"Der Bergdoktor" am Wilder Kaiser: Eine Bergtour ohne Doktor

Die Tiroler Region Wilder Kaiser ist Wintersportdestination und malerische Kulisse für den „Bergdoktor“: Doch erst die vielfältigen Wander- und Kletterrouten machen das südliche Kaisergebirge zum Ganzjahresziel. Mit Bergführer ging es auf den höchsten Gipfel.

Überblick

Höhe

2.344 m

Fleischbank, Totenkirchl und Predigtstuhl. Bei diesen Bezeichnungen kann es einem Wanderer mulmig werden. „In erster Linie ist es das Aussehen, das den Wilden Kaiser so besonders macht“, sagt Hubert Praschberger und zeigt auf die bizarren grauen Felswände, die im Morgenlicht schimmern. Aber die „interessanten Namen“ machen für ihn ebenso den Reiz seines Heimatgebirges aus. „Und natürlich die senkrechten und überhängenden Felsformationen. Von der einfachen Wanderung bis zur extremen Klettertour ist alles möglich.“ Der Bergführer ist hier geboren, lebt hier. Letzteres heißt übersetzt: Er ist so oft wie möglich auf dem Berg.

©Stefan Hofer

Klimafreundliche Anreise

Mit der Bahn von Wien nach St. Johann, Kufstein od. Wörgl; vom jedem Bahnhof kann man mit GästeCard (erhält jeder Übernachtungsgast vom  Gastgeber, vorab anfragen!) gratis mit dem öffentl. Bus fahren

Mobil in der Region
Wer mit Auto anreist, kann es vor Ort getrost stehen lassen und  umweltfreundlich urlauben. Der Wilde Kaiser ist seit 1964 Naturschutzgebiet, auf Verkehrsreduktion wird Wert gelegt. Mit  GästeCard kann man   das Mobilitäts- angebot kostenlos nutzen: Sei es der öffentliche Nahverkehr, der KaiserJet (verbindet Going, Ellmau, Scheffau und Söll) oder der See- und Wanderbus

Der Wilde Kaiser ist der südliche Teil des Kaisergebirges und befindet sich zwischen Kufstein und St. Johann in Tirol. Abgesehen von der Geschichte des Alpinismus – dazu später ein Wort – und der riesigen „SkiWelt Wilder Kaiser – Brixental“ ist diese Tiroler Tourismusregion vor allem wegen einer Sache weltbekannt: der TV-Serie „Der Bergdoktor.“ Weltbekannt ist nicht mal übertrieben. Die Serie wird mittlerweile international ausgestrahlt, etwa in China, Grönland, Thailand und den USA. In Dänemark rettet der „Bjerglægen“, im spanischen Fernsehen gibt es Herzschmerz mit „Doctor en los Alpes“. Darsteller Hans Sigl ist Österreichs berühmtester Export seit Christoph Waltz.

Hans Sigl, der "Bergdoktor"

©TVB Wilder Kaiser/MARTIN LIFKA PHOTOGRAPHY

Der Bergdoktor

Seit 2008 lassen ORF und ZDF  Hans Sigl als „Bergdoktor  Martin Gruber“ (im Bild der „Gruberhof“) am Wilden Kaiser  ordinieren,  lieben, leiden und retten.
Die TV-Serie ist   in Deutschland sehr beliebt, viele Fans kommen zu den Drehorten. Der nächste Fan-Tag ist am 19. Mai in Going. Die 15. Staffel ist ab jetzt mittwochs auf ORF 2 und donnerstags im ZDF zu sehen

Vor der Ausstrahlung der fünfzehnten Staffel des Bergdoktors begaben wir uns auf Spurensuche. Also zurück in die Realität. Und rauf auf den Berg. Praschberger ist im Zivilberuf Bautechniker und hat sein Hobby zum Zweitberuf gemacht, er ist selbstständiger Bergführer. Mithilfe seiner jahrzehntelangen Erfahrung geht es an jenem herbstlichen Sonnentag vor Allerheiligen auf den höchsten Gipfel des Gebirgsmassivs: die Ellmauer Halt (2.344 Meter). Start ist frühmorgens beim Parkplatz der Wochenbrunner Alm auf 1.085 Meter Seehöhe. Ab hier wandert man sich in einem schönen Waldstück (Weg 825) warm, ehe eine knappe Stunde später die Gruttenhütte erreicht wird.

Dreharbeiten

©Stefan Hofer

Wie es der Zufall will, finden am Pfad unterhalb der Hütte „Bergdoktor“-Dreharbeiten statt. Filmkamera-Equipment liegt im Gras zwischen Steinen, Statisten warten auf ihren Einsatz. Eine Regieassistentin, die outfitmäßig auf den hippen Prenzlauer Berg und nicht auf eine Tiroler Alm eingestellt ist, wachelt mit einem Klemmbrett in der Hand noch vorbeigehende Wanderer in ihren neonfarbenen Funktionsjacken durch, bevor an dieser Stelle wieder gefilmt wird. Eine Handvoll Männer der örtlichen Bergrettung sind zur Unterstützung da (etwa beim Transport), sie beobachten, wie mit einer Drohnenkamera eine Aufnahme aus der Luft gedreht wird. Der Bergdoktor ist an diesem Drehtag nicht dabei. Tags zuvor sei er heroben gewesen. Schade. Mit einem spontanen Selfie mit Hans Sigl wird es also nichts.

Es wird steil

©Theresa Aigner

Die erste Verschnaufpause ist vorbei, ab der Gruttenhütte wird die Wanderung, für die hin und zurück sieben Stunden einzuplanen sind, richtig spannend. Es geht aufwärts, in das große Schotterkar „Hochgrubach“. Praschberger holt bei einer Trinkpause Helm, Seil und Klettergurte aus seinem Rucksack und knotet eine Zweier-Seilschaft. Ein guter Bergführer müsse ja maximale fachliche Kompetenz auf dem Berg bieten. „Stolpern oder Stürzen kann jederzeit und jedem passieren.“ Hans Sigl habe er übrigens noch nie getroffen, erzählt der Mittfünfziger nebenbei. Er finde die Aufnahmen, die Darsteller und die Serie sehr gut und schaue sie gerne mit seiner Frau an. Auf die Frage, ob die Situationen am Berg realistisch dargestellt werden, antwortet er trocken: „Ich kann gerne mal mit Herrn Sigl eine Kletter- oder Bergtour unternehmen, damit der Weiterentwicklung der Serie nichts im Weg steht.“

Siebzig Trittbügel

Es folgt der Anstieg über den Gamsängersteig. Der Fels wird steiler, das Gelände brüchiger. Dann ein optisch spektakulärer Abschnitt: die Jägerwandtreppe. Siebzig in den Fels gebohrte Trittbügel geben Halt. Eine tolle Stelle für Fotos, es sieht gefährlich aus, ist es aber nicht, vor allem am Seil. An Tagen mit prächtigem Wanderwetter kann es an dieser Engstelle schon zum Stau kommen. Früher, in der Hochblüte des Alpinismus, ging ein Mann auch eine Seilschaft mit dem Wilden Kaiser ein. Der Tiroler Alpinist Hermann Buhl durchstieg mit achtzehn Jahren die schwierigsten Wände im Kaisergebirge. Berühmt machte ihn 1953 die Erstbesteigung des Achttausenders Nanga Parbat im Alleingang. Für Praschberger aber – und das verstehen jetzt wohl nur Kletterprofis – ist die Erstbegehung der Pumprisse am Fleischbankpfeiler 1977 die alpinhistorische Sensation am Kaiser.

Fast am Ziel, passiert man die im Fels halb versteckte Babenstuberhütte, ein Notbiwak, der bei Schlechtwetter Schutz bietet. Ein Eintrag ins Buch bleibt verwehrt, das dürfte wohl jemand gefladert haben. Die letzten Meter noch, das Gipfelkreuz ist bereits in Sicht.

Der schönste Berge liegt in der Ferne

Am Gipfel packt Hubert – spätestens hier ist man auf dem Berg per Du – Brot und Weintrauben aus und stärkt sich. Der Gipfel ist nicht nur über diesen Normalweg, sondern auch über die Kletterroute Kopftörlgrat oder über den versicherten Kaiserschützensteig erreichbar. Wie oft er schon heroben war? Der Profi überlegt. „Keine Ahnung, ich habe nicht mitgezählt.“ Der 360-Grad-Panoramablick ist fantastisch, der Himmel an diesem Spätoktobertag klar. Bunte Wimpel, wie man sie aus Nepal kennt, flattern sanft in der Brise. Wohin führte ihn seine abenteuerlichste Expedition? „Das war die Besteigung des Alpamayo (5.947 Meter), dem schönsten Berg der Welt!, und des Huascaran (6.850 Meter) in der peruanischen Gebirgskette Cordillera Blanca.“

Skitouren sind meist bis Ende April möglich. Im Frühling, wenn oben noch Schnee liegt, empfiehlt Hubert Wanderungen am Fuße des Wilden Kaisers, etwa um den zauberhaften Hintersteiner See.

©Thomas Hennerbichler/LICHTAR.at/Wilder Kaiser

Beim Abstieg kommt auf Höhe Schotterkar ein Wanderer keuchend entgegen und fragt, wie weit es noch sei. Hubert rät ihm, so spät nicht mehr auf den Gipfel zu gehen. „Ich habe mal beim Abstieg noch Aufsteigende getroffen, die haben sich trotz hereinbrechendem Gewitter vom Gipfelaufstieg nicht abhalten lassen“. Als wir bei der Gruttenhütte pausieren, die Tour besprechen und die Vorfreude auf das nagelneue Panorama-Spa im Hotel wächst, kommt der Wandersmann von vorhin schnaufend herab. Hubert schaut erleichtert. Also kein Anruf bei den Kumpels der Bergrettung nötig. Oder beim Bergdoktor.

©Grafik

Infos

Geführte Bergtouren

Auf die Ellmauer Halt oder andere Gipfel: Mit  GästeCard im Sommer freitags mit einem Bergführer, für 4–6 Personen, Anmeldung am Vortag bis 12 Uhr online oder im TVB Büro; geliehene Ausrüstung ist im Preis (95 €) inbegriffen.
– Praschberger  und sein Team: clubvertikal.at

©Postwirt Söll Wilder Kaiser

Übernachten im "Postwirt"

Der Postwirt in Söll  Christina und Florian Bliem leiten das Vier-Sterne-Hotel (62 Zimmer) im Zentrum  von Söll. Im 13. Jahrhundert wurde der Postgasthof erstmals urkundlich erwähnt. 2020 haben die Bliems einen neuen Trakt mit Fitnessstudio und Panorama-Spa mit Innen- und Außenpool eröffnet. Für die Kleinen gibt’s eine Indoor Kinderwelt. derpostwirt.at
4*-Hotel „Der Postwirt“ in Söll;  aktuelles Angebot: „Pulverschneewochen“ ab 925 € p.P./DZ (5, 6 oder 7 Nächte), inkl. Skipass (gilt bis 5.2.), Tel. +43/5333  5081, [email protected]

Stefan Hofer

Über Stefan Hofer

Stefan Hofer ist seit 2009 beim KURIER. Schreibt für das Ressort Reise.

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