Genua, eine Stadt so viel besser als ihr Ruf
Die Stolze, so wird Genua genannt. Dem Namen wird die Stadt wieder gerecht. Es gibt gutes Essen, Paläste - und das Meer.
Das Wasser kräuselt sich, glitzert in Tiefblau. Roberto Nada steuert das Segelboot aus dem Hafen in Genua. Der Wind füllt die Segel, das Schiff nimmt Fahrt auf, und die Stadt wird kleiner und kleiner. Der Leuchtturm aber wird noch viele Seemeilen zu sehen sein. Er ist eines der Wahrzeichen von Genua, der einstigen Seemacht und war mit 76 Metern Höhe lange Zeit der höchste der Welt.
So viele Segler, Entdecker, Eroberer, Kapitäne von Handels- und Passagierschiffen haben den Golf von Genua schon verlassen und wieder angesteuert. Der Torre della Lanterna di Genova wies ihnen den Weg. Und er tut es noch immer.
"Aber“, sagt Nada, der Gründer der Riviera Sailing Academy, "viele der Genuesen schauen lieber von der Küste auf das Meer, als darauf unterwegs zu sein.“ Viele, aber wohl nicht alle. Der Seefahrer Christoph Kolumbus etwa, der Amerika wiederentdeckte. Er soll in Genua geboren worden sein, obwohl ganz unumstritten ist das nicht. So wie das Geburtsdatum im Jahr 1451. Nichtsdestotrotz wurde sein Geburtshaus in der Innenstadt rekonstruiert. Den Touristen gefällt es. "La Superba“, die Stolze oder Herausragende, wurde die Hafenstadt über Jahrhunderte hinweg genannt. Doch in den vergangenen Jahrzehnten kämpfte sie mit ihrem schlechten Ruf. Gefährlich sei die Stadt, dreckig und uninteressant. Schnell rauf aufs Kreuzfahrtschiff – und dann nichts wie weg. Welch’ ein Irrtum.
Seit einiger Zeit wird Genua herausgeputzt und in jüngster Vergangenheit ist es wieder zum Reiseziel geworden. Die Besucher verlieren sich in den kleinen, dunklen Gässchen, caruggi genannt. Wer nichts sucht, kann sich treiben lassen. Ganz ohne aufs Handy zu schauen, es zeigt hier zwischen den Häusern ohnehin nicht den richtigen Standort an.
Streetfood
Angst zu verhungern muss niemand haben. Immer wieder gibt es kleine Lokale im Straßengewirr. Frittiertes wird über die Budel gereicht. Focaccia wird in Papier gepackt. Die Genuesen essen das salzige Fladenbrot aus Germteig übrigens schon in der Früh. Sie tauchen es in den Cappuccino. Als Mitteleuropäerin ist es als Mittagessen optimal.
Es kann auch einmal Farinata als Hauptmahlzeit sein, die Kirchererbsenflade. Oder Nudeln mit Pesto Genovese. Der Klassiker stammt von hier, und hier schmeckt er besonders gut. Pesto leitet sich von pestare ab, zerstampfen.
Leichte Kost ist es ob der Menge an Olivenöl, Pinienkernen und Käse nicht. Es mag verwundern, aber es gibt wenige "originale“ Fischgerichte in der Stadt am Meer. Die Einheimischen bevorzugten historisch Wild. Also sie schauten doch lieber auf das Meer, wie Roberto Nada sagt. Fisch kam in den Dörfern auf die Teller. Zum Empfehlen ist trotzdem der Stockfisch.
Gestärkt ist das Verirren umso schöner. Immer wieder öffnet sich aus den caruggi hinaus der Blick auf größere Straßen, auf die Kathedrale San Lorenzo, auf Palazzi. Historische Stadtpaläste gibt es viele in Genua. 150 zählt es. Die 42 schönsten entlang der Straßen Via Garibaldi, Via Cairoli und Via Balbi sind UNESCO-Weltkulturerbe. Man bezeichnet sie auch als Rolli, benannt nach einem Verzeichnis dieser Bauten. Dieses war eine Art Booking.com, wo die Gebäude verzeichnet waren. Die Adeligen waren verpflichtet, die bedeutenden Gäste der Stadt zu beherbergen. Das war mit Prestige verbunden. Viele Paläste sind heute renoviert, verschiedenste Institutionen eingezogen. Zwei Mal im Jahr – im Frühling und Herbst – öffnen die Palais ihre Türen im Rahmen der Rolli Days (Termine: rolliestradenuove.it).
Wer Erholung braucht, könnte einen Abstecher ins Bad machen. Im Strandbad Nuovo Lido begann in den 1950er-Jahren die Karriere der Sophia Loren. Sie wurde zur Miss Lido gewählt. Gemütlich kann es im Fischerdörfchen Boccadasse werden. Der Vorort ist ein Treffpunkt für Genuesen und Touristen. Vor allem am Ende des Tages, wenn die Abendsonne die bunten Häuschen in ein sanftes Licht taucht. Der Aperitivo wird serviert. Das Meer rauscht. Rundherum wird geplaudert.
Die Bemühungen um die Hafenstadt sind also erfolgreich. Der Einsturz der Morandi-Brücke im Jahr 2018 mit 43 Toten war aber ein Rückschlag für die Entwicklung.
Stararchitekt Renzo Piano lieferte die Pläne für die neue Brücke „Genova San Giorgio“. Sie wurde vor drei Jahren für den Verkehr freigegeben. Die Wunde aber, wird wohl noch länger bleiben.
Seefahrerbeziehung
Dass Renzo Piano den Bau designte ist kein Zufall. Er ist Genueser, man sagt, er sei es mit Herz und Seele. In seinen Bauten erkenne man Meer, Licht, Wind, Schiffe, stellen die Experten fest. Auch in der neuen Brücke sind Elemente aus der Seefahrt wiederzufinden. Die Einweihung sei für den Neustart Genuas besonders wichtig. "Genua ist widerstandsfähig, ruhig und stark, eine Hafenstadt zwischen Meer und Bergen, die es gewohnt ist, Schwierigkeiten zu bewältigen“, sagte der Architekt.
Zu dieser Stadt habe er dieselbe Beziehung, wie sie die Genueser auch früher schon immer hatten, wie ein Seefahrer. "Du lebst mit ihr von außen, du nimmst sie mit in deinem Inneren und jedes Mal, wenn du heimkommst, musst du sie neu erobern“, wird Renzo Piano in einer Arte-Sendung zitiert. Er selbst ist auch im wahrsten Sinn des Wortes ein Seefahrer. Seit seiner Kindheit ist er Segler und er designte sich seine Jachten selbst.
Wale suchen Pianos Gebäudeentwürfe verleihen Genua ein modernes Gesicht. Gerade eben wird ein neuer Stadtteil am Wasser gebaut, die Waterfront di Levante. 2001 entstand die "Renzo Piano Blase“ im alten Hafen. La Biosfera beherbergt einen Regenwald mit exotischen Pflanzen und Tieren. Auch das benachbarte Aquarium im Porto Antico trägt seine Handschrift. Es ist eines der größten Europas, 70 Lebensräume wurden geschaffen. Es beherbergt 600 Arten. Haie, Robben, Quallen und Delfine schwimmen in den Becken.
Letztere sind an der Küste zu beobachten. Auch Wale zeigen sich im Ligurischen Meer, einem Schutzgebiet für die Säuger. Im Sommer, wenn der Wind lau und die See glatt ist, sind sie besonders gut zu entdecken. Der Unterwasser-Canyon vor Genua ist ein perfekter Lebensraum für die Tiere. Wer Glück hat, sieht sie ganz nahe vorbeiziehen.
Roberto Nada wendet die Jacht. Auch er ist für den Umweltschutz unterwegs. An Bord des Schiffs, das für die Segelschule Riviera Sailing Academy unterwegs ist, wurde eine Blue Box montiert. Sie liefert Daten über den Zustand des Meeres. Beim Finale einer der härtesten Segelregatten der Welt, The Ocean Race, wurde das Projekt vom Start-up Oceanhis vorgestellt. Vor wenigen Wochen gab man sich hier als umweltbewusste Stadt am Meer. Das Vorsegel killt beim Wenden, es flattert also. Genua heißt das Segel übrigens. Der Name kommt von einer 1927 ausgetragenen Regatta in der Stadt. Und wieder einmal zeigt sich die Segeltradition. Roberto legt an.
Zu Füßen
Dem Meer jetzt schon den Rücken kehren? Keinesfalls. Es ist viel zu früh dafür. Aber die Stadt machen auch die Berge rundherum aus. Also mit einem der Aufzüge hinauf auf einen der Hügel. Der Golf von Genua, die ganze Stadt liegt einem hier zu Füßen. Der Leuchtturm, die Kräne des Hafens, die Kathedrale, die engen Gässchen der Altstadt, die Palazzi.
"La Superba“ zeigt noch einmal, wie schön sie sein kann.
Kuriose Fakten, Wussten Sie, dass ... ?
... der Flughafen Genua 2017 die Mitnahme von Pesto in größeren Mengen im Handgepäck erlaubt hat, als es die Sicherheitsrichtlinien vorsehen würden?
… die Kirche San Pietro in Banchi über einer Geschäftszeile errichtet ist? Aus den Erlösen des Verkaufs konnte der weitere Bau der Kirche finanziert werden.
... die Karriere von Sophia Loren im Strandbad Nuovo Lido begann? Hier wurde die Schauspielerin zur Miss Lido gekürt.
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