Mit Fatbike und Tourenski durchs Karwendelgebirge

Im Herbst, wenn sich die Ahorne bunt verfärben, drängen sich hier Tausende Touristen, im Winter erlebt man in der Eng im Karwendelgebirge eine tief verschneite Stille.

Wie klapprige Skelette oder Figuren von Alberto Giacometti ragen sie in das stählerne, fast schwarze Blau des Winterhimmels. Von Flechten überzogene Stämme, blatt- und farblos, außer Dienst sozusagen. Welch ein Kontrast zum Oktober, wenn die Ahornbäume golden, gelb, rot verfärben und tausendfach fotografiert werden. Jetzt macht der Schnee, der von den Ästen rutscht, das einzige Geräusch.

Tatsächlich ist der Talschluss der Eng zu jeder Jahreszeit ein besonderer Ort, schon geografisch: auf Tiroler Gebiet gelegen, aber mit dem Auto nur von Bayern aus zu erreichen. Hinterriß mit seinen vierzig Einwohnern ist das Tor zu dieser Sackgasse im Karwendelgebirge. Von hier schlängelt sich eine schmale Mautstraße am Rißbach entlang, bis sich nach vierzehn Kilometern die Eng, dieses gar nicht so enge und von senkrechten Felswänden eingerahmte Amphitheater, öffnet.

Dort wurzeln gut zweitausend Ahornbäume, die bereits seit 1927 als Naturdenkmäler unter Schutz stehen. Die bis zu sechshundert Jahre alten Recken gedeihen im Mikroklima des Talkessels auf 1.200 Meter besonders gut. Ihre „Eigentümer“ sind die Bundesforste. „Eine Urkunde aus dem Jahr 1854 will es so“, erklärt Karl Höger, Obmann der Agrargemeinschaft Engalm. Ansonsten gehört der Ahornboden den Eng-Bauern, die sich in einer Kooperative samt Käserei zusammengeschlossen haben.

Von Mai bis November kommen fünfzigtausend Autos, achttausend Motorräder und Hunderte Busse; man weiß das genau, denn am Mauthäuschen wird akribisch abgerechnet. Die Besucher fallen über das Almdorf her, erstehen Bergkäse, Salben aus Murmeltierfett, Obstler und Kuhglocken. Kinder dürfen an Plastikeutern das Melken üben. Schweinsbraten-Duft mischt sich mit Benzindampf, Parfum und Kuhflade.

Unterwegs mit Tourenski

©Günter Kast

Jetzt aber regiert der Winter in der Eng. Der letzte Außenposten der Zivilisation ist der Gasthof zur Post in Hinterriß, wo Langläufer beim Frühstück sitzen. Sie werden sich zur vierzehn Kilometer langen Karwendelloipe aufmachen, die auf dem Weg in die Eng dreihundert Höhenmeter überwindet. Seit gut fünfundzwanzig Jahren pflegt sie Manfred Reindl, der Seniorchef der Post. Zwei Euro fünfzig kostet die Nutzung, die Loipe ist sein wichtigstes Marketing-Instrument. Ohne sie würde sich kaum einer herverirren. Es gibt keine Skating-Spur, nur Klassik.

Es gibt keine Skating-Spur, nur Klassik.

©Günter Kast

Die meist älteren Herrschaften, die in der Post absteigen, sind das so gewohnt. „An den Wochenenden sind wir meistens gut gebucht“, sagt Junior-Chef Florian Reindl. „Neben den Langläufern kommen Schneeschuh- und Skitourengeher, auch Winterwanderer.“

Allerdings: Mit Schneeschuhen und Tourenski erkundet man meist nur das Nahrevier rund um Hinterriß. Die Eng ist zu weit entfernt, denn die Schranke beim Mauthäuschen öffnet erst Anfang Mai. Zum Glück gibt es mittlerweile Fatbikes – mit extradicken Reifen, die im weichen Schnee nicht zu tief einsinken.

Und so setzt sich eine Gruppe früh am Morgen mit an den Rucksack geschnallten Ski und Stöcken auf die Räder. Die ersten Versuche sind wackelig, wer fährt schon mit Skischuhen und schwerem Rucksack Rad? Bis zu den „Haglhütten“, also etwa die Hälfte der Strecke, ist die Fahrstraße geräumt, so geht es schneller.

Zum Glück gibt es mittlerweile Fatbikes – mit extradicken Reifen, die im weichen Schnee nicht zu tief einsinken.

©Günter Kast

Schon nach wenigen Kilometern umgibt uns Einsamkeit. Der Rißbach ist nur an den Rändern zugefroren, eine Wasseramsel taucht nach Futter. An den von der Sonne beschienenen Hängen über uns erkennen wir große „Fischmäuler“: Risse in der Schneedecke, die entstehen, wenn sich Spannung abbaut. Sie erinnern daran, dass dies hier kein ungefährlicher Ort im Winter ist.

Es tauchen die ersten Ahorne auf. Immer höher werden die Schneeberge rechts und links. Nach gut einer Stunde: der Blick auf den Großen Ahornboden und die in ihr Winterkleid gehüllten Felswände. Bei den Engalmen stellt die Gruppe die Räder ab und trinkt dampfenden Tee. Sie sind alleine. Der sommerliche Tummelplatz wirkt wie ausgestorben. Fenster und Türen des Alpengasthofs sind verrammelt, die Wirtsleute, die das Gasthaus und Hotel in vierter Generation führen, wohnen im Winter im Inntal.

Den geplanten Aufstieg zum Hochglückkar sagt man spontan ab. Die steile Route sieht stark lawinengefährdet aus, die erhofften anderen Ski-Spuren gibt es nicht, nur eine weiße, unberührte Wüste. Stattdessen nimmt die Gruppe das Hohljoch am Übergang zur Falkenhütte ins Visier, und legt die Spur in vollkommen frischen Pulverschnee.

Die steile Route sieht stark lawinengefährdet aus, die erhofften anderen Ski-Spuren gibt es nicht, nur eine weiße, unberührte Wüste

©Günter Kast

Bald wachsen die berühmten Lalidererwände in den Himmel. In einiger Entfernung sind Gämsen, die dort, wo bereits Schneebretter abgegangen sind, nach Fressbarem suchen. Die Berufsjäger der Eng hätten am liebsten, wenn in der dunklen Jahreszeit überhaupt niemand hier rauf kommt. Kurz unterhalb des Hohljochs beschließt man die Umkehr; aus Respekt vor den großen Schneewechten am Kamm. Und um die Stille noch mehr zu genießen.

©Grafik

Infos

Touren durch die verschneite Eng sind nichts für Anfänger; Tipp: Führer buchen! die-bergfuehrer.de
Rücksicht auf Wild und Natur muss man auch mit dem Fatbike nehmen, Verleih: bikecenter-gap.de

Allgemeine Info: engalm.at, karwendel.org, ahornboden.com

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