"ÜberLeben": In der Hoffingerkäse
Der Soulfood-Verfall oder: Können wir noch normal miteinander reden?
Vor einigen Wochen postete eine Bekannte auf Facebook ein Foto ihres Essens und schrieb sinngemäß dazu: „Das brauche ich jetzt – warmes Soulfood für Körper und Seele.“
Mehr hat sie nicht gebraucht. Denn die Reaktionen lauteten nicht etwa „Lass es dir schmecken“ oder „Schaut großartig aus“ oder „Geht’s dir nicht so gut, kann ich dir etwas Gutes tun?“ Sondern: a) Wieso verwendest du einen englischen Begriff, sag das gefälligst auf Deutsch! b) Wie kannst du es wagen, etwas zu fressen, das nicht vegan ist, ist es dir egal, wie die armen Tiere leiden? c) Soulfood gehört den Afroamerikanern, du machst dich der kulturellen Aneignung schuldig, bist du eine Rassistin?
Und ich dachte mir beim Lesen: Das ist erstens absolut kabarettreif und großartig komisch, und zweitens unendlich traurig, denn es beweist, dass wir Menschen definitiv zu blöd sind, in „sozialen“ Medien miteinander ohne Auffahrunfälle mit Blech- bis Personenschäden zu kommunizieren.
Es ist hoch an der Zeit, dass wir alle wieder aus dem Lockdown herauskriechen, uns die Haare kämmen und in der echten Welt miteinander sprechen.
Kürzlich war es soweit: Der ganze Bekanntenkreis traf sich beim Konzert zweier alter Freunde. Sie spielten Songs der Beatles und sangen fast nicht falsch, und wir redeten. Am Anfang fiel es uns noch schwer, wir waren ziemlich aus der Übung, aber mit jedem Bier ging es besser.
Wir saßen da, tranken, aßen herrlich fette Quesadillas (Huch! Kein deutsches Wort, nicht vegan, kulturelle Aneignung!) und lernten wieder, miteinander zu reden. Und es war ein wunderbares Gefühl.
Tags darauf fuhr ich mit leichtem Kopfweh im Gepäck nach Wien-Meidling ins Theater, und die Navi-App meines Smartphones sagte statt Hoffingergasse beharrlich „Hoffingerkäse“. Und ich dachte mir: Die hat schon recht, wir brauchen mehr Käse und mehr Hoffnung, nicht nur in der Hoffingergasse.
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