Auszeit von der Lust: Nein zu Sex, ja zu sich
Manchmal braucht’s eine Neujustierung seiner Bedürfnisse - und vielleicht eine Sex-Auszeit. Besonders Frauen, die das tun, werden kritisch beäugelt.
Als "ein bisserl desperat" beschreibt sich Leserin Angela, besser: "desperat bis zornig". Seit zwei Jahren lebt die 57-Jährige getrennt von ihrem Ehemann, nach Monaten harten Ringens wäre sie nun endlich gelandet, wo sie hinwollte, schreibt sie: "Bei mir." Mit dem Ex verbinde sie mittlerweile eine lose-freundschaftliche Beziehung.
Diagnose: "Alles gut." Wären da nicht die anderen. Jene, die ihr das nicht abnehmen wollen, weil doch was fehlt: ein Mann. Irgendeiner.
Der "junge Lover", von dem sie sich's, nach Jahren komplizierten Gewurschtels, wieder mal "so richtig" besorgen lassen sollte. Der Verwöhn-Typ "Charmeur", der sie erst zum Candle-Light-Dinner und dann zum eleganten Kuschelkoitus vor dem offenen Kamin in der Cottagevilla lädt. Der ebenso "Getrennte" auf der Suche nach sexuellem Trost und ablenkender Ekstase oder, im besten Fall, nach einem neuen Liebes-Morgenrot.
"Ständig will man mir einen Mann verordnen, so als sei ich ohne nur ein halber Mensch oder halb so viel wert", empört sie sich und: "Aber sorry, ich genüge mir gerade selbst sehr." Kopfschütteln im Freundinnenkreis, dazu gut gemeinte Inputs. "Wart nur, das kommt schon wieder, du bist vermutlich noch sehr verletzt." Oder: "Das sind fix die Hormone, geh zum Arzt."
Neben feuchtigkeitsspendenden Scheidenzäpfchen werden ihr Tinder-Dates, Sex-on-the-Beach-Cocktails und Familienaufstellungen verordnet. Dass sie sich Raum nimmt und darin mal für eine Weile solo und mit sich zu bleiben will, will keiner verstehen.
Doch manchmal gibt es Phasen im Leben, die diese Stimme leiser werden lassen, weil andere Bedürfnisse gerade angesagter sind. So betrachtet, ist es okay, sich eine sexuelle Auszeit zu nehmen – oder mehr.
Aber Angela hat sich entschieden: kein Kompensationssex, kein Du, kein Aufmascherln für gewisse Stunden, stattdessen: nix. Einfach mal nix – nur sie und sie und sie, yeah! Ehrlich? Ich kann dieser Frau nur gratulieren.
Lust zu leben, mag herrlich vitalisierend sein, so sich die eine innere Stimme klar "pro" äußert: "Ja, ich will." Doch manchmal gibt es Phasen im Leben, die diese Stimme leiser werden lassen, weil andere Bedürfnisse gerade angesagter sind. So betrachtet, ist es okay, sich eine sexuelle Auszeit zu nehmen – oder mehr.
Es ist kein "Nein zu Sex", sondern ein "Ja" zu sich selbst, indem sich ein Mensch (egal, ob männlich oder weiblich) Raum nimmt und niemanden reinlässt.
Viel zu schnell wird sowas vom Umfeld als pathologische "Lustlosigkeit" abgestempelt, als "Störung", die dringend behoben werden muss. Nur selten wird die mögliche Befreiung dahinter wahrgenommen, jenseits von "Leid" oder "Frust". Sich dem sexuellen Getriebe bewusst zu entziehen, ist als Kompetenz zu werten. Weil keinen Sex zu haben, auch eine Facette selbstbestimmter Sexualität sein kann.
Doch solange die erotische Auszeit nicht in der "Leidensform", sondern als wesentlich erlebt wird, ist alles fein. Und auch, solange dieses "Nein" klar entschieden ist und keine Strategie, sich etwas schönzureden. Lust zu bejahen, ohne sie auch verweigern zu können, ist wertlos.
Die Aussage "ich habe Lust" muss einen Unterschied (zur Unlust) machen. Oder personalisiert ausgedrückt: Eine Frau, die nie Nein sagt, kann keine Vorstellung von Lust haben“, schreibt der Sexualtherapeut Ulrich Clement in Angelika Ecks Buch "Der erotische Raum".
Es ist okay, als "Autorin der eigenen Lust und Unlust" Nein zu sagen. Es ist okay, sich nicht mit mittelmäßigem Sex über blöde Lebensphasen drüberzuretten. Es ist okay, nicht allzeit bereit zu sein. Wer weiß? Vielleicht macht gerade das wieder offen für "Sex, worth wanting": Sex also, der es wert ist, gewollt zu werden. Und falls nicht, dann nicht. Auch gut.
Zahlenspiel
In einer neuen Vergleichsstudie hat die Dating-App Parship die Anzahl der bisherigen Sexualpartnerinnen und -partner in den DACH-Ländern untersucht. Schweizer hatten durchschnittlich 9,2 Sexualpartner, Österreicher 9,3 und Deutsche 8,7. Interessant ist, dass 23 Prozent der Schweizer Männer und 19 Prozent der Frauen angaben, sich nicht an die Anzahl erinnern zu können, ähnlich wie in Österreich.
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