Ein Ja zum Nein: Sexlos glücklich?

Laut einer Studie haben die Menschen weltweit weniger Sex. Muss uns das schockieren? Ganz im Gegenteil.

"Penis-Vaginal-Sex, Masturbation, Oralsex – ist alles seltener“: Unter diesem Titel fasst ein Interview mit zwei Sexualforscherinnen im Scientific American (via spektrum.de) einen  aktuellen Trend zusammen. Egal ob Teenager oder 40 Jahre alt: Weltweit haben die Menschen weniger Sex.  Das zeigt eine Studie, die im November in Archives of Sexual Behaviour erschienen ist. Die  Gründe dafür wurden nicht erhoben, aber es gibt Vermutungen. Bei den Jungen  könnten soziale Medien oder Computerspielen das Bedürfnis, sich „im anderen“ zu erleben, ersetzen. Einschränkend scheint auch die Zunahme von „Rough Sex“, mit brutalen Praktiken. Und natürlich  ist  für die „Pandemials“ die Sache mit dem  unkomplizierten Kennenlernen in einer Bar mit anschließendem One-Night-Bumsen auch nicht  einfacher geworden. Und in bestehenden Beziehungen ist es wiederum so, dass zwei so intensiv aufeinander picken, dass die Spannung perdu ist. Sie und er in Jogginghose und im Homeoffice: Das ist nicht gerade  das Basislager am Libido-Mount-Everest. 

Niemand müsse eine „Sex-Machine“ sein, wenn es die aktuelle Lebenssituation gerade nicht erlaubt oder etwas in einem Menschen nach einem „Ich will nicht!“ ruft. Es gibt Lebensentwürfe, die sich davon unterscheiden.

Sex-Maschine?

Bleibt nur noch die Frage: Ist Sex wirklich alles? Dazu hat die Sexualtherapeutin Anica Plaßmann ein Buch mit dem Titel „Sexfrei“ geschrieben: Weil es okay ist, keine Lust zu haben. Sie sieht sich vielen Menschen und Paaren gegenüber, die ihre Lustlosigkeit mit dem Gedanken verknüpfen, dass etwas nicht mit ihnen stimme. Die Autorin will die Idee sexueller Abstinenz enttabuisieren, weil es wichtig ist, dass jeder so leben kann, wie es für ihn passt und wie es ihn erfüllt. Dazu gehört auch ein Leben ohne Sex-Druck – abseits dessen, was uns permanent vorgebetet wird. Niemand müsse eine „Sex-Machine“ sein, wenn es die aktuelle Lebenssituation gerade nicht erlaubt oder etwas in einem Menschen nach einem „Ich will nicht!“ ruft. Es gibt Lebensentwürfe, die sich davon unterscheiden. „Der Mainstream ist pro Sex. Damit wir uns in diesem Punkt recht verstehen: Nicht jedes Anderssein und nicht jede Abweichung vom Mainstream muss meiner Meinung nach beurteilt oder von Vorbehalten befreit werden. In der Frage der Sexfreiheit aber ist es dringend an der Zeit, weil sie eine Ausdrucksmöglichkeit von Normalität ist. Zahlenmäßig. Qualitativ. Unverzichtbar. Diese Variante muss zulässig sein, wenn wir eine frei gewählte Sexualität wollen“, schreibt sie.

 

Die abstinente Lebensart sei manchmal eine Frage des Selbstbewusstseins, des Standings, des Zu-sich-Stehens. Kein Grund, Minderwert zu empfinden oder dass man falsch sei. Tatsächlich gibt es viele Gründe und Motive für Sexfreiheit. Da sind jene, denen eigentlich nichts fehlt, weil ihnen was anderes mehr Erfüllung schenkt. Manche warten. Auf die richtige Lebensphase, den idealen Partner. Zudem erleben manche Menschen körperliche oder physische Beeinträchtigungen, die ihnen das entspannte Erleben von Sex verunmöglichen. Von Krankheiten bis Stress. Mitunter beeinflussen Medikamente die Libido so, dass kaum mehr etwas von ihr übrig bleibt. Oft sind es Hormonveränderungen. Oder Sorgen, die entspannte Lust verhindern. Dazu kommen unterschiedliche sexuelle Skripte – also die Art und Weise, wie wir im Laufe des Lebens „gelernt“ haben. Umso wichtiger ist es, sich nicht von einem „Must-do“ stressen zu lassen. „Schauen Sie sich an, was Ihnen wirklich in Zusammenhang mit Sex passiert (ist) und wie gut oder schlecht sich das anfühlt; körperlich wie emotional. Dabei und auch danach. Und lassen Sie nicht gelten, was darüber gesprochen oder gezeigt wird. Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung“, schreibt Plaßmann. Richtig. Es gibt keine Verpflichtung zu Sex, niemand muss „fügsam“ sein.

Sex tut trotzdem gut

Keine Missverständnisse: Sex soll niemals „verdammt“ werden, dafür ist er viel zu schön, als wesentlicher Teil des Lebens. Sex hilft, sich zu entspannen, gut zu schlafen, gegen Stress. Er kann auch das Immunsystem „boostern“. Und dennoch gibt es Phasen oder Umstände im Leben, in denen es  okay ist, keinen Sex zu haben.  Dann entspannt man sich halt beim Spazieren und findet andere Anti-Stress-Strategien.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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