"ÜberLeben": Flieder und kurzes Leiberl

Der Frühling ist das Versprechen, das der Sommer einhalten muss. Aber immerhin riecht er gut.

Die entscheidende Frage ist ja: Wann ist Frühling?

Wenn auch gesellschaftlich gut integrierte Menschen plötzlich den Lockruf der Poesie vernehmen und durch das Aufsagen selbst verfertigter Gedichte verhaltensauffällig werden, in denen sich „Steuernachzahlung“ auf „Liebe“ reimt? Wenn man vom Wunsch getrieben ist, abwechselnd zu schlafen und Geschlechtsverkehr zu betreiben, gerne auch beides gleichzeitig? Wenn es auf öffentlichen Toiletten nach Spargel riecht?

Jeder, der schon einmal Kind war, weiß, wann wirklich Frühling ist: Wenn einem die Mutter erlaubt, zum ersten Mal im Jahr im kurzen Leiberl in die Schule zu gehen, worauf die Großmutter ruft: Kind, du verkühlst dir ja die Knochen!

Apropos Geruch. Die vielleicht sympathischste Eigenschaft des Frühlings: Er riecht gut. Der Frühling duftet nach Stracciatella-Eis, nach dem ersten gemähten Gras, nach Sonne auf blasser Haut, nach den wieder auftauenden Hundstrümmerln, vor allem aber nach Flieder. Ich gestehe: Ich kenne keinen besseren Duft als Flieder. Flieder riecht für mich nach Leben, nach Hoffnung, nach Verliebtseinwollen.

Wobei: Der Kopfpolster der Liebsten, der Brathendlstand auf dem Billa-Parkplatz und frischer Regen auf heißem Asphalt riechen schon auch gut. Warum kam noch keiner auf die Idee, diese Aromen als Duftkerzen anzubieten?

Bärlauchalarm!

Der Frühling bringt aber auch den Bärlauch mit sich, dieses satanöse Kraut, das mit seinem penetranten Schweißfuß-Aroma jedes Gericht in Sondermüll verwandelt. Wer ist eigentlich auf die seltsame Idee gekommen, dass man alles, was im Wald wächst, auch essen muss? Wann essen wir auch Steine, Blindschleichen und weggeworfene Kühlschränke?

Der Bärlauch heißt übrigens Bärlauch, weil der Bär nach dem Winterschlaf Bärlauch frisst. Er tut dies nicht gern, sondern weil er damit seinen Darm nach monatelanger Untätigkeit wieder auf Betriebstemperatur bringen will.  Der Bärlauch ist für ihn ein  Abführmittel. Ich warte darauf, dass der erste Bär im abendlichen Werbefernsehen auftritt und sagt: „Früher litt ich oft unter hartem Stuhlgang. Und immer diese Blähungen! Doch jetzt habe ich Bärlauch forte entdeckt ...“ Wer weiß, vielleicht ist ja Bärlauch auch ein Angebot für die Selbstentwurmer-Szene?

Was ich am Frühling am meisten mag: Er ist nicht mehr Winter. Was ich am Frühling nicht mag: Er ist noch nicht Sommer. Ich bin im Mai geboren, aber wirklich wohl fühle ich mich nur im Sommer. Meine liebste Jahreszeit heißt Juli: Erst wenn es mehr als 30 Grad hat, komme ich auf Betriebstemperatur, dann möchte ich Sport betreiben, Menschen treffen, lachen und singen, tanzen und springen.  20 Grad dagegen empfinde ich nicht als warm, sondern als unangenehm kühl.

Ich bin aber bereit, den Frühling als Straße Richtung Sommer zu akzeptieren. Er bemüht sich, er kann ja nichts dafür, dass er nicht genug Kraft hat. Der Frühling ist für mich das Versprechen, das der Sommer einhalten muss.

Anders gesagt: Ich gehe auch heute noch gerne im kurzen Leiberl in die Schule (ich muss  noch die Mutter fragen, ob ich schon darf). Aber noch lieber gehe ich gar nicht in die Schule, sondern liege ganz ohne Leiberl im Bad.

 

 

Guitar Solo

Guido Tartarotti spielt sein neues Kabarettprogramm „Guitar Solo“ am 31. März im Casanova und am 1. April im Theater am Alsergrund in Wien.

Guido Tartarotti

Über Guido Tartarotti

Guido Tartarotti wurde, ohne vorher um Erlaubnis gefragt worden zu sein, am 23. Mai 1968 zur Mödlinger Welt gebracht. Seine Eltern sind Lehrer, und das prägte ihn: Im anerzogenen Wunsch, stets korrekt und dialektfrei zu sprechen, glaubte er bis in die Pubertät, Vösendorf heiße eigentlich Felsendorf. Das Gymnasium Perchtoldsdorf, wo es damals u. a. eine strenge Einbahnregelung für die Stiegenhäuser gab, verzichtete nach einigen Verhaltensoriginalitäten seinerseits nach der fünften Klasse auf seine weitere Mitarbeit. Also maturierte er in der AHS Mödling-Keimgasse. 1990 begann er in der KURIER-Chronikredaktion. 1994 wurde er Leiter der Medienredaktion, ein Jahr darauf auch der Kulturredaktion. Beide Positionen legte er 2004 zurück, um wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

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