
"Aperol Spritz war gestern": Aber stimmt das wirklich?
Der Sommer geht ins Finale. Und wieder war der Aperol Spritz der Star. Dabei wird jährlich ein Abgesang auf den Cocktail angestimmt. Was ihn so unverwüstlich macht.
Jetzt aber wirklich: Dieses Getränk macht heuer dem Aperol Spritz Konkurrenz. So oder so ähnlich titeln die Medien jedes Jahr pünktlich zum Sommer.
Nur – der Sommer neigt sich, leider, dem Ende zu. Und was ist nun mit „Aperol war gestern“? Fehlanzeige. Er steht da wie eh und je: leuchtend orange, in bauchigen Gläsern, mit Eiswürfeln, ein klitzekleiner Hauch Bitterkeit und süß wie Ferienpostkarten von den Liebsten.
Unverwüstlich. Kein pinker Newcomer, kein blutroter Bitterschnaps, kein zitronengelber Likör mit Raumduft-Aroma konnte ihm bis jetzt das Wasser reichen – trotz vieler PR-Feuerwerke und Pop-up-Bars.
Barlegende Charles Schumann sagte den Aperol Spritz tot
Und auch Barlegende Charles Schumann sagte schon im Jahr 2016 (!) zum Icon-Magazin der Welt: „Der Hugo hat dem Aperol Spritz den Rang abgelaufen“. Heute wissen wir: So ein Holler!
Und dass die New York Times 2019 verkündete, der Drink sei „over“? Zu süß und höchstens für Instagram-Fotos geeignet? Geschenkt. Die New Yorker trinken ihren Spritz noch immer mit Hingabe – und zahlen dafür auch gern mal 20 Dollar.
Und da kommt er – wie etwa am neu gebauten Pier nahe der Wall Street – noch nicht mal aus dem Jumbo-Weinglas, sondern aus dem ordinären Plastikbecher. Gut, ein Blick auf den East River ist immerhin drin.
Laut International Cocktail Report ist der Aperol Spritz der achtmeistverkaufte Cocktail weltweit. Und die USA, ursprünglich eher ein Hort harter Getränke, ist der drittgrößte Markt für Aperol. Der Trend geht hin zu weniger Alkohol.
Darum ist der Aperol Spritz ein Erfolgsprodukt
Ist auch kein Wunder. „Aperol ist farblich auffällig, geschmacklich ausgewogen und hat einen moderaten Alkoholgehalt – das spricht viele Menschen an“, erklärt Camilla Cisterna, Marketing Managerin Campari Österreich.

Die Marketing-Managerin von Campari, Camilla Cisterna.
©Adrian AlmasanAperol Spritz eckt nicht an, er ist quasi die Taylor Swift unter den Getränken. Nicht falsch verstehen: Das ist nicht negativ. Die unterhält eine Unmenge an Menschen und muss sich keine Sorgen um ihre Pension machen
Aperol ist Camparis erfolgreichste Marke
Und während Kritiker noch über Zuckergehalt und Zielgruppen-Homogenität die Nase rümpfen, macht der Konzern Kasse. Erst im Vorjahr ließ die Campari-Gruppe verlauten, Aperol habe sein Wachstum binnen eines Jahrzehnts verfünffacht. Fünfmal so viel Dolce Vita und Aperitivo, fünfmal so viel Orange im Glas. Keine Marke im Portfolio läuft besser.
Also rüstete man im italienischen Werk Novi Ligure unlängst die Maschinen um: Eine neue Abfüllanlage wurde installiert, damit künftig nicht nur 360, sondern stolze 460 Millionen Flaschen (ein davon wesentlicher Teil Aperol) jährlich vom Band kullern.
Wien und München waren Impulsgeber für den Erfolg. Sie haben starke kulinarische Szenen und ein Lebensgefühl, das mit dem Aperitivo-Gedanken harmoniert.
Die Einfachheit der Zubereitung – zwei Teile Likör, drei Teile Prosecco, Soda-Spritzer, viel Eis und Orange – war der Verbreitung sicher nicht abträglich. Aber das alleine kann es nicht sein, andere Spritz-Cocktails sind auch watscheneinfach zu mixen.
Die Erfolgsgeschichte ist heute ein Fall für das Marketing-Lehrbuch. Denn lange war Aperol nur ein lokaler Player. Man sagt, ganze sieben Jahre sollen die Brüder Silvio und Luigi Barbieri an ihrem Rezept geschraubt haben – ein bisschen Bitter hier, ein Schwung Kräuter da. Bis sie 1919 auf einer Messe in Padua endlich ihren Aperol aus Rhabarber, Chinarinde, gelbem Enzian, Bitterorange und aromatischen Kräutern präsentierten. Ein orangefarbener Lichtblick, während ringsum Europa noch mit den Nachwehen des Ersten Weltkriegs kämpfte.
Die Österreicher und der Aperol-Spritz
Der Likör traf schnell den Geschmack der Italiener – leicht, frisch, ein bisschen fancy. Vor allem Damen schätzten den neuen Aperitif, der nicht gleich mit Volldampf ins Blut schoss. Und irgendwann, in den 50ern, kam jemand auf die Idee, das Ganze mit Schaumwein und Soda aufzugießen. Die Mischung war nicht neu – den gespritzten Wein hatte man sich einst von den Österreichern abgeschaut. Die vertrugen die kräftigen venezianischen Weißweine nicht. Die Österreicher machten sich aus dem Staub, der Spritz blieb. Und mit Aperol klang das nochmals besser.
Als die Campari-Gruppe 2003 Aperol für vergleichsweise wenig Geld übernahm, hatte man eine klare Zielgruppe im Visier: 25- bis 34-Jährige. Der Preis wurde leicht angehoben – um den Likör edler wirken zu lassen. Statt Longdrinkgläsern setzte man auf große, elegante Weißweingläser. „Man sollte mehr Farbe sehen“, erklärte der damalige Campari-Chef Bob Kunze-Concewitz (ein gebürtiger Österreicher) dem Wirtschaftsvideoblog Was kostet die Welt.
Man erkannte zudem: Der Aperol Spritz spricht vor allem Biertrinker an – ein riesiger Markt. Wie Bier hat er wenig Alkohol, ist erfrischend, löscht den Durst – „optisch aber viel ansprechender“, so Kunze-Concewitz laut FAZ.
Bald warben MotoGP-Piloten auf ihren röhrenden Maschinen für den orangen Drink, Fußballer Wayne Rooney erklärte im Manchester-United-Trikot an der Strandbar, wie der Herr von Welt ihn genießt. Und plötzlich wurden Männer, die ihn als „Weiber-Getränk“ verspottet hatten (ja, das Wort fiel tatsächlich), beim genüsslichen Aperol-Spritz-Schlürfen gesichtet.
Ein bisschen wie in Italien
Dass Aperol Spritz so erfolgreich wurde, hat auch mit Österreich und Bayern zu tun. „Städte wie Wien und München waren wichtige Impulsgeber für den Erfolg“, sagt Cisterna – nicht nur wegen ihrer historischen Verbindungen zu Italien.
„Sie haben starke kulinarische Szenen und ein Lebensgefühl, das gut mit dem Aperitivo-Gedanken harmoniert.“ Österreich zählt nach wie vor zu den wichtigsten Märkten: „Gemeinsam mit Italien, Deutschland, Frankreich, den USA und Großbritannien gehört das Land zu den Top-sechs-Märkten für Aperol.“
Und selbst wer weder dem Geschmack noch den Marketingmanövern erliegt, kommt am Aperol-Erfolg nicht vorbei. Er hat nämlich auch einen Klassiker zurück ins Rampenlicht geholt, der zwischenzeitlich fast vergessen schien: Campari. Im Negroni und als Spritz erlebt er seit einiger Zeit ein Comeback. Cisterna: „Eine anspruchsvollere Option für Liebhaberinnen und Liebhaber bitterer Aromen.“ Die Grace Jones unter den Drinks, sozusagen.
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