry Royce für seine letzten Jahre zurückzog.
Nicht von dieser Welt
Wie ein abwartender Panther ruht eines der neuesten Modelle – ein elektrischer Spectre – nach dem Rundgang vor dem Eingang; selbst die blau-grün-schwarze Lackierung erinnert an das schillernde Fell der Raubkatze.

Es ist fast surreal, damit auf die schlaglochreiche Landstraße zu fahren (auch wenn die dicken Reifen und die spezielle Federung Unebenheiten gut schlucken). Wenig später rumpelt auf der anderen Straßenseite ein Lkw vorbei – der Kontrast könnte kaum größer sein. Ständig fällt der Blick auf den Tacho, um sicher zu gehen, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht überschritten wird. Denn der 2,5 Tonnen schwere Panther gleitet mühelos über die Straße. So muss es sich anfühlen, zu den obersten Zehntausend zu gehören.
Viel zu schnell kommt dann das Doppel-R des Eingangsschilds wieder in Sicht: Man ist doch gerade erst in Fahrt gekommen.
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