Eine kleine Welt ganz groß: Der Vorarlberger Bregenzerwald im Winter
Die Winterstille erleben, das geht ganz wunderbar im Vorarlberger Bregenzerwald. 23 Dörfer, zwölf Hauben-Restaurants, eine mit Preisen überhäufte Architektur – aber kein Après-Ski und Promi-Gewusel. Stattdessen eine Region, die unerwartet lässig auftritt.
Von Nicola Afchar-Negad
Klopf-klopf links, klopf-klopf rechts. Der Schnee fällt von den Skischuhen ab und man betritt den "Hirschen“ am Schwarzenberg. Das erste Haus am Dorfplatz thront da seit 268 Jahren, mit seiner tiefdunklen Holzschindel-Fassade und der unverwüstlichen Parkbank, auf der Skifahrer auf den nächsten Bus Richtung Bödele warten. Der Hirschen macht seinem Namen Ehre, denn er ist der Platzhirsch hier in Schwarzenberg, einem von 23 Dörfern des Bregenzerwaldes, in denen rund 32.000 Menschen wohnen.
Die Dorfkirche liegt gleich schräg gegenüber, das Ende der Skipiste vor dem Stiegenaufgang. Wer das Gasthaus mit den schweren Winterstiefeln betritt, hört den knarrenden Holzboden, duckt sich im Türrahmen und geht aus dem Weg, wenn die Kellnerin "Hofele“, also "Vorsicht“ rufend mit heißen Tellern in den verwinkelten Gängen umherhuscht.
Einzigartiger "Wald“
An einem der Tische in den Stuben steht Franz Fetz, der Senior-Chef des Hauses, er kennt hier, man kann es sich denken, fast jeden. Die Geschicke des Hauses lenkt längst die jüngere Generation und das merkt man. Im Restaurant gibt’s Gastspiele von Szenegastronomen, wie den Machern des Wiener "Mochi“ und musikalisch wird "Nino aus Wien & Philipp Lingg“ (28. Februar 2024) serviert. Die Zimmer und Suiten sind Künstlern gewidmet und bald kommen Apartments ("Hirschen Homes“) im Nebenhaus hinzu. Im Frühling 2024 gibt’s dann noch ein Badehaus obendrauf. Das alles ist so lässig und nonchalant, dass auch die niederländische Vogue schon berichtet hat. Auf 28 Seiten.
Es ist gar nicht so leicht dahinterzukommen, was nicht nur den "Hirschen“, sondern den gesamten Bregenzerwald so einzigartig macht. Winterdestinationen und Holzhäuser gibt es in Österreich wie Schnee aus der Schneekanone, aber eben nicht so wie hier im Westen des Landes. Selbst für die Vorarlberger ist der "Wald“ ein ganz spezielles Eck, mit eigenen Menschen – so hört man.
Nicht weit vom Bodensee entfernt begibt man sich hier, irgendwo hinter Bregenz, in eine andere Welt. Der Wald, der eigentlich eher ein Talkessel ist, war lange Zeit vom Rest des Landes quasi abgeschnitten. Bis vor sechzig Jahren gab es nicht einmal eine Verbindung nach Warth-Schröcken, dem Verbindungsglied zu Lech und Tirol.
Ergo war man es gewohnt, sein eigenes Ding zu machen. Und das in Perfektion. Architektur und Möbeldesign suchen ihresgleichen vergebens, mit dem "Werkraum“ in Andelsbuch und unzähligen Architektur-Touren kann man sich selbst ein Bild davon machen.
Heute stehen das klassische Bregenzerwälder-Haus und die vom japanischen Star-Architekten entworfene Bushalte-Station direkt nebeneinander. Ja, selbst die "Bushüsle“ in Krumbach würden es locker in die Vogue schaffen.
Dazu kommen ganze zwölf Hauben-Restaurants und eine gelebte Käsetradition, die ebenfalls weit über die Grenzen hinaus bekannt ist. Zum Beispiel in Doren, im vorderen Bregenzerwald: Um die vorletzte Jahrhundertwende war das Dorf der Sitz der Landeskäsereischule, von hier aus wurde der Kaiserhof in Wien beliefert. Das brachte den Einwohnern einen gewissen Wohlstand ein und damit wiederum auch Spott und Häme. In den Nachbargemeinden wurde Doren gerne als "Klein Wien“ belächelt. Nein, das war nicht als Kompliment gedacht; seit fünf Jahren gibt es übrigens mit "Unser Klein Wien“ das passende Café zur Anekdote.
Wer den Käse von heute verkosten möchte, pilgert zum Käsekeller Lingenau. Der Blick in den Keller offenbart über 50.000 Laibe – und vielleicht auch einen der Roboter, die hier arbeiten. Die tragen unter anderem den Vornamen des Geschäftsführers sowie des aktuellen und früheren Landeshauptmanns. Letzteres ist durchaus eigen und damit irgendwie typisch Bregenzerwald.
Keine Überdrüber-Freundlichkeit
Der Bregenzerwälder gilt en gros als eher reserviert, die Überdrüber-Freundlichkeit, die man aus anderen Landglück-Orten kennt, wird man in Bezau, Andelsbuch und Schwarzenberg eher nicht finden – aber im besten Fall auch gar nicht erst suchen. Dennoch überrascht es nicht, dass viele Junge, die ihren Heimatort einst verlassen haben, doch wieder zurückkehren. Mit im Gepäck: großstädtische Ideen und Haltungen.
Genau so entstand etwa das "Bezau Beatz“-Jazz-Festival und auch das FAQ-Bregenzerwald-Forum hat inhaltlich London oder Berlin-Niveau. Nur, dass dort dummerweise die atemberaubende Landschaft, die Almen, Felder und die wilde Bregenzerach fehlen würden. Beim FAQ-Forum geht es um die wichtigen und richtigen Fragen zur Zeit und auch das passt zur Region.
Wer es sich etwa auf dem Balkon des Hirschen gemütlich macht und den Blick Richtung Hangspitze richtet, hat meist die für ihn richtigen Antworten fürs Jetzt.
Im Wintermärchenwald
Die Hangspitze ist einer der Lieblingsberge von Peter Fetz vom "Hirschen“. Als Teil eines Führungstrios will er Hotel und Gasthof nicht mehr als "klassisches Ski-Hotel“ positioniert sehen, denn „dafür gibt es Hotels in Regionen, die zuverlässiger liefern können“, sagt er. Seine Erfahrung zeigt, dass die Erwartungen andere geworden sind: "Wir begrüßen immer häufiger Gäste, die an einem schönen Ort sein wollen und abseits des großen Trubels. Sie gehen vielleicht ein oder zwei Mal Skifahren, machen eine Schneeschuhwanderung, besuchen den Werkraum in Andelsbuch oder ein Museum in Bregenz und verbringen ein oder zwei Tage am Kamin bei uns.“
Fetz’ Vision für den Familienbetrieb: einen urbanen Platz im ländlichen Raum zu schaffen. Er will mit der Zeit gehen: "Mit der sogenannten Wahrung der Tradition habe ich so meine Probleme. Der kleinste gemeinsame Nenner aller zehn Hirschen-Generationen war und ist die Weltoffenheit“, sagt er. Das mit dem urbanen Anspruch hat Fetz hinbekommen – und ist damit in guter Gesellschaft. Zum Beispiel in jener von Susanne Kaufmann, ein Guru der Naturkosmetik und das seit 20 Jahren. Diesen Sommer verkündete sie ihre Kooperation mit der Londoner Parfummarke Byredo.
Die Körper- und Parfumöle tragen den Kollektions-Namen "Bregenzerwald“ und sollen – so der Marketingtext – die „Schönheit und Frische der Landschaft einfangen, in der sattgrüne Kiefern schützend über die Berge wachen“. Unabhängig davon spricht auch der Hirschen-Chef davon, dass der Bregenzerwald für ihn nach einer Mischung aus Bergluft und Kaminfeuer rieche.
Genau diese Frische bekommt man vor allem im Winter reichlich, wenn man durch die Moore und Mischwälder – vorwiegend Buchen, Tannen und Fichten – streift, den Bilderbuchberg Kanisfluh als imposante Konstante fast immer fest im Blick. Das geht auch gut in Gesellschaft. Der Bregenzerwald-Tourismus lädt zu kulinarischen Winterwanderungen, Fackelumzügen und Rundgängen zur Dorf- und Baukultur
"Ich glaube, das Besondere am Bregenzerwald ist, dass wir architektonisch die 1960er- und -70er-Jahre verschlafen haben“, lacht Peter Fetz, angesprochen auf die hoch gepriesene Architektur. Er ist davon überzeugt, dass der Wälder langfristig plant und sein zurückhaltendes Wesen gepaart mit einer gewissen Sturheit "zu interessanten Dingen führt“.
Man kommt also für die Winterruhe, wenn der Schnee auf zauberhafte Weise die Alltagsgeräusche dämpft – oder die zeitgeistigen Festivals. Und womit geht man nach Hause? So etwas wie Souvenirläden findet man im Wintermärchenwald einfach nicht. Wenn es nach Gastgeber Fetz geht: „Käse und Erinnerungen. Vielleicht auch mit dem Vorsatz, mehr schöne Dinge zu tun. Und sollte man bei uns im Hirschen gewesen sein, eventuell auch eines unserer Ferments“, grinst er. Eines ist der Bregenzerwälder nämlich auch: ganz schön geschäftstüchtig.
Anreise
Mehrere Züge, auch Autoreise- und Nachtzüge, verbinden Ost- und Südösterreich mit Vorarlberg. Von Dornbirn aus fahren die Buslinien 850, 860 und 870 verschiedene Orte im Bregenzerwald an. Mit dem Auto via Innsbruck – Landeck – Arlberg-Straßentunnel oder -Passstraße; via Landeck – Silvretta-Hochalpenstraße; via Reutte – Lechtal.
Tipps
ERLEBEN
Kulinarisches Winterwandern: Gutscheine (ab 52 Euro pro Person) für Frühstück, Mittagessen und Dessert entlang verschiedener Wanderwege im Wald. Via Bregenzerwald-Tourismus.
Wälderbähnle: Nicht nur für Kinder! Die historischen Dampf- und Dieselloks verkehren auf einer fünf Kilometer-Strecke zwischen Bezau und Schwarzenberg. waelderbaehnle.at
Bergbrennerei Löwen: Kostenlose Führung durch die Bergbrennerei am Rand des Ortes Au. Direkt nebenan: das Barockmuseum. bergbrennerei-loewen.at/ barockbaumeister.at
SCHLAFEN
Fuchsegg Eco-Lodge: Im Skigebiet Schetteregg auf gut 1.000 Meter Seehöhe gelegen. Mit Saunahaus, Yoga-Raum, ganzjährig beheiztem Outdoor-Pool. In nachhaltiger Holzbauweise gebaut. eco-lodge.fuchsegg.at
Hotel Post Bezau by Susanne Kaufmann: Das Wellness-Resort feiert diesen Dezember 20-jähriges Bestehen. Retreats machen das Hotel das ganze Jahr über zum Kraftort. hotelpostbezau.com
Hütte am Schwarzenberg: Geheimtipp! Eine traumhaft eingerichtete Selbstversorger-Hütte für bis zu zwanzig Personen, zu der man bei Schneelage direkt abfahren kann. kulturimloch.at
ESSEN
Jagdgasthaus Egender: Schöne Landschaft, großartige Käsknöpfle, stilecht serviert mit Röstzwiebeln in der Holzgebse. Saisonstart: 27. 12. jagdgasthaus-egender.at
Biohotel Schwanen: Bedingungslose biologische Küche, überwiegend nach der Lehre von Hildegard von Bingen. 3 Hauben. biohotel-schwanen.com
Sonntagsgasthaus Adler, Großdorf: Geht das? Ein Restaurant, das nur sonntags geöffnet hat und nur ein Menü serviert? Ja, das geht und funktioniert. adler-grossdorf.at
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