Darf's ein Weiß- oder Rotwein sein? Oder doch lieber ein Rosé?

Ein Blick in die Zukunft: So trinken wir Wein im Jahr 2059

Die KURIER freizeit feiert ihren 35. Geburtstag! Was sich in der Weinbranche bis 2059 alles ändern wird.

Ein sonniger Morgen im September 2059. Es verspricht ein milder Tag zu werden – das, was man bei uns früher einen Altweibersommer nannte. Am frühen Morgen bricht die Mannschaft zur Weinlese auf. Um diese Zeit ist es noch frisch genug, um die Trauben unbeschadet in den Weinkeller zu transportieren – später braucht man bereits gekühlte Tankwagen, damit die Beeren nicht schon auf dem Weg frühzeitig zu gären beginnen. 

Es wäre schade um die perfekt reifen und gesunden Riesling-Trauben – es könnte wieder einmal ein Jahrhundert-Jahrgang werden, wie es die norwegische Landwirtschaftskammer schon im August verkündete, als noch nicht eine einzige Beere vom Rebstock gezupft war.

Die unzähligen önologischen Berater aus Deutschland und Österreich, die es einst in den hohen Norden zog, braucht man längst nicht mehr. Damals, vor mehr als drei Jahrzehnten, als die beiden Nachbarländer zu den führenden Riesling-Nationen zählten. Inzwischen ist man in Norwegen selbst Meister, hier in Kristiansand am 58. Breitengrad beherrscht man Riesling wie nirgendwo sonst in Skandinavien. Letztlich ist auf die KI mehr Verlass als auf all die Besserwisser aus vergangenen Epochen.

Wo der Wein wohnt 

Vor 40 Jahren hat man norwegische Neowinzer noch ausgelacht, als sie die ersten Versuche mit Weinbau unternahmen. "Klimawandel-Träumer"hatte man sie damals genannt. Zu kalt, zu regnerisch, zu stürmisch sei es hier, das würde nie was werden. Anfangs hätten sie ja selbst noch gezweifelt, ob der Granitboden hier wirklich geeignet für Wein sei. Es sollte ein Langzeit-Experiment werden. Doch dann ging alles schnell, sehr schnell. Heute sind Norwegens Top-Rieslinge in den besten Gourmet-Adressen weltweit gelistet. Auch in England, einer der führenden Weinnationen Europas, ist man guter Dinge. 

Was vor Jahrzehnten mit ein paar belächelten Schaumweinen begann, entwickelte sich zur ganz großen Nummer: Die besten Häuser der Champagne haben sich im Süden Englands eingekauft, dort wo es die gleichen Kreideböden gibt wie in der ehemals berühmten französischen Schaumweinregion. Inzwischen hat sich das Anbaugebiet über die gesamte britische Insel ausgebreitet. Südlich von London wachsen nunmehr nicht nur die elegantesten, sondern auch die teuersten Burgunder

Unter Sammlern sind sie heiß begehrt, auf Auktionen erlangen sie Rekordpreise. Allein die zahlreichen Fälscher sind ärgerlich. Auch in unseren Breiten hat man sich inzwischen mit den tropischen Temperaturen arrangiert, in der Wachau pflanzt man mehrheitlich Merlot, große Gewächse aus steilen Terrassenlagen – üppig und barock und perfekt zur Renaissance der Escoffier-Küche, mit Butter bis zum Abwinken und dicken Saucen.

Gottlob konnte man auch den Grünen Veltliner retten, der nunmehr dank adaptierter Klone im Salzburger Hochgebirge prächtig gedeiht und als "Alpin-Veltlin" zum Exportschlager wurde. Insbesondere der "Hochkönig Almrausch", der "Sonnblick Edelweißer" und "Großvenediger Gletschereis" überzeugen die heimische und chinesische Fachpresse. 2059 wird wohl schon vor der Lese als Jahrhundertjahrgang in die Geschichte eingehen.

Christina  Fieber

Über Christina Fieber

Christina Fieber kommt aus Salzburg und arbeitet als freie Weinjournalistin in Wien.

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