Arno Geiger: "In der Begegnung mit der Welt gewinnt man Freiheit"
Vergangenes Jahr vertraute uns Schriftsteller Arno Geiger sein "glückliches Geheimnis" an. Jetzt erscheint sein neuer Roman "Reise nach Laredo". Ein Interview über Freiheit, Scheitern und die Tür zum Glück.
Es mag überraschen, dass Arno Geiger nach seinem zuletzt erschienenen Buch über Scheitern und Erfolg in seinem Leben jetzt eines über Kaiser Karl V. vorlegt. Doch für den Schriftsteller gehören „Das glückliche Geheimnis“ und „Reise nach Laredo“ zusammen. "Das eine ist autobiografisch, das andere vollständig fiktional." Das eine zeige Zwänge ohne Ende, das andere vollkommene Freiheit. "Es sind die gleichen Themen", so Geiger.
Im neuen Roman schickt er den römisch-deutschen Kaiser, der sich nach dessen Abdankung schwerkrank ins spanische Kloster von Yuste in der Extremadura zurückgezogen hat, auf einen Abenteuerritt mit seinem unehelichen elfjährigen Sohn Geronimo. Eine skurrile Geschichte voller Begegnungen, die genauso gut in Texas spielen könnte, denn Arno Geiger hat sich Inspiration aus der Westernwelt geholt.
Muss man manchmal ein Maultier reiten, statt aufs Pferd zu steigen?
ARNO GEIGER: Ja, man muss wirklich zwischendurch auch mal vom hohen Ross steigen. Wer das nicht schafft, geht zugrunde.
Sie holen Karl V. nicht nur vom hohen Ross, sondern setzen ihn auch nackt in die Badewanne, vor den Augen seiner Bediensteten. Warum spürt er keine Scham?
Das ist ein Moment der Freiheit. Warum soll jemand, der seine Königskrone und Kaiserkrone niederlegt, sich für seine Nacktheit schämen? Das ist ja genau das, was er sein will. Er möchte Mensch sein. Mit seinem Rücktritt geht der Wunsch einher, Privatperson zu sein. Er war ja mit 16 spanischer König, mit 20 römisch-deutscher Kaiser; und dann bricht er aus und sagt, ich will nicht mehr! Unglaublich, dass er das schafft. Denn in einer unbequemen, schwierigen Situation zu verbleiben, ist, wie man im Alltag oft sieht, leichter, als die Situation zu ändern.
Weil man sich davor fürchtet?
Menschen haben weniger Angst vor dem, was sie kennen, so unangenehm es auch ist, als vor der Ungewissheit, was da kommen könnte. Und Karl hat die Kraft, diese sehr schweren Kronen runterzunehmen. Letztlich geht es um eine Befreiung in diesem Rücktritt. Und ich erzähle die Geschichte, wie diese Befreiung hätte gelingen können.
Vergangenes Jahr haben Sie uns Ihr glückliches Geheimnis verraten, ihren „glücklichen Wahnsinn“. Haben Sie das jemals bereut?
Nein, überhaupt nicht. Es ging ja in dem Buch auch um das Erlangen von Freiheit. Als Verschwiegenes wollte ich das nicht mit mir herumtragen, ich wollte davon erzählen können. Ich habe nach Nachrichten aus Weggeworfenem gesucht, nach Zweitrangigem, aus der Mode-Gekommenem, Unspektakulärem, Alltäglichem.
Wie war das für Sie?
Als ich Anfang 20 war, in erster Generation unter die Akademiker aufgerückt bin und mich dann als Mülllsammler in den Straßen Wiens betätigte, empfand ich das als den ersten Schritt zum kompletten Scheitern – dass ich irgendwann ein verkrachter Künstler sein werde. Denn es war ungewiss, wie das alles ausgehen wird.
Doch dann haben Sie den Deutschen Buchpreis gewonnen, wie hat sich Ihr Blick aufs Scheitern gewandelt?
Erst als ich erfolgreich geworden bin, hat dieses Müllsammeln in den Straßen Wiens ein anderes Bild bekommen. Da hab ich das in gewisser Weise in einem Gestus der Freiheit gemacht. Einerseits war ich eine Säule der Gesellschaft, andererseits ein Outcast für einen Tag in der Woche, an dem ich die bürgerliche Person sterben ließ. Das ist auch bei Karl so. Er tritt zurück und lässt die Majestät sterben, um er selber sein zu können.
Karl V. verlässt in Ihrer Geschichte das Kloster und begibt sich mit dem elfjährigen Geronimo auf ein Abenteuer mit vielen Begegnungen. Wofür stehen diese?
Kraft der Fantasie, der Literatur, gebe ich ihm die Chance, sich selber zu begegnen. Ich glaube, dass der Rückzug in ein Kloster der falsche Weg war, wenn auch für ihn der einzig gangbare. Die Begegnung mit der Welt, mit anderen Menschen, macht uns ja die eigene Person vertrauter, weil wir den besseren Vergleich haben.
Sehen Sie da Nachholbedarf in unserer Gesellschaft?
Mit „Ich brauch mehr Zeit für mich selber“ wird ja eher der Rückzug propagiert. Und ich glaube eben auch, angelehnt an Kierkegaards Worte, die Tür zum Glück geht nach außen auf. Weil in der Begegnung mit der Welt gewinnt man Freiheit, realisiert sich Glück. Und das ermögliche ich meinem Karl.
Es scheint auch ein Weg aus der Einsamkeit zu sein. Freundschaft kann er aber nicht. Warum?
„Ich identifiziere mich viel mehr mit diesem jungen Mann, der in den Straßen Wiens unterwegs ist und nicht weiß, wie es weitergeht.“ (Arno Geiger)
Es fehlt ihm die Erfahrung, weil es das in seinem Leben nie gab. Er war der mächtigste Mann des Abendlandes seiner Zeit. Alle wollten etwas von ihm, er konnte die Widersprüche seiner Zeit nie wirklich auflösen, stand immer zwischen allen Stühlen.
Was bedeutet Ihnen Freundschaft?
Freundschaft in der reinen Form gibt es ja nicht. Ich bin auch mit meiner Frau befreundet. Also natürlich ist es eine Liebesbeziehung, aber es ist eben auch Freundschaft. Auch mit meinen Geschwistern bin ich befreundet und ich hab einige wenige sehr alte Freunde, bei denen ich froh bin, dass ich sie von Jugend an kenne. Für die bin ich einfach nur der Arno. So wie Karl eben gerne nur Karl wäre.
Ihr plötzlicher Erfolg hatte also Einfluss auf Ihre Freundschaften?
Erfolg ist nichts, wenn man ihn nicht teilen kann. „Es geht uns gut“ hat mich beruflich in eine ganz andere Region katapultiert. Und danach bin ich immer noch erfolgreicher geworden. Das hat nicht jede Freundschaft ausgehalten. Der Umgang wird teilweise schwieriger. Darum mag ich es nicht, wenn man mich nur als den Erfolgreichen sieht. Ich identifiziere mich viel mehr mit diesem jungen Mann, der in den Straßen Wiens unterwegs ist und nicht weiß, wie es weitergeht. Der auf 30 Quadratmeter lebt, mit Klo am Gang. Das hat mich viel stärker geprägt, als alles andere. Klar, ich war Mitte 30 erfolglos – ökonomisch betrachtet. Darum bin ich so froh, dass ich mit meiner Frau schon so lang zusammen bin. Es ist gut, dass sie mich als Erfolglosen genommen hat.
Ist es also ein Glück, dass Sie diese erfolglose Zeit erlebt haben?
Zur Person
Arno Geiger, 1968 in Wolfurt in Vorarlberg geboren, lebt ihn Wien. 2005 hat er mit „Es geht uns gut“ den Deutschen Buchpreis gewonnen. Es war der Beginn als bekannter Erfolgsautor. Er sagt: „Meine Ehe ist meine größte Lebensleistung.“ Seine Frau ist auch die Erste, die seine Bücher zum Lesen bekommt.
Ja, weil es gut ausgegangen ist, aber nur deshalb. Dass es gut ausgegangen ist, beweist nichts fürs Leben. Oft geht es nicht gut aus. Krisen bekommen ihre Bedeutung ja vom Ende her zugewiesen. Dadurch, dass dieser Versuch, einen Traum zu verwirklichen, gut geendet hat, war es richtig, was ich getan habe. Ob ich das, wenn es schiefgegangen wäre, auch so sehen würde, weiß ich nicht. Es ist wichtig, einen Traum zu verwirklichen, aber manchmal ist es auch wichtig loszulassen und sich nicht zu verbeißen.
Karl lässt los, als er in einer Party-Szene erst schwerfällig, dann befreit tanzt ...
Es ist das emotionale Zentrum der Geschichte. Tanzen hat etwas Momenthaftes, es denkt nicht an die Vergangenheit, es denkt nicht an die Zukunft. Das war Karl nie vergönnt. Und das muss man auch erlernen, sich fallen zu lassen.
Tanzen Sie auch gerne?
Ich habe schon als Jugendlicher gerne getanzt. Ich tanze auch gerne zur Musik der Achtziger, ich mag Depeche Mode.
Und Country? Sie zitieren zu Beginn des Buches aus dem Song „The Streets of Laredo“. Sind wir auch in Texas und nicht nur in Spanien unterwegs?
Ja, die Zeit ist aufgehoben in dieser Erzählung. Als Künstler, also wenn ich eine Form suche, um die es mir geht, ist es gerade bei diesem historischen Stoff wichtig, dass ich einen Raum betrete, in dem ich die 500 Jahre Abstand überbrücken kann. Es gibt ein texanisches und ein spanisches Laredo, und für mich hatte es etwas Westernhaftes, dass zwei ausreiten ins Ungewisse, Ausgestoßenen begegnen, Geschäftsleuten begegnen. Es gibt ein Hotel mit Wirtsstube, einem Saloon, es wird Karten gespielt, Liebschaften werden angebahnt.
Das klingt, als hätten Sie Spaß beim Schreiben gehabt ...
Viel Freude, würde ich sagen. Die Geschichte ist ein Nährboden und auch eine Art Brandbeschleuniger für das, um was es mir geht. Das lerne ich zunehmend, je älter ich werde, dass eine gute Narration wichtig ist. Damit ich nicht Behauptungen platziere, Dinge, die mir wichtig sind, nicht aneinanderreihe. Sondern, dass diese skurrile, abenteuerliche Erzählung Leben bekommt, anschaulich wird, Atem und Pulsschlag bekommt.
Was braucht man, um sich im Leben auf den Weg zu begeben?
Man braucht Mut, man braucht Kraft, die Menschen sind mühsam. Mühsamer als Romanfiguren. Sie widersprechen, haben einen eigenen Kopf, sind heute so und morgen anders. Der Mensch ist widersprüchlich, vielgesichtig wie Karl. Und darum darf man sich nicht zurückziehen. Wenn man aufhört, sich diesem Schwierigen an den Menschen auszusetzen, dann hält man sie ja überhaupt nicht mehr aus (lacht).
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