Guido Tartarotti

"ÜberLeben": Lieber ganz als gar nicht

Ein Leben nach dem Motto "lieber halb als ganz".

Wussten Sie, dass es Menschen gibt, die ihre Pizza "bitte mit Champignons“ bestellen, diese dann aber akribisch runterklauben, bevor sie zu essen beginnen? Einer, der das seit seiner Kindheit durchzieht, erklärte mir die Vorgehensweise: "Ich liebe das Aroma und den Geschmack von Schwammerln, aber ich hasse ihre Konsistenz. Wenn man draufbeißt, sind sie nicht weich und nicht hart, nicht Fisch, nicht Fleisch.“

Ich hielte ja Pilze, die beim Draufbeißen Fisch oder Fleisch sind, für eine Themaverfehlung. Aber ich kenne auch eine Frau, die Erdäpfelsalat mit viel Zwiebel zubereitet, ihn ein paar Stunden ziehen lässt und dann die Zwiebelstücke wieder rausklaubt. "Rohe Zwiebeln sind schwer verdaulich, aber ihr Geschmack gehört in den Erdäpfelsalat“, erklärt sie mir. – Zwei Beispiele für die "Wasch mich, aber mach mich nicht nass“-Strategie. Und obwohl ich Pilze und Zwiebel sehr mag, finde ich die Strategie interessant. Sie steht für: "Lieber halb als ganz.“

Ich gehe gern einkaufen, habe aber am liebsten meine Ruhe. Sobald mich ein Verkäufer anspringt, rufe ich: "Ich schau mich nur um!“ – Das wirkt. Und ist ausbaufähig.

Ich mag  Partys, kann aber Menschenaufläufe nicht leiden (wobei "Auflauf“ in meiner Zählweise  „größer-gleich zwei“ ist). Muss das ein Gegensatz sein? Nein. Ich gehe jetzt auf Partys, volliere aber jede Small-Talk-Attacke mit: "Ich schau mich nur um!“ ab.
So macht man das heute. Man legt sich Accounts auf  Datingapps zu, sagt aber: "Ich schau mich nur um!“ Man hat eine Beziehung, ist aber fix „nicht fix zam“. Man schnuppert an der Welt, will sie aber nicht  erobern. Man kostet das Leben, pickt aber nur ein, zwei Rosinen raus. Man mag das scharfe Zwiebelaroma, will sich aber nicht die schwer verdaulichen Zwiebelstücke  einverleiben. Man möchte den Pilzgeschmack, schiebt aber die Pilze an den Tellerrand. – Nur über den Tellerrand sollte man lieber nicht schauen, denn dort lauert:  "Lieber ganz als gar nicht.“

Guido Tartarotti

Über Guido Tartarotti

Guido Tartarotti wurde, ohne vorher um Erlaubnis gefragt worden zu sein, am 23. Mai 1968 zur Mödlinger Welt gebracht. Seine Eltern sind Lehrer, und das prägte ihn: Im anerzogenen Wunsch, stets korrekt und dialektfrei zu sprechen, glaubte er bis in die Pubertät, Vösendorf heiße eigentlich Felsendorf. Das Gymnasium Perchtoldsdorf, wo es damals u. a. eine strenge Einbahnregelung für die Stiegenhäuser gab, verzichtete nach einigen Verhaltensoriginalitäten seinerseits nach der fünften Klasse auf seine weitere Mitarbeit. Also maturierte er in der AHS Mödling-Keimgasse. 1990 begann er in der KURIER-Chronikredaktion. 1994 wurde er Leiter der Medienredaktion, ein Jahr darauf auch der Kulturredaktion. Beide Positionen legte er 2004 zurück, um wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

Kommentare