Ein Spaziergang in Wien und das Geheimnis in der Gluckgasse

Seilers Gehen: Von der Ballgasse ausgehend über die Gluckgasse bis zur Tegethoffstrasse.

Wenn ich durch die Innenstadt gehe, bleibe ich an manchen Hausecken hängen, die gerade, weil sie so nichtssagend sind, eine interessante Geschichte zu erzählen haben. In der Ballgasse 6 zum Beispiel, im „Haus zum alten Blumenstock“, wo jetzt ein ganz gutes Thai-Street-Food-Geschäft namens „All Reis“ und das „Restaurant Bukowina“ untergebracht sind, residierte einmal eine Galerie, deren Künstler die Achtzigerjahre in Wien prägen sollten, von Peter Kogler und Franz West zu Martin Kippenberger, Otto Zitko und Herbert Brandl. Nichts mehr zu sehen.

Dort schlendere ich vorbei, gehe über den Franziskanerplatz. Das „Kleine Café“ ist nur noch ein Platz unter vielen, wo qualifizierte Einheimische und Touristen den Müßiggang pflegen. Biege in die Singerstraße ein, betrachte die Fassade des seit Urzeiten leerstehenden Friseursalons, der sich gerade erst in ein Kaffeemaschinengeschäft mit historisierendem Geschäftsportal verwandelt hat, und überquere mit schnellen Schritten den Stock-im-Eisen-Platz, um in die Seilergasse einzubiegen und das größte Gewimmel hinter mir zu lassen. Über die Plankengasse, wo ich dem Blick in die antiquarischen Schmuckgeschäfte nie wiederstehen kann, und die Spiegelgasse komme ich zur Gluckgasse, wo mit dem Gasthaus Reinthaler, das hier im Souterrain situiert ist, ein echtes Stück altes Wien konserviert wurde: inklusive Gulaschgeruch und einer Speisekarte vor der Erfindung des vegetarischen Essens, jedenfalls des panierten.

Die Fassade schräg gegenüber weckt meine Aufmerksamkeit: Was verbirgt sich hinter dieser Mauer mit den vielen blinden Fenstern? Ich versuche, am Tor etwas zu erfahren, muss mich aber mit der Information bescheiden, dass die Einfahrt Tag und Nacht freizuhalten sei. Immerhin, ein Lebenszeichen. Zwei zweistöckige Türme werden von einer nur ein Stockwerk hohen Mauer mit großer Einfahrt verbunden. Insgesamt 19 Fensterbögen, davon 14 zugemauert: So zeigt das Kapuzinerkloster aus dem Jahr 1621 uns Passanten in der Gluckgasse die kalte Schulter.

Das Kloster war gegründet worden, weil sich Kaiserin Anna und ihr Mann, Kaiser Matthias, einen Ort der Armut und der Demut in Wien wünschten, wo sie begraben werden wollten. So entstand zwischen Neuem Markt, Planken- und Gluckgasse ein ausladendes Kloster und mit ihm die gespenstisch-spektakuläre Kapuzinergruft, wo seither die sterblichen Überreste der Habsburger-Potentaten ruhen, aktuell 138 Leichen und vier Herzurnen. 1783 wurde das Kloster auf Betreiben von Josef II. verkleinert und nahm seinen heutigen Umfang an. Es diente in der napoleonischen Zeit als Mehllager. Heute leben hier zehn Kapuziner und versuchen laut Selbstbeschreibung „den Weg des Hl. Franziskus von Assisi zu gehen“. Im nahen Café Tirolerhof mache ich Pause und recherchiere. Ergebnis: Hinter der geheimnisvollen Mauer in der Gluckgasse versteckt sich kein Geheimnis, sondern – ein Blick auf Google Earth gibt Aufschluss – ein Parkplatz. Also halten Sie die Einfahrt bitte tatsächlich Tag und Nacht frei.

©Klobouk Alexandra
Die Route

Ballgasse – Franziskanerplatz – Singerstrasse – Stock-im-Eisen-Platz – Seilergasse – Plankengasse – Spiegelgasse – Gluckgasse – Tegethoffstrasse: 2.400 Schritte

Christian Seiler

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