Interview

Zwischen Schloss und Scheune: Die Neuerfindung des Belvedere

Direktorin Stella Rollig über die Wiedereröffnung des Unteren Belvedere, die Illusion billiger Sammlungsausstellungen und den Mut zur Leere

Zuletzt war viel von Kurskorrekturen im Kulturbereich die Rede. Doch kann ein Schiff wie das Belvedere nicht Zickzack fahren. Wann war für Sie klar, wohin es gehen muss, damit der Kurs in der kommenden Zeit stimmt?

Stella Rollig: Das ist evolutionär passiert. Wir haben 2020 beschlossen, mit erhöhter Konzentration auf die eigene Sammlung die Weichen neu zu stellen. Als wir gemerkt haben, dass das Publikum Sonderausstellungen – auch wenn sie aus der Sammlung zusammengestellt sind – mehr honoriert als eine ständige Sammlungseinrichtung, haben wir reagiert: Nach der laufenden Biedermeier-Ausstellung wird es nun wieder eine Präsentation unter dem Gesichtspunkt „lebensnahe Malerei“ geben. Im Belvedere 21 setzen wir noch mehr auf Veranstaltungen und Kooperationen. Die Ausstellung „Dalí – Freud. Eine Obsession“ haben wir schon einmal, von 2020 auf 2022 verschoben, damals denkend, dass wir auf der sicheren Seite sind. Da haben wir uns getäuscht. Die Ausstellung soll jetzt Ende Jänner eröffnen. Wir können sie wegen der Leihgaben nicht weiter verschieben.

Stella Rollig, Direktorin des Belvedere

©Belvedere/Ingo Pertramer
Können wir uns Blockbuster-Ausstellungen mittelfristig abschminken? War Modigliani in der Albertina der letzte Elefant seiner Art?

Nein, sicher nicht. Man kennt mich zwar und weiß, dass ich nicht der größte Fan solcher Präsentationen bin – ich finde es lohnender, Ausstellungen über Nebenwege der Kunstgeschichte zu initiieren. Ich bin mir aber sicher, dass Ausstellungen mit großen Namen und teuren internationalen Leihgaben weiter bestehen bleiben. Aber generell werden sich Laufzeiten verlängern. Das ist schon lange ein Thema. Bis jetzt haben wir fast nur positive Reaktionen darauf bekommen. Es hat kaum jemand gesagt: „Warum hängt das schon so lange“, eher: „Ich bin froh, dass ich das noch sehen kann.“

Kritik an der Besucherzahlen-Orientierung der Museen gab es lange vor der Pandemie. Wo ist das Umlenken Ergebnis finanzieller Notwendigkeit, wo geht es wirklich um das Nachschärfen der Qualität?

In mir haben Sie eine absolute Kämpferin für die Qualität forschungsbasierter Ausstellungen. Ich habe nie gesagt: „Na ja, dann hängen wir halt etwas aus der Sammlung auf“. Wenn unser Kuratoriumsmitglied Prof. Raphael Rosenberg mir als Kunsthistoriker sagt, unsere Dürerzeit-Ausstellung sei ein Meilenstein, dann macht mich das sehr glücklich. Aber wenn mir meine Wohnungsnachbarn sagen, dass sie in der Biedermeier-Ausstellung waren und dort etwas gelernt haben, geht es mir genauso. Das ist der Anspruch, den wir immer haben: Unsere Ausstellungen müssen Fachleute und das breite Publikum so begeistern, dass sie in den Köpfen bleiben.

Lügt man sich mit der Idee, dass Sammlungsausstellungen billiger zu haben sind, nicht in den Sack? Als Besucher und Kritiker sage ich: Man merkt, ob eine Sammlungsschau inspiriert ist oder nicht.

Wenn man davon ausgeht, dass so viel in den Depots hängt, das man nur herausräumen muss, kann das natürlich nicht funktionieren. Die Kunst ist, eine Ausstellung zu machen, in der Werke, die vielleicht jahrzehntelang als „Depotware“ galten, interessant werden, weil sie in neuen Zusammenhängen gezeigt werden oder eine These illustrieren. Natürlich fallen Transportkosten weg, aber man soll sich nicht täuschen: Wenn wir einen Klimt vom Oberen ins Untere Belvedere bringen, kostet das auch nicht wenig. Wir dürfen den ja nicht in der Scheibtruhe durch den Garten hinunterführen. Es darf auch kein Werk aufgehängt werden, bevor ein Zustandsbericht erstellt wurde, da ist die Restaurierung gefordert. Dann die Ausstellungsarchitektur – eine Sammlungsausstellung kann nicht liebloser gestaltet werden als eine mit Leihgaben. Es ist keineswegs so, dass das nichts kostet.

Ende Jänner eröffnet das Untere Belvedere nach dem Umbau wieder. Was ist neu?

Unser Umbau begann mit einer notwendigen Nachrüstung der Klima- und Sicherheitstechnik. Das haben wir benützt, um eine größere Überarbeitung vorzunehmen. Das große Desiderat war ein Gastronomiebetrieb, damit zusammenhängend haben wir die Wegeführung überarbeitet. In den Ausstellungsräumen hat sich sichtbar kaum etwas verändert, aber der Zugang ist anders. Wo der Kassenraum war, wird ein Café sein, der ehemalige Shop wird zum Kassenraum mit integriertem Shop, und man wird in der Sichtachse vom Rennweg durch den Ehrenhof zum Oberen Belvedere durchgehen können. Barrierefreiheit ist ebenfalls ein Thema.

©Belvedere/Lukas Schaller
Was funktioniert aus Ihrer Sicht, um weniger museumsaffinen Menschen Schwellenangst zu nehmen?

Ein probates Mittel ist das temporäre Aussetzen von Eintrittsgebühren – nur ist das nicht nachhaltig. Zwar kommt neues Publikum, doch allzu oft bleibt es beim Einmalbesuch. Was wir tun können, ist, möglichst viel mitzugeben, um die Menschen, die da waren, zu begeistern. Sie sollen sagen: Toll, das muss ich meinen Freunden erzählen. Da sind zum Einen der Inhalt und die Erzählweise von Ausstellungen ausschlaggebend und die Programme der Kunstvermittlung. Doch bei der Aufenthaltsqualität sind wir noch nicht dort, wo ich uns gern hätte. 2023 werden wir experimentieren und ein, zwei Räume im Oberen Belvedere von Kunst freilassen und Freiräume zur Verfügung zu stellen, in denen man sich ungezwungen aufhalten kann.

©Belvedere/Lukas Schaller
Ist die Tendenz von Museen, immer neue Ausstellungsflächen zu bauen, mit der Pandemie auch an ein Ende gelangt?

Ich glaube, dass Museen ganz anders gedacht werden müssen, aber selbst in meiner Position, für die ich unendlich dankbar bin, bin ich nicht in der Lage, das zu schaffen. Museen müssen viel durchlässiger und offener gebaut werden – ich war da auch ein großer Fan der Entwürfe für die viel gescholtene „Scheune“ in Berlin, das geplante Museum der Moderne. Eine Scheune ist ein wunderbarer Bau – ich bin ja auch im Weinviertel zu Hause, die schönsten Gebäude dort sind die Scheunen.

Das Belvedere wird sich da schwer umbauen lassen.

Da haben wir aber im Belvedere 21 Möglichkeiten. Das ist ein Experiment, das wir wagen wollen: 2023 wird der Hauptraum das ganze Jahr über jungen Szenen gewidmet sein, und da werden wir es noch offener, noch kollaborativer machen.

Michael Huber

Über Michael Huber

Michael Huber, 1976 in Klagenfurt geboren, ist seit 2009 Redakteur im Ressort Kultur & Medien mit den Themenschwerpunkten Bildende Kunst und Kulturpolitik. Er studierte Publizistik und Kunstgeschichte und kam 1998 als Volontär erstmals in die KURIER-Redaktion. 2001 stieg er in der Sonntags-Redaktion ein, wo er für die Beilage "kult" über Popmusik schrieb und das erste Kurier-Blog führte. Von 2006-2007 war Michael Huber Fulbright Student und Bollinger Fellow an der Columbia University Journalism School in New York City, wo er ein Programm mit Schwerpunkt Kulturjournalismus mit dem Titel „Master of Arts“ abschloss. Als freier Journalist veröffentlichte er Artikel u.a. bei ORF ON Kultur, in der Süddeutschen Zeitung, der Kunstzeitung und in den Magazinen FORMAT, the gap, TBA und BIORAMA.

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