Gabys Kolumne: Sex in der Freizeit

Warum Ansprüche das Sexleben retten – oder ruinieren

Persönlichkeit picky = Bett voll. Profil picky = Bett leer. So einfach ist die neue Dating-Mathematik – und sie trifft Männer wie Frauen gleichermaßen.

Spielarten der Liebe gibt’s wie Sand am Meer – auch in der Tierwelt. Männliche Mormonengrillen sind da nicht besonders zimperlich: Sie haben Sex mit allem, was gerade vorbeihüpft. Pfauenhennen hingegen machen’s kompliziert. Sie warten, bis Mr. Right mit einer so prächtigen Federkrone auftritt, dass er beim Balzen beinahe einen Bandscheibenvorfall bekommt. Evolutionsbiologen vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung haben jüngst gezeigt: Wie wählerisch Tiere sind, hängt davon ab, wie viel Zeit und Energie sie in die Partnersuche investieren können. Wer nur kurz lebt, kann sich keine komplizierte Auswahl leisten, das sollte ruckizucki gehen. Wer lange pausieren muss – wegen aufwändiger Nachwuchsaufzucht oder schlicht leerer Spermareserven – schaut lieber genauer hin.

Wer weiß, was er will, wirkt selbstbewusst und attraktiv. Wer hingegen im digitalen Katalog die Nase rümpft, bevor überhaupt ein erstes „Hallo“ formuliert wurde, blockiert sich selbst.

Und wir Menschen? Wir stehen irgendwo zwischen Grille und Pfau und haben uns das Kennenlernen noch zusätzlich verkompliziert, indem wir es in eine „Dating App“ gesteckt haben. Dort kann man sich die Finger wundswipen, ohne je jemanden zu treffen. Passend dazu hat eine neue Studie in „Archives of Sexual Behavior“ ein paradoxes Ergebnis geliefert: Wer im echten Leben klare Standards formuliert („Humor, bitte keine Astralreisen“) hat mehr Sex. Wer beim Swipen hingegen jedes zweite Profil wegklickt, weniger. Mit anderen Worten: Persönlichkeit „picky“ = Bett voll. Profilbild „picky“ = Bett leer.

Ich weiß, wer ich bin

Das ist insofern überraschend, als viele dachten, wählerisch zu sein, würde immer den Spaß bremsen. Doch offenbar gilt: Wer weiß, was er will, wirkt selbstbewusst und attraktiv. Wer hingegen im digitalen Katalog die Nase rümpft, bevor überhaupt ein erstes „Hallo“ formuliert wurde, blockiert sich selbst. Menschen, die ihre „Must-haves“ benennen, strahlen Klarheit aus, was charmant und erotisch wirken kann. Motto: „Ich weiß, wer ich bin und was ich suche.“ Am Ende fängt also, wie so vieles, bei einem selbst an, wie Bell Hooks in ihrem Buch „All About Love“ schrieb: „Um einen Partner kritisch beurteilen zu können, müssten wir in der Lage sein, auch uns selbst kritisch zu betrachten – unsere Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte. … Nur wenige von uns bewerten einen potenziellen Partner mit derselben Objektivität und Klarheit, mit der wir ein Haushaltsgerät oder ein Auto auswählen.“

Frauen können das ein bisschen besser, weil sie in patriarchalen Strukturen lernten, präziser zu unterscheiden: Wer ist gefährlich, wer verlässlich, wer bringt mir im Worst Case Ärger oder eine Karriere als Alleinerzieherin? Selektivität war überlebenswichtig, daher entwickelten sie ein feineres Gespür für Standards. Während Männer historisch häufiger nach der Quantität gingen („Mormonengrille“). Heute bedeutet das nicht, dass Frauen automatisch die besseren Partner-Checkerinnen sind, aber sie haben kulturell wie biologisch stärker verinnerlicht, dass es sich lohnt, bewusst zu wissen, was man will. Wer das nicht weiß, läuft Gefahr, ewig zu swipen oder sich in halbherzigen Beziehungen zu verheddern. 

Und nein, das ist kein „Frauending“ – die Studie zeigt klar: Sowohl Männer als auch Frauen profitieren davon, Ansprüche zu formulieren, anstatt sich in der Bilderflut zu verlieren. Evolutionär betrachtet ist es eine klassische Gratwanderung: Zu wenig Auswahl, und man endet wie die Mormonengrille, die es mit jedem probiert. Zu viel Auswahl, und man wird zur Pfauenhenne, die irgendwann allein mit ihrem Ideal dasteht. Am Ende ist die Frage daher nicht nur, ob man wählerisch ist, sondern wie und warum. Es kann über eine einsame Nacht mit Netflix oder ein erfülltes Sexleben entscheiden.

Kinotipp.

Der passende Film zum Thema: In „Materialists. Was ist Liebe wert“ erzählt die  Regisseurin Celine Song auf humorvolle Weise von der Komplexität moderner Beziehungen in Zeiten optimierter Partnersuche. Dabei ist eine junge, ehrgeizige Partnervermittlerin (Dakota Johnson) in New York hin- und hergerissen zwischen ihrem perfekten Traummann und ihrem alles andere als perfekten Ex. Mit dabei: Chris Evans, Pedro Pascal. 

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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