Kolumne

Und tatsächlich stammt er vom Wolf ab

Warum es zuweilen schwer sein kann, unbestrittene Erkenntnisse der Zoologie zu glauben

Dass der Haushund vom Wolf abstammt, ist unbestritten – und mutet wie hanebüchener Humbug an, wenn man unseren Wauwau betrachtet. Opas Hühner stupst er zärtlich mit der Schnauze an und erschrickt, wenn sie aufflattern. Erschnuppert er Zwieback, winselt er, als hätte er Beute gewittert. Als ob er kein vollbefelltes Pelzknödel, sondern ein Nacktmull wäre, pflanzt er seinen Wohlstandshundebauch ausschließlich auf komfortablen Unterlagen. Unser Hund glaubt, dass er auf allem, was länger als drei Sekunden am Boden liegt, ruhen darf: Egal ob Herrchens von der Sessellehne gerutschter Kaschmirpulli oder ein vom Garderobenhaken geglittener Daunenmantel. Müsste er in der Wildnis schlafen, würde er wahrscheinlich heulen wie ein Wolf.

Als wir noch in einer Stadtwohnung lebten, merkte man ihm seine wölfische Abstammung zuweilen an. Wer die Glocke betätigte, wurde schwanzwedelnd erwartet. Wer sich nicht ankündigte, der wurde von einem wütend bellenden, knurrenden Raubtier gemeldet. Mittlerweile wohnen wir in einem Häuschen „under construction“. Mit dem Einbau eines Gartentürschlosses ließen wir uns Zeit: Wir hatten ja unseren Wachhund, der alle verjagen wird, die unerlaubt das Grundstück betreten. Dachten wir…

Neulich hörte ich spätnachts von der Straße her das schrill-tiefe Gekicher hormongeladener Heranwachsender. Der Bewegungsmelder schlug an, scheinbar hatten die Nachbarsburschen als Mutprobe vereinbart, in unserem Baustellen-Garten herumzuturnen. Na wartet ihr Rotzlöffeln, dachte ich und ging davon aus, dass der Hund zähnefletschend die Stiegen hinunterrasen würde. Stattdessen knurrte er müde, hüstelte verhalten und schaute gequält zum Stiegenabsatz. Unser Haus ist hoch und schmal. Viele Stufen führen nach unten. Zu viele Stufen für einen müden Fellfreund. Am nächsten Tag bestellten wir das neue Gartentürschloss.

Vea Kaiser

Über Vea Kaiser

Vea Kaiser ist die Autorin der Nr.1-Bestseller „Blasmusikpop“, „Makarionissi“ und „Rückwärtswalzer“. Ihre Bücher wurden vielfach preisgekrönt und in mehrere Sprachen übersetzt. Die studierte Altphilologin lebt mit Familie am Wiener Stadtrand und schreibt für die freizeit die wöchentliche Kolumne „Fabelhafte Welt“.

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