Kefalonia, du schlummernde Schönheit

Kefalonia ist das übersehene Juwel Griechenlands. Nix für Pauschaltouristen. Dafür mit türkisem Meer, Traumstränden und Feeling fürs Echte.

Wie das Unübersehbare nahezu übersehen werden kann, ist einem ja ein Rätsel und auch wieder nicht. Mitunter ist etwas zu offenkundig, dann wird es ignoriert. Mit dem Ergebnis, dass das augenscheinlich Grandiose schlicht und einfach in Ruhe gelassen wird. So ist es ein bisschen mit Kefalonia. Jeder weiß sehenden Auges von seiner Existenz, aber die meisten zieht es dann doch nach Kreta, Korfu oder Kos. So kann Kefalonia weiter schlummern, in all seiner Schönheit.

Einem Mann wie Babis Kokkinis kann das nur recht sein. Er hat auch so genug zu tun. Im Augenblick mit der Polizei. Die Insel-Kiewerer schauen rein bei seinem Bootsverleih am Hauptplatz in Assos, dem schönsten Dorf der Insel, zur Kontrolle, ob eh alles passt, von Papieren bis Zustand der kleineren und größeren Schifferln. No problem, sagt Babis, ein durchtrainierter, porentief sonnengebräunter Mann Ende Vierzig, Glatze, Flinserl, schelmisches Grinsen, guter Schmäh, den man nie in anderem Aufzug antrifft als Badeshorts, sonst nichts, egal ob am Boot oder festen Boden.

„Assos, das ist die Heimat meines Großvaters“, erzählt er. Er selbst stamme eigentlich aus Athen. Babis gehörte früher ein Restaurant und ein Nachtklub, jetzt nennt er acht schicke Boote sein eigen. Öfter als in Athen ist er nun hier, vor allem den Sommer über, sein Kind, von deren Mutter er getrennt ist, lebe in der Nähe. Vaterpflichten, schmunzelt er augenzwinkernd. Sein Buddy, der ihm von früh bis abends nicht von der Seite weicht, ist Alessandro, ein Italiener, der seit 40 Jahren auf Urlaub nach Assos kommt, früher den CEO eines großen Konzerns chauffierte und jetzt in Pension ist. Zusammen schmeißen sie den Laden und rauchen um die Wette.

Ziegen queren die Straße

Kein Spital, keine Schule, selbst um einzukaufen müsse er einmal pro Woche nach Argostoli fahren – es gäbe nichts hier, in Assos, meint Babis lachend. Das ist erstens einmal unpraktisch für Menschen wie ihn, die hier wohnen, und zweitens klingt das natürlich furchtbar, weil es bedeutet, dass hier alles auf Touristen ausgerichtet ist.

Dazu zwei Anmerkungen: Erstens, wenn dieses nichts so aussieht wie in Assos, dann braucht es auch nicht mehr als nichts. Und zweitens, die Touristen sind trotz aller pittoresker Idylle überschaubar, Bettenburg gibt es keine einzige, und La deutsche Vita findet woanders statt, nur nicht hier. Hauptsächlich Briten und Italiener bereisen die Insel. Platz für Pauschaltouristen ist das keiner.

Nach Assos sind wir mit einem gemieteten Suzuki Swift angebrettert, über verschlungene Serpentinen, verwegen steile Kurven, bergan, bergab. Ziegen queren gelegentlich die Straße, da heißt es aufpassen. Angekommen, wähnt man, als Spielfigur in einer lebendig gewordenen Postkarte zu wandeln. Nichts anderes als malerisch schmiegt sich das Dorf in die Bucht, einige Segelschiffe ankern, die bunten Häuser sind wie Bausteine den schmalen Strand entlang gewürfelt.

Einige Besucher lassen unter Schirmen und auf Liegen die Seele baumeln, andere, die nichts bezahlen wollen, dösen dahinter, am Gemäuer. Hunde beobachten Katzen. Schlafen auf abbruchreifen Fassaden, mit denen dieses Kleinod mitunter aufwartet, und zwischen denen wildes Grünzeug hinauswuchert. Und vor einem? Öffnet sich das Meer in die Weite hinaus. Und hinauf, als würden sie den Berg hinauflaufen, stürmen Pinien gipfelwärts, zur Festung Assos.

1585 wurde sie errichtet, diente als Zuflucht vor Piraten. Die Venezianer, die die Insel eine Zeit lang beherrschten, bauten die Burg aus. Auf dem kleinen Berg thront sie wie ein Appendix zu Assos, mächtig und steinern. Wir wohnen im Grunde gegenüber, aber auf gleicher Höhe: vom Apartment blicken wir auf Festung, Bucht, Hafen, Dorf. Christos, unser Vermieter, ein jung gebliebener, ewig lächelnder Greis, erzählt von seinem Besuch in Wien, vom Mozarthaus in der Domgasse. Seine Frau stellt uns jeden Tag frischen Marillenkuchen in den Eiskasten, selbst gemacht. Oh, Griechenland. Wie konnte ich vergessen, wie wunderschön du bist?

Ein Strand wie vom Poster

Auf dem bergigen Anfahrtsweg haben wir, von der Hauptstadt Argostoli kommend, für einen kurzen Halt eingeparkt. Aber dieses eine Foto, das musste einfach sein: runter schauen auf den schönsten Strand Griechenlands, wie es heißt, auf unzähligen Postern verewigt, millionenfach fotografiert – Myrtos Beach.

Türkise Weite: Myrtos Beach, der – eingefasst in ein Bergmassiv aus weißem Kalkstein und grün bewachsenen Felsen – meist als schönster Strand Griechenlands bezeichnet wird

©Getty Images/iStockphoto/Igor Tichonow/istockphoto

Kefalonia ist ja auch gekennzeichnet von den verschiedenen Farbfacetten des Meeres. Während es in Argostoli smaragdfarben grün schimmert und in der Bucht von Assos von tiefem Hafenblau erfüllt ist, strahlt es an Stränden wie dem Myrtos wie in der Karibik: leuchtend türkis. Eingefasst ist der Strand von Myrtos in ein steiles Bergmassiv, halb weiß von der Farbe des Kalksteins, halb grün bewachsen.

Später werden wir, in aller Herrgottsfrühe, noch einmal herkommen und das Ganze nicht nur von oben begutachten, sondern auch uns den Weg runterschlängeln, um ein Bad zu nehmen. Gut zu beobachten ist dabei, wie das Meer hier je nach Tageszeit die Farbe wechselt. Morgens eher blau, später bis in ein schmeichelweiches Grün hinein.

Bemerkenswert ist aber auch dieser Umstand: Dass man am berühmten Traumstrand bloß zehn Euro bezahlt für eine beschirmte Strandliege (alle anderen fläzen sich einfach auf ihr Badetuch am Kieselstrand), in Argostoli am Makris Gialos-Strand hingegen stolze 35 Euro. Andererseits bekommt man im Costa Costa Beach Club dafür auch das vielleicht größte Club Sandwich der Welt serviert, sofern es einem danach verlangt.

Argostoli ist die Hauptstadt im Westen der Insel. Wie Assos wurde es vom verheerenden Erdbeben, das 1953 so gut wie die ganze Insel dem Erdboden gleichmachte, zum großen Teil zerstört. Assos, das sei noch gesagt, wurde ja dank der Hilfe der Franzosen wieder neu errichtet und altem, neuen Glanze zugeführt. Genauer gesagt half die Stadt Paris mit einer großzügigen Spende beim Wiederaufbau, bedankte sich damit dafür, dass viele in Assos mit Napoleon gegen die Ägypter gekämpft hatten.

Argostoli dagegen ist modern. An der Flaniermeile, der Lithostroto, befindet sich der rekonstruierte Uhrturm, das Wahrzeichen der Stadt. Der Glockenplatz Kampana bietet einen Hinweis auf die Stadt wie sie vor dem Erdbeben war. Er ist auch unter dem Namen Markusplatz bekannt, ein sehr deutlicher Hinweis auf die frühere Herrschaft der Venezianer. Der Leuchtturm Agios Theodoros, auf dem Weg zwischen Lassi und Argostoli, lässt sich bei einem Spaziergang gut ansteuern, ist ein schönes Plätzchen und ein beliebtes Fotomotiv.

Heller Augenschmaus: der Leuchtturm Agios Theodoros in Argostoli

©Getty Images/iStockphoto/JordeAngjelovik/iStockphoto

Einen Bummel ist auch die von Laternen gesäumte De-Bosset-Brücke wert, besonders des nächtens. Sie verbindet Argostoli mit der Küste vis-à-vis. Sollte auf der 689,9 Metern der Small Talk ausgehen, hier ein Anstoß für Gesprächsstoff: Die von einem Schweizer errichtete Brücke (ursprünglich aus Holz) stellt die längste Meeresbrücke aus Stein in Europa dar. Und wer Glück hat, erblickt vielleicht eine der Unechten Karettschildkröten mit ihrem herzförmigen Panzer. Der ungewöhnliche Name dient einzig der Unterscheidung von der „Echten“, die kleiner ist als die „Unechte“.

Wer keine der Meerestiere antrifft, kann sie zum Trost aber auch in einem Souvenirgeschäft als Stofftier erwerben. Oder, noch besser, hoch oben bei Olea Kouzninaki einkehren: mit Blick auf die Brücke, das Meer, gelegen in einem Privatgarten, umgeben von Olivbäumen – und am Teller kreativ interpretierte klassische regionale Küche aus Bio-Zutaten naher Kleinproduzenten und vorzüglichem Wein. Ja, Kefalonia kann auch kulinarisch was. Man muss nur genau schauen. Junge Gastronomen wie Kouzninaki wissen längst, was sich anspruchsvollere Gaumen wünschen.

Auf der Spur von Penélope Cruz

Wie Kefalonia überhaupt Vieles bietet: bergiger als andere griechische Inseln lädt es zum Wandern ein, etwa auf den höchsten Berg Enos mit seinem Nationalpark. Hier ist es auch angenehm kühler. Schöne Strände machen einem ohnehin die Aufwartung, für Kulturbeflissene vielleicht ja Horgota, auch bekannt als Corelli’s Beach. Die gleichnamige Verfilmung des Romans „Corellis Mandoline“ wurde hier gedreht, eine Liebesgeschichte in den Wirren des Zweiten Weltkrieges, es liebten sich Penélope Cruz und Nicolas Cage.

Wer es romantisch mag, kann auch die Tropfsteinhöhle Melissani besuchen, in die man mit dem Boot hinein steuert. Das Erdbeben, wieder einmal, deckte das Dach ab, so dringen Sonnenstrahlen ins Innere und lassen das Wasser prächtig funkeln.

Mein Favorit bleibt dennoch Nitsi. Eine Bucht, so klein, dass man dort herrlich mutterseelenallein wie Robinson Crusoe entspannt den Tag vergehen lassen kann. Googeln Sie es nicht, Sie werden es nicht finden. Nur Babis und sein Boot kennen den Weg.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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