Guido Tartarotti

"ÜberLeben": Ein Hoch auf die Langeweile

Erwachsene halten Fadesse nicht gut aus. Sie widerspricht dem Leistungsprinzip.

Wir sitzen in Lienz in unserer Ferienwohnung, der Regen prasselt aufs Dach und uns ist fad. Wir sind nach Lienz gefahren, um Klettersteige zu gehen und Tennis zu spielen, und beides geht nicht, weil es seit Tagen regnet.

Ich glaube, Erwachsene halten Langeweile nicht gut aus. Langeweile widerspricht dem Leistungs- und Effizienz-Denken des Erwachsenenlebens. Langeweile muss sofort befüllt werden, mit Aktivitäten jeder Art, vor allem mit solchen, die als „sinnvoll“ gelten. Wir wissen, wir müssten uns jetzt eine Ausstellung anschauen, aber darauf haben wir wirklich keine Lust.

Als ich ein Kind war, war mir oft langweilig. Und ich bilde mir ein, ich habe es genossen. Ich war gut darin, nichts zu tun. Und wenn mir das Nichtstun zu viel wurde, habe ich die Spielbretter meiner Eltern aus dem Kasten geholt und mit Figuren aus Schach, Dame und Mensch-ärgere-dich-nicht neue Spiele erfunden, die ich dann gegen mich selber gespielt habe. Ich gestehe, es ging dabei meistens um blutige Schlachten mit grausamen Kämpfen. So was hat mir als Kind gefallen. Oder ich habe aus Büchern und Sesseln Sprungschanzen für meine Matchbox-Autos gebaut.

Auch jetzt spielen wir, um die Langeweile zu vertreiben. Wir spielen Stadt-Land-Fluss mit extra blöden Kategorien. Zum Beispiel Todesart mit B: Beim Kacken ins Klo gefallen, sich aus Versehen selbst runtergespült und im Kanal von einem tollwütigen Hai gefressen worden.

Am Abend gehen wir ins Kino. Drei Stunden „Oppenheimer“ sind besser als drei Stunden Langeweile. So verzweifelt, dass wir uns „Barbie“ anschauen würden, sind wir nicht.

Aber selbst in den schlimmsten Stunden der Langeweile finden wir Trost in dem Wissen: So fad, wie uns bei den Salzburger Festspielen in der Wandertag-auf-der-Drehbühne-Inszenierung von „Nathan der Weise“ war, wird uns nie wieder im Leben sein.

Guido Tartarotti

Über Guido Tartarotti

Guido Tartarotti wurde, ohne vorher um Erlaubnis gefragt worden zu sein, am 23. Mai 1968 zur Mödlinger Welt gebracht. Seine Eltern sind Lehrer, und das prägte ihn: Im anerzogenen Wunsch, stets korrekt und dialektfrei zu sprechen, glaubte er bis in die Pubertät, Vösendorf heiße eigentlich Felsendorf. Das Gymnasium Perchtoldsdorf, wo es damals u. a. eine strenge Einbahnregelung für die Stiegenhäuser gab, verzichtete nach einigen Verhaltensoriginalitäten seinerseits nach der fünften Klasse auf seine weitere Mitarbeit. Also maturierte er in der AHS Mödling-Keimgasse. 1990 begann er in der KURIER-Chronikredaktion. 1994 wurde er Leiter der Medienredaktion, ein Jahr darauf auch der Kulturredaktion. Beide Positionen legte er 2004 zurück, um wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

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