Chioggia

Rund um Venedig: Stressfrei auf allen Kanälen

Venedig – nur ohne nervende Touristenmassen. Ist das möglich? Ja. Denn nur 25 Kilometer südlich liegt eine Stadt, die zurecht als "Venedigs kleine Schwester" bezeichnet wird. Ein Besuch in Chioggia.

Das glitzernde Wasser der Kanäle klatscht verspielt gegen die steinernen Fondamente der Kanäle, die kühn gewölbten Brücken sind zum Seufzen schön, und an den glänzenden Palazzi hat der Zahn der Zeit sich eher als Bildhauer betätigt, denn als mutwilliger Zerstörer. Alles genau so, wie’s sein soll und doch: Irgendetwas ist anders, nur was? 

Und dann fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Man kann die Kanäle entlangschlendern, ohne zwischen zwei Reisegruppen fotografierender Kreuzfahrtlandausflügler aufgerieben zu werden, auch die kleinen Calli lassen sich ganz ohne ungewollte Körperberührungen erkunden, und auf den Plätzen herrscht kein endloser Stau, sondern gemütliches, entspanntes Treiben. 

Und damit ist auch klar, wir sind NICHT in Venedig, obwohl eigentlich alles so aussieht. Das Zauberwort heißt: Chioggia. Die kleine Stadt ist ganz wie ihre große Schwester auf Inseln und einem Gerüst aus Pfählen gebaut – nur eben nicht so groß und vor allem: ungleich weniger bekannt. 

Chioggia

Chioggia

©Eugenio Bersani

Italienische Urlauber kommen gerne her, auch weil das am Festland gelegene Sottomarina, eine frazione, also ein Bezirk Chioggias, mit fantastischen Stränden aufwartet. Zehn Kilometer lang, 300 Meter breit – viel mehr Meer geht nicht. 

Und im Gegensatz zu den bekannteren Adria-Badeorten im Norden gibt's hier nicht nur Armeen von Liegestühlen und Sonnenschirmen, sondern wunderschöne Palmen, die sich an den typischen Strandbars häufen und beinahe für Oasen-Flair sorgen. 

Sottomarina

Der Bezirk Sottomarina liegt auf dem Festland auf einer Halbinsel. Im Vordergrund einige der vielen Fischerboote, im Hintergrund sieht man einen Teil des kilometerlangen Strandes

©mauritius images / Alamy Stock Photos / Andrew Mayovskyy/Alamy Stock Photos / Andrew Mayovskyy/mauritius images

Keine Gondeln?

Die 700 Meter lange Ponte Translagunare verbindet Sottomarina mit Chioggia, der alten Stadt längst vergangener Grandezza – die uns, ganz wie Venedig, gerade deshalb so in ihren Bann zieht. 

Ein wenig hemdsärmeliger ist es in Chioggia aber doch, worauf auch schon die beiden den Pescatori geweihten Statuen auf der Brücke hinweisen. 

Chioggia

Es ist alles da: Kanäle, Palazzi, „Spritz“ – nur keine Gondeln! Und kein Stress mit Touristenmassen. Ganz im Süden der venezianischen Lagune präsentiert sich Chioggia als entzückende „kleine Schwester Venedigs“. "freizeit"-Redakteur Andreas Bovelino war vor Ort

©Privat

Keine eleganten Gondeln prägen hier das Bild, sondern die zahllosen Fischerboote, die entlang der Brücke und in den verschiedenen Hafenbecken vertäut sind. Die Stadt liegt an der Grenze zum offenen Meer, und die Fischer sind es, nach deren Rhythmus ihr Herz schlägt. 

Fisch und sehr viel Flair

Und tatsächlich befindet sich in diesem Städtchen der größte Fischereihafen Italiens, was einen Besuch der Pescheria, des Fischmarkts, der täglich mitten im historischen Kern Chioggias stattfindet, beinahe zur Pflicht macht.

Wenn man im Urlaub denn von Pflicht sprechen will. Jetzt ist es natürlich so, dass man wahrscheinlich nicht unbedingt einen Branzino, eine Brasse, Seezunge, oder einen Seeteufel, der um vier Uhr Früh gefangen wurde, kaufen und dann mit Blaulicht nach Österreich bringen will.

Aber: Allein die Atmosphäre ist einen Besuch Wert, die sogenannten Mognoli, die hier an etwa 40 Ständen ihre Waren verkaufen, verzichten auf Geschrei und derbe Sprüche, im Fischmarkt von Chioggia geht's beinahe zu wie in einem Gentlemen's Club. 

Kuriose Fakten. Wussten Sie, dass ...

  • ... nicht nur in Siena ein „Palio“ abgehalten wird? In Chioggia gibt es ebenfalls einen traditionellen Wettkampf der Bezirke, an dem die ganze Stadt in historischen Kostümen beteiligt ist. Jeweils am dritten Sonntag im Juni.
  • …  im Meer vor Chioggia mit der „Tegnùe“ das größte Korallenriff der Adria zu finden ist? Ein beliebter Tauchspot. 
  • … die Stadt angeblich von geflüchteten Trojanern nach dem mythischen,  von Homer beschriebenen Krieg gegründet worden ist?

Verlässt man den Fischmarkt, ist man quasi bereits auf der Fondamenta Vena, dem Flanier-Kanal der Stadt, hübsche Bars – im italienischen Sinn, also Cafés – und Trattorias wechseln einander ab. 

Als Netflix-geschulter Besucher bietet es sich an, auf den Spuren der Erfolgsserie"„Odio il Natale" die Lokale zu besuchen, in denen  Giulia und ihre Freundinnen sich gerne einen Aperitivo gegönnt haben. Oder auch mal zwei. Denn es sitzt sich schon fantastisch schön am Kanal, mit Blick auf den Palazzo Lisatti Mascheroni mit seinen so faszinierenden wie irritierenden kegelstumpfförmigen Kaminen. 

Wobei es sich auch auf dem Corso del Popolo ganz ausgezeichnet auf die charmanten Vibes der Stadt einschwingen lässt. Bei einem Spritz vielleicht oder wenn’s schon später ist und man sich etwas verwegener fühlt, einem Negroni. 

Curzio Malaparte nannte diese vibrierende Hauptachse des alten Chioggia ein "einziges großes Café im Freien". Das stimmt auch heute noch.

Zu entdecken gibt’s allerdings auch so einiges. Etliche Palazzi, wie der Grassi und der Morosini, sind öffentlich zugängig und bieten fantastische Einblicke in eine glanzvolle Vergangenheit. Und was Kirchen anbelangt, erreicht Chioggia eine Dichte, die man sonst nur in Salzburg findet. 

Die gotische Tempietto di San Martino mit ihrer ungewöhnlichen achteckigen Kuppel etwa, die Basilika San Giacomo, mit der von den Einheimischen hochverehrten Ikone Madonna della Navicella, Santa Maria Assunta, mit Werken von Jacopo Palma und San Domenico, wo man sogar einen Tintoretto findet. 

Bigoli

„Bigoli“sind Eier-Nudeln mit einem etwa 2 mm dicken Loch – und wurden in Chioggia erfunden. Hier isst man sie am liebsten mit Meeresfrüchten 

©Getty Images/iStockphoto/ClaudioStocco/iStockphoto

Der Uhrturm von Sant Andrea bietet nicht nur einen fantastischen Ausblick, sondern – gemeinsam mit der Salisbury Cathedral – die älteste funktionierende Turmuhr der Welt.

Mit dem Rad auf die Insel

Ausflüge in Sottomarina macht man am besten mit einem der Räder, die’s an jeder Ecke zu mieten gibt. 

Der Luna Park am Strand lässt nostalgische Gefühle hochkommen – nirgendwo gab es so klasse Vergnügungsparks wie in Italien – und ein Karussell mit Blick aufs Meer, das hat schon was. 

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Sottomarina

Die Sandstrände in Sottomarina sind nicht nur endlos, sondern haben auch auch hübsch gestaltete Ecken ...

©mauritius images / photononstop / Yves Talensac/photononstop / Yves Talensac/mauritius images

Auf der Via Lungomare radelt man Richtung Süden weiter bis zur Mündung der Brenta, und die Stimmung dort, wo ein träger Fluss den Ort seiner Bestimmung erreicht, ist tatsächlich unbeschreiblich. 

Auf der anderen Seite der Brenta warten auf der Isola Verde ein auch zur Hochsaison friedlicher Naturpark – und der einzige Adriastrand, auf dem man reiten darf. Passenderweise gibt’s hier auch einen Reitstall.

Ich packe in meinen Koffer ...

  • … eine Badehose. Weil das Meer im September noch warm genug ist. Und man den endlosen Strand fast für sich alleine hat.
  • … eine Ausgabe von Goldonis „Viel Lärm in Chiozza“. Interessant: Der Dichter behauptete, von 40.000 Einwohnern seien 30.000 Frauen! 
  • … eine Radlerhose. Weil es viel zu sehen, viele Mieträder und gute Radwege gibt. Oder vielleicht doch lieber Reitstiefel?

Gar nicht so weit ist es hingegen zu einem anderen beeindruckenden Ort Chioggias: dem Leuchtturm auf der Diga, dem Damm in Sottomarina, von dem aus man auch die Wälle des ehrgeizigen Mose-Projekts sehen kann, das Venedig vor Hochwasser schützen soll. 15 Minuten geht man dafür quasi durchs Meer, vorbei an Kitesurfern und den Stelzenhütten der Krabbenfischer, in denen man, nach Anmeldung, auch ausgezeichnet essen kann.  

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Sottomarina

Krabbenfischer-Hütte an der „Diga“, dem großen Damm Chioggias

©Getty Images/underworld111/istockphoto

Wie viele Chioggiotti haben sie übrigens ein ambivalentes Verhältnis zu Publicity, schon die landesweite Popularität der zuvor erwähnten Netflix-Serie verstörte einige von ihnen. "Es ist besser, wenn man nicht über uns schreibt. Sonst sieht’s bei uns bald so aus wie drüben", sagen sie, während sie mit dem Kinn Richtung Venedig deuten.

Und vielleicht haben sie damit ja sogar Recht ... Aber dafür ist es jetzt wohl zu spät.

Riviera del Brenta

Die Villa Pisani aus dem 18. Jh. ist die prachtvollste Perle der „Riviera“. Allerdings der am Brenta-Kanal von Venedig nach Padua gelegenen ... 

©Getty Images/Claudio Caridi/istockphoto

Ab an die Riviera! 

Und weil wir gerade beim Ausplaudern von Geheimnissen sind: Gar nicht weit von Chioggia findet sich eine weitere norditalienische Perle, die beinahe magisches venezianisches Flair versprüht.

Um sie zu finden, muss man nur am Heimweg Richtung Österreich einen kleinen Schlenker Richtung Westen einlegen. 

Dort liegen am vom Fluss Brenta abgezweigten Kanal, der Padua mit Venedig verbindet, nicht nur entzückende verschlafene Dörfer und Städte wie Mira, Dolo oder Kra, sondern echte venezianische Palazzi, die sich die Patrizierfamilien der Lagunenstadt hier vor Jahrhunderten bauen ließen, um dem Trubel oder der Hitze zuhause zu entkommen. Und um ordentlich Party zu machen natürlich.

Riviera del Brenta nennt sich die Gegend stolz – und das völlig zurecht. Viele der einst grandiosen Häuser, an denen man vorbeifährt, befinden sich in einem Dornröschenschlaf des malerischen Verfalls, aber auch das trägt zur fast märchenhaften Stimmung an beiden Uferseiten bei. 

Und einige, wie die atemberaubende La Malcontenta oder die beinahe imperiale Villa Pisani empfangen auch heute noch großmütig ihre Gäste. Ein Besuch lohnt sich.

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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