Passau - Innviertel - Stille-Nacht-Kapelle: Eine Winterreise

Beschaulich, genussvoll, beeindruckend: Wir reisen durch malerische Barock-Städtchen und ein sanftes Hügelland. Es muss ja nicht gleich mit einem Pferdeschlitten sein. Wobei, schön wär’s schon ...

Sanfte, toskanisch anmutende Hügel, aber winterlich verschneit, die mächtigen Bäume, vor Generationen als Windschutz gepflanzt, wie mit Zuckerguss überzogen. Eine wahre Wunderwelt mit alten Vierseit-Höfen, die wie kleine Burgen verträumt in der Landschaft stehen, man kann es nicht anders als „malerisch“ nennen. Und natürlich die hübschen Barock-Städtchen, Schärding, Braunau, Ried: Das Innviertel ist ein kaum beachtetes Juwel im Schmuckkästchen der österreichischen Regionen. Zu Unrecht kaum beachtet, denn es hat jede Menge zu bieten. Landschaftlich, kulturell – und kulinarisch.

Die Wintersonne über Aspach im Innviertel

©sinnviertel tourismus/andreas muehlleitner

Das wäre doch einmal was, sich der berühmten Gute-Nacht-Kapelle, einem weihnachtlichen Fixpunkt für so viele Menschen, ausnahmsweise nicht über Salzburg anzunähern, sondern aus dem Norden, übers Innviertel. Eine Winterreise, die auch nach den Feiertagen noch jede Menge Stimmung bringt.

Start in der Dreiflüssestadt

Passau gehört offiziell natürlich nicht zum Innviertel, schon klar, es liegt in Bayern. Aber mit Grenzen ist das so eine Sache, die verlaufen manchmal doch eher willkürlich. Und gerade im Innviertel änderten sie sich auch einige Male ganz gewaltig.

Als „Innbaiern“ gehörte es mehr als 1.000 Jahre zum bayerischen Herzogtum, bevor die Habsburger es 1779 für sich gewinnen konnten. Napoleon schenkte es bald darauf wieder den Bayern und erst 1816, ein Jahr nach der entscheidenden Niederlage des französischen Kaisers bei Waterloo, kam das Innviertel endgültig zu Österreich.

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Die sogenannte "Silberzeile" in Schärding. Stadthäuser im bunten Salzach-Inn-Stil

©Getty Images/iStockphoto / Animaflora/iStockphoto

Diese bayerische Vergangenheit hört man noch heute am innviertlerischen Idiom, sagt man hier doch Mili und Muich zur Milch, die sonst in den meisten österreichischen Dialekten zur Mühch wird. Vui statt vüh für viel, dahoam statt daham und der Stein wird zum Stoa und nicht zum Sta.
Passau also, die nördliche Rivalin Salzburgs, die alte Bischofsstadt, die allein schon durch ihre Lage fasziniert.

Die Altstadt liegt auf einer immer schmäler werdenden Halbinsel zwischen Donau und Inn, der zweitlängste Fluss Europas trifft auf einen der gewaltigsten aller Alpenflüsse, das muss man einfach einmal gesehen haben. Dazu kommt die „schwarze“ Ilz, die genau hier von Norden in die Donau fließt.

Ein einzigartiger Ort für eine Stadt, und Passau wird der besonderen Lage durchaus gerecht. Prächtige Stadthäuser in Gelb, Mint und Altrosa, über dem bezaubernden Gewirr aus alten, schmalen Gassen thront die Veste Oberhaus, die mittelalterliche Burg, die den Kirchenfürsten einst uneinnehmbaren Schutz vor Feinden, aber auch den eigenen Untertanen geboten hat.

Und dazwischen schweben die grünen Turmmützen des Stephansdoms förmlich im Nachthimmel, während im Inneren des Gotteshauses die mit 229 Registern und 17.974 Pfeifen größte Domorgel der Welt für himmlische Sounderlebnisse sorgt. Doch, ja, mit seinem Mix aus steinerner Geschichte, barocker, bayerischer Lebensfreude und einem frischen, studentischen Wind ist das schon ein Ort, an dem man länger bleiben möchte.

Am frischen Wind, der sich hier sehr langsam gegen traditionalistische Abwehr durchsetzte, sind auch zwei Söhne der Stadt beteiligt: die „echten“ Kabarettisten Bruno Jonas und vor allem Sigi Zimmerschied, der sich seit beinahe fünf Jahrzehnten daran abarbeitet, die früher fest verschlossenen Fenster seiner Heimatstadt für ein frisches Frühlingslüfterl zu öffnen. Erstaunlich eigentlich auch, dass zwei der bekanntesten Kabarettisten Deutschlands ausgerechnet aus einer 50.000-Einwohnerstadt an der österreichischen Grenze kommen ...

Der bunte Inn-Salzach-Stil

Fährt man von Passau Inn-aufwärts, 15 Kilometer nur, ist man schon im schönen Schärding und damit auch ganz offiziell im Innviertel. Die Altstadt mit ihren perfekt erhaltenen Bürgerhäusern im Inn-Salzach-Stil, also ebenso hübsch bunt wie in Passau, muss man einfach lieben.

Und als Bonus gibt’s hier mitten im Zentrum auch noch eines der besten und spannendsten Restaurants im Westen, den „Lukas“. Spannend nicht nur, weil es keine Karte gibt, da der Wirt halt kocht, was er frisch bekommt, und sich vorher nicht festlegen will, sondern weil er das auch fantastisch gut macht.

Beschauliche Provinz, ja – aber nicht provinziell. Österreichs aktueller Physik-Nobelpreisträger Anton Zeilinger ist aus dem Innviertel, Alfred Kubin, der Wahl-Innviertler schrieb in Schärding seinen fantastischen Roman „Die andere Seite“ und Richard Billinger,  der mit „Rosse“ 1931 ein Drama schuf, dem die Kritiker attestieren, Peter Shaffers hochgelobtes „Equus“ von 1973 bereits vorwegzunehmen, stammte aus St. Marienkirchen, einem Dorf in Gehweite entfernt. Gemeinsam mit dem expressionistischen Maler und Grafiker Aloys Wach gründeten Kubin und Billinger auch die Innviertler Künstlergilde, die heute noch als regionale und dennoch grenzüberschreitende Kunstvereinigung aktiv ist.

Winterlicher Sehnsuchtsort: Die Stille-Nacht-Kapelle in Oberndorf im Salzburger Land

©TVB Oberndorf/Hermeter

Von Schärding aus sieht man auch ein großes Schloss auf der anderen Innseite, eigentlich sogar auf einem Fels im Inn: Schloss Neuhaus, ursprünglich als Burg gebaut, um die Innbrücke von Schärding zu bewachen, später zum Rokoko-Schloss umgebaut, verlor es die Landgräfin Fürstenberg im Jahr 1800 spektakulär am Spieltisch an einen Münchner Advokaten.

Ein Abstecher über die Alte Innbrücke lohnt sich. Apropos Abstecher: Hier bietet sich doch an, einmal ins Land „einizuschaun“ und quasi ins Herz des Innviertels vorzudringen. Auf nach Ried, es lohnt sich sowohl kulturell wie auch kulinarisch.

Schmankerl-Viertel

Die Altstadt ist ein ähnliches Schmuckstück wie die bisher besuchten, genau, Inn-Salzach-Stil, das verbindet. Ried hat dazu noch die Funktion eines regionalen Zentrums, der Kulturverein Kik ist so legendär wie seine Veranstaltungen, egal ob Konzerte, Ausstellungen oder Lesungen.

Mit dem Projekt  „Wirbelfeld“ holen zwei Innviertler Künstlerinnen internationale Kolleginnen in die Städte und Dörfer der Gegend, und im Rieder Volkskundehaus steht doch tatsächlich die originale Stille-Nacht-Krippe, vor der in Oberndorf das berühmteste Weihnachtslied der Welt zum ersten Mal gesungen wurde.

Fürs leibliche Wohl ist im ehemals größten Markt Österreichs ebenfalls gesorgt: Von süß bis pikant hat der Mayer Bäcker am Stelzhamerplatz unglaublich gute Backwaren, natürlich auch das echte Innviertler Krustenbrot. Im Biergasthof Riedberg von Biersommelier Karl Zuser jun. gibt’s nicht nur grandiosen Gerstensaft sondern auch beste regionale Spezialitäten auf dem Teller. Und ein wenig außerhalb von Ried steht die Jausenstube zum Streif, wo die Einheimischen gerne auf ein „Bratl“ hinpilgern. Und die wissen, wo’s gut ist.

Weil wir gerade beim Essen sind: Natürlich ist das Innviertel DAS Knödelland Österreichs. Allerdings wird der Gast ob der Gestalt der runden Köstlichkeiten überrascht sein. Die sind nämlich wesentlich zierlicher als etwa in Salzburg oder München, egal ob Semmel- oder Kartoffelknödel. Und vor allem bei den Mehlteigknödeln ist der Teig so dünn, dass man die Grammeln praktisch durchsieht. Es hat schon seinen Grund, warum Werner Gruber, der Physiklehrer der Nation, noch heute von den Hascheeknödeln seiner Mutter schwärmt. Er kommt aus Ostermiething ...

Oder der Innviertler Surspeck. Der ist quasi die österreichische Antwort auf den italienischen Lardo: Fett pur, aber wirklich jede Cholesterinsünde wert. Und haben wir schon über die Innviertler Surschnitzerl gesprochen, paniert, mit Bierrahmsauce, Semmelknödel und Krautsalat mit Speckwürfeln? Ein Traum!

Barocke Bilderbuchstädte

Aber genug geschwelgt, zurück am Inn warten mit Braunau und Burghausen noch zwei barocke Bilderbuchstädte im Salzach-Inn-Stil. Wobei Burghausen – ja, das liegt in Bayern, war aber ein wichtiger Verwaltungssitz Innbaierns – noch mit einer ordentlichen Burg punktet. Die mittelalterliche Anlage trägt verbrieft den Titel als „längste Burg der Welt“. Und wenn der Winter es ehrlich meint, ist der Wöhrsee am Fuß dieser Burg gefroren und präsentiert sich als einer der schönsten Eislaufplätze, die man sich vorstellen kann.

Gleich gegenüber, auf der österreichischen Seite, liegt das kleine Hochburg an der Salzach, wo man nach dem Eislaufen im Weinhaus Pachler wirklich gut essen kann. Wein im Innviertel? Warum nicht, er muss ja nicht hier wachsen. Wir erinnern uns: Provinz heißt nicht unbedingt provinziell...

©sinnviertel tourismus/andreas muehlleitner

Aber weil wir gerade bei Getränken sind: Auch wenn der Kärntner Wahl-Wiener Robert Musil zu Ehren seines befreundeten Schriftstellerkollegen Richard Billinger einst schrieb: „Gegrüßt sei mir das Land der Mostschädel!“, so trinken die Innviertler doch bei weitem lieber Bier als Most. Die höhere Besteuerung ihres Bieres durch die Habsburger war im 19. Jahrhundert auch mit ein Grund, warum die Innviertler ursprünglich nicht ganz so glücklich waren, plötzlich keine Bayern mehr zu sein. Und die Biere hier, das sei verraten, können sich noch immer schmecken lassen.

Noch einmal 30 km flussaufwärts, die alte Route der frühen Salzschiffer und -flößer entlang, ist man schließlich in Oberndorf. Und damit zwar endgültig nicht mehr im Innviertel, aber dennoch in einem Ort mit wechselhafter bayerisch-salzburgisch-österreichischer Geschichte.

Und ja, hier ist es passiert, vor genau 224 Jahren in der alten Pfarrkirche St. Nikolai. Der Salzburger Joseph Mohr und der Innviertler Franz Gruber spielten zum ersten Mal „Stille Nacht, heilige Nacht“...
Schöne Weihnachten!

©sinnviertel tourismus/andreas muehlleitner
Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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