Weihnachten: Alles, nur nicht perfekt

Der Heilige Abend naht, der Erwartungsdruck steigt: Nur keine Fehler zum Fest! Aber was, wenn der Christbaum schief ist, der Braten zäh, der Wein stoppelt? Dann gibt’s nur eines: Loslassen! Von überhöhten Idealen und unnötigem Stress.

Wie geht Weihnachten, fragt diese innere Stimme. Hallo? Hör dich um, konsultiere den Flachbildfernseher deines Vertrauens. Weihnachten geht, wie es uns die Werbewelt suggeriert: Die Kinder sind adrett, pausbäckig und nur angepatzt, wenn das richtige Waschmittel nicht zur Hand ist. Menschen sehen einander tief in die Augen, nippen an Punsch und sind in ihre Wollschals verliebt. Paare in Fäustlingen und Hauben stapfen durch Zauberwälder und denken, sie hätten das Christkind gesehen. Wenig später, dieser Weihnachtsfilm mit Frauen und Männern, die einander exakt in jenem Moment küssen und glücklich in die Winternacht entschwinden, wenn dicke Flocken vom Himmel schweben. Der Schnee knirscht, dicke Rauschengel erlassen allen Weltenbürgern ihre Sünden, irgendwo duftet es nach Äpfeln und Zimt. Schöne, perfekte, weiße Weihnachtswunderwelt. In diesem Geiste sollte auch das Fest funktionieren, die Erwartung ist hoch.

So viel Anstrengung, so ein Flop!Die Floristik harmoniert mit dem Schimmern der Servietten. Die Weihnachtsgans ist knusprig, aber nicht trocken. Das Rotkraut, selbstverständlich selbst gemacht, ist bissfest, muss aber nach Art der Großmutti schmecken. Der kredenzte Rotwein – nach Cassis und Brombeere duftend – beschert uns den Rest. Das Geschenkpapier Ton in Ton mit dem Goldrotsilber-Rausch des Christbaums, darunter kleiner und großer Luxus. Übermaß, vielleicht nicht immer abgestimmt auf die Beschenkten, aber Hauptsache „wertig“. Und dann dieser Baum, glänzend, gediegen, gefallsüchtig.

Frohe Weihnachten, zum Wohl. Auf das vollendete Fest. „Das Universum lässt keine Perfektion zu“, ein Satz von Stephen Hawking, der mir an jenem Christtag nach jenem Heiligen Abend in den Sinn kam, an dem alles schiefgelaufen war. Dabei hätte es makellos sein müssen, so einwandfrei wie ich geplant und alles vorbereitet hatte. Doch es passierte das Unberechenbare. Der Baum blieb schief, weil ihn sich die Natur als schrägen Typen ersonnen hatte. Die Gans war außen weich, innen zäh. Der Rotwein schmeckte mehr nach Fass als nach Cassis. Das Soufflé entpuppte sich als zerfallende Zwerggalaxie. Und ich musste weinen. So viel Anstrengung, so ein Flop.

Im Rückblick wurde mir klar, dass ich auf mich selbst hereingefallen war. Auf meinen nagenden, kindlichen Wunsch, mich in einer perfekten Weihnachtswunderwelt zu inszenieren, in der kein Fehler Platz hat. Pünktlich zu jedem ersten Advent verlor ich mich in glitzernde Festlichkeits-Wolkenkuckucksheime – einer illusorischen „pränatalen Zeit“, wie Gerhard Polt den Advent nannte. Ich verfasste To-Do-Listen aus überhöhten Erwartungen, fiebrigem Fest-Delirium und der Vision, es diesmal noch besser zu machen. Von Leichtigkeit keine Spur. Und nun die Frage: Warum? Warum versehen wir das Fest der Liebe mit so viel Druck? Wo’s dafür keinen Orden gibt und keine Garantie für einen Platz im Himmel.

Das Ideal ist etwas, das wir uns selbst verordnen, alle Jahre wieder, angelehnt an äußere Bilder und Klischees. Ich wusste, das musste aufhören. Seither feiere ich Weihnachten als Fest der Gemeinsamkeit mit Lieblingsmenschen, ohne allzu überhöhte Ansprüche. Denn wer immer versucht, alles richtig zu machen, verpasst vielleicht die wichtigsten und schönsten Momente dieser besonderen Zeit: Miteinander zu lachen, zu weinen, das Herz sprechen zu lassen, sich aneinander freuen.

In diesem Sinne: gelassenes Fest!

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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