Nebelverhangene Herbstlandschaft in Bad Aussee am See

Herbst-Wochenende in Bad Aussee: Ruhe finden in einem Land für sich

Die freizeit auf Herbstfrische am Altausseer See: Wenn die Sommerurlauber abgereist sind und das Land zur Ruhe kommt.

Von Nicola Afchar-Negad

Unter der Ortstafel Bad Aussee verkündet ein Zusatz-Schild: "Geografischer Mittelpunkt Österreichs". Man lebt hier in Tracht und Eintracht frei von Kummer – letzteres meinte zumindest Erzherzog Johann.

Es ist ruhig geworden in Bad Aussee. Der geografische Mittelpunkt ist ein bisschen aus dem Fokus gerutscht. "Gut so" werden manche sagen – und deutlich mehr sich nur denken. Die Sommerfrischler haben ausgecheckt, das Kulturhauptstadt-Jahr franst langsam aus. 

Bad Aussee ist bekannt als Trachtenhauptstadt Österreichs, als Tummelplatz von Literaten und Malern des 20. Jahrhunderts und Inbegriff der österreichischen Prestige-Landschaft.

Gelegen im steirischen Teil des Salzkammerguts mag man zwar so etwas wie der kleine Bruder von Bad Ischl und Hallstatt sein, aber das interessiert hier niemanden – ganz im Gegenteil: die Bad Ausseer leben gut damit.

Am Marktplatz, quasi der Agora des Ortes, wird diskutiert und philosophiert – über die neue Panoramabahn auf den Loser oder die Sinnhaftigkeit eines öffentlichen Kunstwerks, das aussähe wie ein falsch zusammengebautes Regal.

Es regnet zweimal im Jahr: Einmal sechs, einmal sieben Wochen

So gesehen hat sich hier nicht viel verändert, im Laufe eines Jahrhunderts. Schon anno dazumal saßen die Sommerfrischler auf den holzgeschnitzten Veranden ihrer Häuser zusammen, zelebrierten gesellschaftliche Gepflogenheiten und mutmaßten, wie lange der Schnürlregen noch anhält. Der Gastgeber-Ikone Albert Eltz wird nachgesagt, er habe seine Angereisten mit den Worten: "Es regnet in Altaussee (Anm.: keine 5 km von Bad Aussee) nur zwei Mal im Jahr. Einmal sechs und einmal sieben Wochen."

Der fast schon hypnotischen Kraft der Natur hat das natürlich keinen Abbruch getan. Schon Erzherzog Johann (1782-1859) hat das so gesehen. Der zweite Teil seines Zitats "Jeder Gedanke an die große Welt, jeder Kummer schwindet hier" findet sich als Erinnerung an einer Wand des Hotels "Erzherzog Johann".

Die Rettenbachalm im Sonnenschein: Grüne Wiese, herbstliche Bäume

 Das herrliche Gebiet der Rettenbachalm: am Wochenende lockt das dortige Wirtshaus mit einem Almbrunch.

©Tourismusverband Bad Ischl/SalzburgerLand Tourismus

Literatur und Literaten: Es wird gern erzählt im Salzkammergut

Bad Aussee lebt von seiner Geschichte, der des Erzherzogs, der sich in die Postmeistertochter aus dem Ort verliebt hat und all jener des poetischen Panoptikums. Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Theodor Herzl und deutlich später auch Marcel Reich-Ranicki, im Salzkammergut wurde und wird gerne erzählt.

Man gönnt sich ein eigenes Literaturmuseum in Altaussee, das heuer nach umfangreicher Umgestaltung wieder eröffnet hat. Und es gab 2024 zu Poesieautomaten umfunktionierte Kondom- und Kaugummiautomaten im Kurpark – als Programmteil der "Kulturhauptstadt Bad Ischl". Die Lyrik-Spender hatten in allen Gemeinden, in denen sie auftauchten, ein anderes Thema – in Bad Aussee war es "Liebe aus Österreich" – auf Knopfdruck, gegen 50 Cent.

3 kuriose Fakten. Wussten Sie, dass …

➤  … 1989 im Kurpark in Bad Aussee der sogenannte Kurparkstein eröffnet wurde, der den Mittelpunkt Österreichs kennzeichnet?
➤  … es mit "Gschmå" ein Dialektwort gibt, das nur im Salzkammergut verwendet wird? Es drückt den Zustand vollkommener Zufriedenheit aus. 
➤ … es mit "Verborgen im Fels" eine Graphic Novel über das Altausseer Salzbergwerk gibt?   
 

Große Worte

Ganz viel Liebe fürs gedruckte Wort hat auch Petra Barta vom Hotel "Die Wasnerin". Man frönt hier der "Sostalgie", einer Wortkreation aus Sommerfrische und Nostalgie. 

Matinees (z. B. am Nationalfeiertag mit Michael Köhlmeier) und Lesungen gehören in der Wasnerin einfach dazu. Am 30. November darf man sich etwa auf Ilse Retzek und ihr neues Buch "Winterzauber im Salzkammergut" (Styria Verlag) freuen. 

Landschaft, Tradition, unverrückbare Menschen

In Attnang-Puchheim, dem wie sie sagt "Tor zum Salzkammergut" aufgewachsen, kennt sie jede Ecke und jeden Winkel – und jede Loipe und jeden Steg. Sie sei dem Salzkammergut "verfallen", schreibt sie im Vorwort. "Es ist die Schönheit der Landschaft, die Ehrlichkeit der Traditionen und die Unverrückbarkeit der Menschen, die einen offen willkommen heißen". 

Und es ist die Kompaktheit in der Region, das Teilen von Bergen, Flüssen und Seen, die gleichzeitig vereinen und trennen. Die Ortschaften sind teils nur ein paar Kilometer voneinander entfernt und doch liegen Welten dazwischen. Das macht Retzek also zur Weltenbummlerin.

Fliegenfischer in der Koppentraun

Beliebter Sport: Fliegenfischen in der Koppentraun

©Katrin Kerschbaumer Photography

"Die Gemeinden rund um den Attersee sind sich auf natürliche Weise fremd", beschreibt sie das Phänomen. Es entsteht trotzdem ein harmonisches Ganzes, irgendwo zwischen den grünen Wäldern mit rosa Almröschen, lila Enzianen und schneeweißen Berggipfeln. Den Hausberg Lofer hat einst sogar Kaiserin Sissi erwandert, aber wir wollen nicht wieder in die guten alten Zeiten abrutschen. Das Hier und Jetzt, das Dort wie Drüben füllt jede Bucketlist, wie Retzeks Buch beweist. 

Ob Langlaufen zwischen Toplitz- und Grundlsee oder die Panorama-Rodelbahn am Loser – die Region präsentiert sich im kargen Winter in voller Blüte. Ihr Zusatz-Tipp: die hochgelobte Barbara-Messe am 4. Dezember im Salzbergwerk Altaussee.

Anreise

In etwas über drei Stunden ist man mit dem Auto von Wien in Bad Aussee, das ist kein allzu strapaziöser Ausflug. 

Wer lieber mit der Bahn fährt, braucht auch nur eine Stunde länger. Umsteigen in Attnang-Puchheim, von dort noch 12 Stationen mit dem REX. 

Untergehende Traditonen

Aber auch im Ausseerland verblassen Traditionen – oder gehen unter. Beispiel die herbstlichen Lechpartien am Altausseer See: Dabei wird in einer fast mystischen Zeremonie den frisch gefangenen Saiblingen behutsam der Laich abgestreift, bevor sie wieder zurück ins Wasser gleiten. Quasi der Erntedank der Fischer. "Anscheinend gab es einen Generationenwechsel" so Retzek. "Die Jungen machen es nicht mehr". Am Grundlsee ist dagegen alles beim Alten – nur mit noch mehr Zulauf.

Ein Saibling mit Mandelkruste und Petersilerdäpfel

Der Saibling (hier in der Mandelkruste) ist das kulinarische Aushängeschild der Region

©Katrin Kerschbaumer Photography

Der Wandel kommt sanft

Es gibt jede Menge schönster Flecken im Ausseerland, soviel ist klar. Bad Aussee am Fuße des Loser und Ufer des Altausseer Sees (aufgrund der Dichter-Dichte auch Tintenfass-See genannt) ist einer davon. Der 5.000 Menschen-Ort steht für pittoreske kleine Geschäfte, in denen man Mirabell-Cape ("Susanne Spatt") oder Erzherzog Johann-Taler ("Ausseer Lebkuchen") bekommt. Die Miet-Apartments tragen Namen wie "Dirndlpracht" und "Platzhirsch" ("Schmiedgut"), und Werbefotos zeigen Kinder in Tracht auf der Schaukel ("Narzissendorf" am Grundlsee). 

Trachten-Authentizität verträgt auch japanische Kunst

Das Rustikale sollte nie ein Freibrief für Verkitschung sein und in der Gegend gelingt das recht gut. Autorin Retzek spricht von der "Ehrlichkeit der Traditionen" und Hotelière Barta unabhängig davon von "kultureller Authentizität". Und wenn das so ist, dann hat in der Regel auch das Neue, das Weitertragen der Glut, seinen Platz.

Die schwindelerregende Rutsche des Baumwipfelpfads im Salzkammergut

Lohnender Ausflug: Zum Baumwipfelpfad mit seiner schwindelerregenden Rutsche 

©Erlebnis Akademie GmbH/Baumwipfelpfad Salzkammergut

Ein Beispiel dafür ist das charmante "Viola im Garten", das heuer im Alpengarten eröffnet hat. Kräuter-Workshop und Maroni-Kuchen im Herbst, Orangen-Punsch an der Feuerschale und Buchteln im Advent. Alles in rustikal-gemütlichem, aber eben nicht verkitschtem, Ambiente. 

Ähnliches gilt für das Podenhaus, das nach Renovierung 11 Zimmer und Apartments beheimatet. Und seit Kurzem: ein Kunstwerk eines 18-jährigen Japaners. "Eishin Kyomatsu ist noch bis Mai 2025 bei uns zu Besuch", erklärt Gerhard Paradeiser vom Podenhaus. "Er spricht nicht Deutsch, aber hat offensichtlich gut zugehört." Sein "Guten Dog" Gemälde ziert jetzt Gemäuer aus dem 14. Jahrhundert. Ein kleines, aber bezeichnendes Exempel für den sanften Wandel.

Vor der Gmundner Keramik-Manufaktur steht eine überdimensionale Kaffeetasse mit Untersetzer, größer als ein Auto

Lohnender Ausflug: Die Gmundner Keramik-Manufaktur

©Gmundner Keramik

Nach der Sommerfrische kommt die Ruhe

Für Podenhaus-Chef Paradeiser geht es in seiner Heimat aber sowieso um etwas anderes: "Außerhalb der Hochsaison ist das hier ein Ort der Ruhe und Verbundenheit, letztere lässt sich kaum woanders finden. Es ist eine Hilfsbereitschaft untereinander, die sich eigentlich nur durch die Lage bzw. Abgeschiedenheit von Bad Aussee erklären lässt. Das kann man nicht mal mit Altaussee vergleichen." Da ist sie wieder, die viel zitierte natürliche Fremdheit. Die Menschen hier, die scheinen so unergründlich, wie der Toplitzsee. Aber genau das hat etwas Erfrischendes, auch jetzt, da die Sommerfrische dem Herbstknistern Platz gemacht hat.

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