Die Kaschubei: Gottes Resterl-Landschaft
Die Kaschubische Seenplatte im Norden Polens lockt mit Wasserspaß, Natur und einer gehörigen Portion Gastfreundschaft. Ein Aufruf zum Nichtstun
Die Kaschuben antworten auf die Frage, wie viele Seen es in der Kaschubischen Seenplatte gibt, mit „Was zählt als See?“. Rechnet man alle größeren Gewässer über ein Hektar, so seien es rund fünfhundert bis sechshundert. Dazu kommen unzählige winzige Lacken und Teiche. Und alle Gewässer haben Trinkwasserqualität.
Die tiefblauen Wasseraugen prägen die Landschaft der Kaschubei, auch Kaschubien genannt, im Norden Polens. Dazwischen erstrecken sich sanfte Hügel, dichte Wälder mit Kiefern und Birken, weite Weizenfelder und verschlafene Dörfer und Gehöfte. Obwohl die sehenswerte Stadt Danzig (Gdansk) nur gut dreißig Kilometer östlich liegt, könnte der Kontrast nicht größer sein: Die Kaschubei ist Lichtjahre von Hektik und Lärm entfernt.
Genau das ist die Stärke des unaufgeregten Landstrichs: Hier kommen Menschen zur Ruhe. Sightseeing-Stress gibt es keinen, dafür vielfältige Möglichkeiten für Naturgenuss: Radfahren, Wandern (im Herbst sind die Wälder pilzreich), Reiten sowie Wassersport mit Schwimmen, (Stand-up-)Paddeln, Surfen, Segeln. Auf ausdauernde Kajak-Freunde wartet die einundvierzig Kilometer lange Raduńskie-Schleife durch siebzehn Seen und den Fluss Radaune.
Vor lauter Hügeln und Seen schrecken die Kaschuben (eine Minderheit; pommersche Slawen mit eigener Sprache) nicht davor zurück, ihre Heimat „Kaschubische Schweiz“ zu nennen. Ziemlich übertrieben: die höchste Erhebung, der Turmberg (Wiezyca), ist gerade mal 330 Meter hoch – bietet im Winter aber zwei Skipisten. Die Aussichtswarte ermöglicht einen Rundblick auf die Fleckerlteppich-Landschaft.
Einer Legende nach wurde die Kaschubei ganz am Ende der Schöpfung aus den besten Resten, die Gott in seinen Säcken übrig hatte, erschaffen. Als Dank dafür errichteten die Kaschuben Kirchen aus rotem Backstein, wie die in Kartuzy. Die Wissenschaft weiß es besser: Es waren die skandinavischen Gletscher mit ihren weißen Zungen, die vor rund 15.000 Jahren die postglazialen Täler und Gewässer der Pommerschen Seenplatte, zu der die Kaschubei gehört, schufen. Das größte Überbleibsel geschmolzenen Eises ist die Ostsee.
Eine Rarität in Europa
An der nahen Ostseeküste erlebt man die formende Kraft des Windes: Westlich des turbulenten Ferienortes Łeba liegt die einzigartige Küstendünenlandschaft des Slowinzischen Nationalparks. Auf der siebzehn Kilometer langen, schmalen Nehrung mit duftenden Kiefernwäldern zwischen dem Meer und dem Łebasee liefern sich die Naturgewalten einen erbitterten Kampf.
Die riesigen Wanderdünen verändern sich täglich und bewegen sich mit den Seewinden bis zu zehn Metern pro Jahr, Tendenz ostwärts. Dabei schütten sie Bäume zu, legen abgestorbene Baumstrünke wieder frei und machen auch vor Ortschaften – wie etwa dem ursprüngliche Dorf Łeba – nicht halt. Die höchste Düne, die Łącka Góra (Lontzke-Berg), erreicht stattliche sechzig bis fünfundsechzig Meter. Eine Rarität in Europa. Schuhe ausziehen und höher, höher, höher durch den tiefen, puderweichen, weißen Sand stapfen. Die Mühe lohnt: Der Gipfel des Dünengebirges offeriert einen weiten Blick über die „Polnische Sahara“.
Zurück nach Kartuzy: So hinterwäldlerisch sich die Kaschubische Seenplatte gibt, präsentiert sich hier auch die große weite Welt – speziell für Weinliebhaber: Das Boutique-Hotel Kania Lodge wurde von John Borrell gegründet. Der gebürtige Neuseeländer war lange Kriegskorrespondent des Time-Magazins, hängte dann den Job an den Nagel und widmet sich nun mit seiner polnischen Gattin Anja dem gemütlichen Gästehaus am „Weißen See“ sowie dem internationalen Wein(bau).
„Unsere Weine werte ich eher als Experiment und Abenteuer“, erklärt John launig, „Grappa gelingt uns weit besser.“ Darüber hinaus offeriert die Weinkarte rund dreihundert der edelsten Tropfen aus aller Welt. Mit Blick auf das glitzernde Wasser des Weißen Sees, ein schönes Glas Wein in der Hand und wunderbare Kreationen auf dem Teller: Das ist die beste Art des kaschubischen Naturgenusses. Von Claudia Jörg-Brosche
Info
Klimafreundliche Anreise
Mit Ryanair zweimal wöchentlich (Di., Sa.) Wien– Danzig (-Kompensation auf atmosfair.de: 11 €); weiter mit der Pommerschen S-Bahn in die Kaschubei.
Schlafen
– Kania Lodge, Kartuzy: Boutiquehotel für Weinfans am See. Gutes Restaurant, riesige Weinauswahl.
DZ mit F (2 P.) ab 120 € kanialodge.com.pl/en
– Agrotourismus Stare Gospodarstwo, Pierszczewko: Bauernhof aus dem 18. Jh.; Sauna, Feuerstelle, Grill. Die Besitzer Kasia und Michał sprechen Englisch; nur für Erwachsene. DZ mit F (2 P.) ab 60 €
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