Weekender Belgrad: Serbiens Hauptstadt als Modemetropole
Fashionweek in Belgrad? Nie gehört! Dabei sollten alle Modeverrückten ihren Blick gen Süden wenden.
Überblick
Von Wien nach Belgrad in 6 Std.
Knapp 10 Std. ab Wien
Ca. 1 Std.
Ein Küsschen hier, ein Küsschen dort und schon sind Nenad und Dragana in der Boutique in der Cara Lazara im angeregten Gespräch versunken. Nenads Hand fährt prüfend über die Stoffe. Ein anerkennender Blick, ein Seufzer: „Großartiger Entwurf!“. Man merkt schnell: Hier sind zwei Insider der Belgrader Mode-Szene unter sich. Nenad Radujević ist Kurator der Belgrader Fashion Week, Dragana Ognjenović eine der bekanntesten und erfolgreichsten Designerinnen Serbiens. Sie treffen sich in ihrer Boutique im Zentrum Belgrads. Die Cara Lazara ist DIE Shopping-Adresse, wenn es um Designermode geht, Boutiquen mit Highclass-Fashion gibt es hier eine neben der anderen, die Auswahl ist groß.
„Die Belgrader lieben es, sich schick anzuziehen und auszugehen“, weiß Nenad Radujević. Und zwar ganz unabhängig von der Belgrader Fashion Week, die diesmal vom 21. bis 28. April internationale Fashionistas anzieht. Ob unter der Woche oder am Wochenende, tagsüber oder nachts, wenn sich die Gehsteige in bühnenreife Laufstege verwandeln und sich die Außenflächen von Cafés und Restaurants schon jetzt im Frühling mit genussfreudigem Publikum füllen.
Dragana Ognjenović – vom Stil her so etwas wie die serbische Jil Sander – ist nicht die einzige Modemacherin, die Serbinnen anzieht. Und übrigens nicht nur die: Durch ihren Onlineshop sind ihre vor allem schwarzen, weißen und nudefarbenen, schlicht, aber raffiniert geschnittenen Stücke weltweit erhältlich.
In der serbischen Hauptstadt wimmelt es geradezu von ausgefallenen Modeboutiquen. Denn Belgrad pulsiert von unbändiger Kreativität. Allein 50 verschiedene, unabhängige Designlabels und 15 Conceptstores gibt es hier – wie den von Gordana Grubješić. Die erfahrene Modestylistin, die für internationale TV-Produktionen arbeitet, zeigt Nenad Radujević in ihrem kunterbunten Store Woll-Mäntel und -Jacken im schrillen Farb- und Materialmix. „Schau mal, sind die nicht extravagant? Dabei werden die Stücke von einfachen Frauen von Hand auf dem Land gestrickt.“
Kuriose Fakten. Wusstet ihr, dass...
… sich eine echte Höhle im Zentrum Belgrads auftut? Und zwar unter der Kirche des Heiligen Markus in Tašmajdan.
… der König Aleksandar Boulevard die längste Straße Belgrads ist. Sie misst ganze 7,5 Kilometer.
… die Sava-Kathedrale (u.) mit 15.000 Quadratmetern die größte Mosaikdarstellungen der Welt besitzt?
Mode-Metropole
Schon zu Titos Zeiten galt Serbien als Hochburg der Textilindustrie in Jugoslawien und die stoffliche Kreativität ging auch nicht verloren, als der Vielvölkerstaat zerfiel. Ganz im Gegenteil. Während des Krieges gründete die Mutter von Milica Njego und Miloš Ivković das Strickmodelabel IVKO, das heute in New York, Oslo, Wien und München zu finden ist und von dem Geschwisterpaar geleitet wird. Allein in Belgrad gibt es die hochwertig gestrickte und bestickte Damenmode, die sich durch eine faszinierend eigenständige Stilistik mit Balkan-Einflüssen auszeichnet, in drei Boutiquen.
Mittlerweile studieren mehr junge Menschen Modedesign in Belgrad als jemals zuvor. Nenad Radujević – mehrfach für sein Engagement für die Modeszene Serbiens ausgezeichnet – hat einen Blick für Talente und ein Händchen dafür, die richtigen Akteure an einen Tisch und auf die große Bühne zu bringen: 1996 gründete der smarte Kosmopolit die erste Fashionweek Belgrads. Sie ist die größte und einflussreichste des Balkans und genießt internationale Aufmerksamkeit. Zwei Mal im Jahr – im Frühling und Herbst – schicken um die 70 Designer ihre Models auf den Laufsteg. Und Fashionfans aus ganz Europa strömen zum Modezirkus an die Donau.
Kultur & Kulinarik
In diesem Jahr sogar zum 51. Mal. Das internationale Publikum darf sich vor und nach den Shows auf eine ganz besondere Ausgehszene freuen: die Restaurants und Cafés der Balkon-Metropole stehen denen in anderen europäischen Metropolen in nichts nach. Hier wird genauso Craftbeer gebraut wie in Hamburg oder Wien. Der Gault Millau verteilt Höchstauszeichnungen an die ideenreichen Küchenchefs der Foodszene wie in London oder Paris. Und auch hier duftete es nach frisch gerösteten Kaffeebohnen wie in den angesagten Vierteln von Kapstadt oder Toronto. „Gerade die jungen Leute reisen viel und sehen sich in der Welt um, bringen neue Trends zurück nach Serbien und gestalten sie in ihrem Stil um oder entwickeln sie weiter“, sagt Nenad Radujević. Und zwar mit einem eigenen Belgrad-Twist.
Der zeigt sich immer wieder auf neue Art und Weise. Wie impulsiv und fantasievoll die Stadt ist, lässt sich auch an ihren Häuserwänden ablesen. Dort haben Künstler eine erstaunliche Bandbreite von Street-Art hinterlassen. Ljiljana Radosević war selbst erstaunt, als sie sich auf den Weg machte, diese Szene zu entdecken. Als Belgrad-Guide und Kunsthistorikerin hatte sie schon viel gesehen, aber was sich hier in Hinterhöfen, Durchgängen und Häusernischen zeigt, hat sie doch überrascht: „Das ist zum Teil hochpolitisch, künstlerisch professionell und in jedem Fall kreativ!“. Zwei Stunden dauert die Tour, auf der man einen interessanten Eindruck auf die gesellschaftliche Seite der Stadt bekommt.
Der Belgrad Spirit
Hier zeigt sich Belgrad auch mit seinen Ecken und Kanten, mit seinen Wunden und Narben: Im Zweiten Weltkrieg zerstörte die deutsche Luftwaffe große Teile der Stadt. Und auch im März 1999 fielen Bomben auf Belgrad. 78 Tage lang versuchte die NATO mit einem militärischen Einsatz, die Regierung der Volksrepublik Jugoslawien zum Umdenken im Kosovokrieg zu bewegen. Spuren beider Bombardements sind immer noch zu entdecken. Zum einen gibt es nicht mehr viele der damaligen Gründerzeithäuser im Straßenbild zu sehen; einige, die den Krieg überlebt hatten, wurden während Titos Regierungszeit durch schmucklose sozialistische Einheitsbauten ersetzt. Zum anderen kann man selbst im Stadtzentrum noch die Einschläge der NATO-Raketen entdecken. Wie zum Beispiel am Gebäude des Generalstabs, bei dem die Schäden bis heute nicht beseitigt wurden.
Über 20 Jahre danach versucht Serbien den Anschluss an Europa, hat sich um eine EU-Mitgliedschaft beworben. Wie gut der Spagat zwischen westlichen Einflüssen und den Traditionen des Balkans jetzt schon gelingt, sieht man in der Skadarska: Da flanieren Belgrader und die Besucher der „Weißen Stadt“ zwischen supermodernen Foodtempeln und alteingesessenen Gourmetadressen, wo zum Beispiel das „Dva Jelena“ (Zwei Hirsche) fantastische Wildgerichte serviert. Auch in den anderen Belgrader Restaurants kocht ein Mix aus Einflüssen aus der ganzen Welt, die sich mit dem typischen Belgrad-Spirit aufs Wunderbarste vermählen.
Beliebtes Ziel für Touristen wie Einheimische – gerade auch im Frühling und Sommer – ist die Festung von Belgrad: Eine Bastion gegen die Angriffe des Osmanischen Reiches, die strategisch wichtig auf einem 50 Meter hohen Kalksporn über dem Flussdelta der Save in die Donau liegt und jetzt einen Balkon für Verliebte oder ganze Familien bildet, der nach dem Spaziergang durch den Kalemagdan Park mit einer weiten Aussicht in Richtung Novi Sad lockt.
Apropos Novi Sad: Ein Schnellzug bringt Neugierige in einer halben Stunde von Belgrad in die nordwestlich gelegene zweitgrößte Stadt Serbiens, die im vergangenen Jahr europäische Kulturhauptstadt war. Was etwas verwundert, ist dieser Titel doch eigentlich nur europäischen Citys vorbehalten und nicht solchen von Beitrittsstaaten. Aber Novi Sad mit seinen rund 320.000 Einwohnern hatte schon immer eine attraktive Museen- und Galerieszene – und jede Menge Festivals. Ein Bummel durch die Altstadt mit ihren pastellfarben gestrichenen, alten Häusern lohnt in jedem Fall einen Ausflug. Denn auch hier verwandeln sich die Straßen und Gassen bei den ersten frühlingshaften Sonnenstrahlen in einen Laufsteg, auf dem die Liebe zur Mode gefeiert wird.
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