Kaubonbons mit Melatonin: Warum der Hype gefährlich sein könnte

Harmlos aussehendes Naschzeug mit gefährlicher Wirkung: Vor allem für Kinder sind die bunten Bärchen verlockend.

Pastellfarbene Dosen, dazu kleine Wolken, Sterne und Teddys am Etikett: Kaubonbons mit Melatonin werden seit einiger Zeit als effektive Einschlafhilfen gepriesen. Sogar für Kinder.

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Melatonin ist ein körpereigenes Hormon, das den Schlaf-Wach-Rhythmus mitreguliert. Es beeinflusst also, wann wir müde werden. Besagte Nahrungsergänzungspräparate enthalten das Hormon allerdings in potenziell gefährlich hoher Dosierung, wie US-Forschende im Zuge einer neuen Studie nun aufdecken konnten.

Exorbitant hohe Mengen

Für die Untersuchung, die vor wenigen Tagen in der Fachzeitschrift JAMA veröffentlicht wurde, schickten die Forscher 25 Produkte, die als Melatonin-Gummibärchen gekennzeichnet waren, an ein externes Labor, um den Melatonin-Gehalt und andere Substanzen testen zu lassen.

"Ein Produkt enthielt 347 Prozent mehr Melatonin, als auf dem Etikett angegeben war", wird Ernährungsmediziner und Studienautor Pieter Cohen von der Cambridge Health Alliance in Somerville, Massachusetts, in einem CNN-Artikel zu den Ergebnissen zitiert.

Die harmlos wirkenden Bärchen könnten zudem Inhaltsstoffe enthalten, die gar nicht ausgewiesen werden. Cohen: "Eines der Produkte, auf dem Melatonin als Inhaltsstoff angegeben war, enthielt überhaupt kein Melatonin. Dafür aber Cannabidiol." Cannabidiol, kurz CBD, ist ein Bestandteil der Hanfpflanze. Dem Wirkstoff werden entzündungshemmende Eigenschaften sowie schlaffördernde und schmerzstillende Wirkungen nachgesagt.

Keinesfalls in Kinderhände

Die neue Studie ergab massive Mängel bei der Kennzeichnung: 88 Prozent der Gummibärchen waren ungenau beschriftet. Nur drei enthielten eine Melatoninmenge, die nicht mehr als zehn Prozent von dem abwich, was auf dem Etikett angegeben war, so Cohen, der sich seit Jahren mit der ungültigen Kennzeichnung von Nahrungsergänzungsmitteln beschäftigt. 

Sowohl die versteckten, teils hoch dosierten CBD-Zusätze als auch die rauen Mengen an Melatonin seien vor allem für Kinder gefährlich, warnt Kinderärztin Collette Breuner vom Seattle Children’s Hospital an der University of Washington gegenüber CNN. "Es gibt keine Daten, die die Verwendung von CBD bei Kindern unterstützen", so Breuner, der nicht an der aktuellen Studie beteiligt war.

Zu den Nebenwirkungen von Melatonin bei Kindern zählen unterdessen Schläfrigkeit, Kopfschmerzen, Unruhe und vermehrtes Bettnässen. Auch schädliche Wechselwirkungen mit Medikamenten und allergische Reaktionen sind möglich. Expertinnen und Experten warnen außerdem davor, dass solche Nahrungsergänzungsmittel die hormonelle Entwicklung beeinflussen könnten.

Dass es sich dabei keineswegs um ein theoretisches Problem handelt, zeigt ein Bericht der US-amerikanischen Seuchenschutzbehörde aus dem vergangenen Jahr. Demnach ist die Zahl der Anrufe bei Giftnotrufzentralen wegen der Einnahme von Melatonin durch Kinder zwischen 2012 und 2021 um 530 Prozent rasant angestiegen. Der größte Anstieg erfolge zwischen 2019 und 2020. Bei den meisten Anrufen ging es um Kinder unter fünf Jahren, die versehentlich besagte Gummibärchen gegessen hatten, die nicht außer Reichweite des Nachwuchses aufbewahrt worden waren.

 

"Gummibärchen sind verlockend für kleine Kinder, die sie als Süßigkeiten ansehen", sagt Cohen.

Bärchen kauen statt Schäfchen zählen?

Doch wirkt Melatonin überhaupt schlaffördernd, wenn es oral eingenommen wird? Einige Studien haben ergeben, dass die Einnahme von Melatonin bei richtiger Anwendung – das heißt in kleiner Menge eingenommen, mindestens zwei Stunden vor dem Schlafengehen – hilfreich sein kann. Allerdings nur minimal. Darüber hinaus gibt keine soliden wissenschaftlichen Daten, dass Melatonin oral eingenommen einen Effekt bei Schlafstörungen hat.

Zur spezifischen Wirkung bei Kindern gibt es ebenfalls Erhebungen: Bei ihnen verkürzte Melatonin die Zeit bis zum Einschlafen um elf Minuten bis 51 Minuten. "Es handelte sich jedoch um sehr kleine Studien mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen", so Breuner. Ob elf Minuten es wert seien, die Gesundheit des Nachwuchses zu riskieren, sei laut Breuner dahingestellt.

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