Wiener Autorin Theresa Prammer: "Im wirklichen Leben bin ich ein Waserl"
Faszination des Verbrechens: Autorin Theresa Prammer begeistert im gesamten deutschsprachigen Raum mit ihren Wien-Krimis.
Sie ist eine der fleißigsten und erfolgreichsten Schriftstellerinnen Österreichs. Theresa Prammer brachte heuer mit "Ausgelöscht" und "Schattenriss", dem zweiten Teil ihrer Serie um ein äußerst ungewöhnliches Ermittler-Pärchen, gleich zwei Romane heraus.
Am dritten Teil schreibt sie gerade – täglich 1.000 Wörter, wie es heißt. Mit der sprach sie über ihre Arbeitsmoral, die Schwierigkeit, Klischees zu vermeiden, woher sie die Inspiration für ihre unglaublich greifbar gezeichneten Figuren nimmt – und natürlich das Böse, das in Krimiautoren schlummert. Oder vielleicht doch nicht?
"Schattenriss" ist bereits der zweite Fall für Privatdetektiv Edgar Brehm und seine Assistentin Toni Lorenz. Die beiden sind ein unglaublich sympathisches Paar – wann werden wir sie als Ermittler-Duo in einer TV-Serie sehen?
Theresa Prammer: Da gibt es ehrlich gesagt noch gar keine Anfragen. Aber ja, ich denke mir trotzdem manchmal: Wer könnte Edgar spielen?
Haben Sie da schon beim Schreiben einen bestimmten Typ im Kopf?
Ja, schon ganz am Anfang, noch bevor ich den Charakter entwickle, nehme ich mir zwei, drei Schauspieler, dazu noch zwei, drei Menschen, die ich privat oder beruflich kenne und verbinde sie optisch zu einer Person. Um mir selbst ein Bild zu machen, wie er aussieht. Das ändert sich im Lauf des Schreibens aber oft komplett. Dadurch, dass ich die Person, über die ich schreibe, eben besser kennenlerne.
Wie sah Detektiv Edgar damals aus?
Ein wenig wie Brian Cox aus Succession, nur eben jünger. Aber im Lauf der Arbeit hat er seine Züge praktisch komplett verloren, weil er charakterlich ganz anders ist. Cox ist in der Serie ja ein richtiger Unsympathler. Niki Ofczarek hatte ich auch kurz im Hinterkopf, aber der ist doch ein ganz anderer Typ. In Wahrheit kommt bei Edgar sehr viel von Onkel Kurt.
Onkel Kurt?
Ja, der Bruder meiner Großmutter. Er war Balletttänzer, schwul, groß, gut aussehend. Ich bin in den 1980ern mit ihm aufgewachsen, er hatte eine tolle, lange Beziehung zu einem anderen Mann, aber das durfte damals halt nicht öffentlich werden. Besonders wir Kinder durften uns nicht verplappern. Dabei war es eine der schönsten, nettesten Beziehungen, die ich als Kind gesehen habe. Es war wirklich bereichernd, die beiden zu erleben.
Stimmt, das war damals noch richtig schwierig. Und ist noch gar nicht so lange her ... Edgar lebt zwar in freieren Zeiten, hat aber nicht so viel Glück im Liebesleben ...
Dazu wollen wir aber noch nicht allzu viel verraten!
Stimmt. Mit Toni ist eine junge Frau an seiner Seite, die eigentlich Schauspielschülerin ist. Sie sind selbst eine profilierte Schauspielerin – wie viel von Ihnen steckt in dieser Figur?
(lacht) Das „profiliert“ nehme ich als Kompliment gern an, danke. In Toni ist gar nicht so viel von mir, wie sie vielleicht glauben würden. Aber ich habe die Zeit in der Schauspielschule wirklich sehr geliebt. Die wollte ich in einem Buch wieder aufleben lassen. Diese Zeit war für mich eine totale Befreiung nach dem Gymnasium.
Inwiefern?
Alles, was mir in der Schule vorgehalten wurde – zu fantasievoll, zu ausschweifend bei den Aufsätzen – wurde plötzlich zum Vorteil. Kreativität war gewünscht, man wurde gefördert! Also, noch einmal zu Ihrer ursprünglichen Frage: Alles, was Toni im Unterricht erlebt, wie sie auf der Schule arbeitet, was von ihr verlangt wird, das habe ich auch erlebt. Aber Toni ist, wie alle anderen Schauspieler und Lehrer, die ich beschreibe, frei erfunden.
Ist es eigentlich schwieriger, als Schauspieler in einen vorgegebenen Charakter zu schlüpfen oder als Autor selbst einen zu erschaffen?
Beides ist auf eine sehr individuelle Art schwierig. Beim Schreiben ist einem die Figur doch ein Stück näher – was eigentlich absurd ist, da man als Schauspieler ja quasi „in“ der Figur ist. Aber wenn ich zum Beispiel über Edgar schreibe, dann wohnt dieser endfünfzigjährige, schwule, grantige Detektiv in mir. Beim Schauspiel ist es doch eher so, dass ich mich für eine Rolle zur Verfügung stelle, um sie zu füllen, sie so lebendig wie möglich zu machen. Natürlich kommt sie mir dadurch auch sehr nahe – aber das ist schon ein entscheidender Unterschied.
Wenn Sie beschreiben, dass Sie Ihre Charaktere im Lauf der Zeit "besser kennenlernen", klingt das, als hätten die allerhand Freiheiten. Wie viel Eigenleben haben Ihre Figuren?
Ganz viel. Aber das ist tatsächlich ein allmählicher Prozess, weil ich sie erst richtig kennenlernen muss.
Wie darf man sich das vorstellen? Wie schreiben Sie an Ihren Büchern?
Nach dem Aufstehen schreibe ich etwa eine halbe Stunde meine „Morgenseiten“. Die kommen nicht so ins Buch, da sammle ich meine Gedanken, Assoziationen, schreibe „über“ das Buch – und da können meine Charaktere praktisch machen, was sie wollen. Da folge ich ihnen mehr oder weniger nur. Das bringe ich danach bis zum Nachmittag in Form. Mein Ziel sind 1.000 Wörter pro Tag, aber es ist schon oft so, dass am nächsten Tag nur 400 davon stehen bleiben, weil sie mir nicht gut genug scheinen.
Sie verzichten wohltuenderweise in Ihren Wien-Krimis auf Wien-Klischees. Auch auf die klassischen „Typen“ und den Schmäh, der in Krimis sonst so gern bemüht wird.
Ich versuche immer so weit weg vom Klischee zu bleiben, wie's möglich ist. Mein Bestreben ist es, aus meinen Figuren echte Menschen zu machen.
Erstaunlicherweise ist es allerdings so, dass man selber doch Menschen kennt, die 100 Prozent Klischee zu sein scheinen.
Deshalb ist es mit Klischees ja so einfach, Lacher zu erzeugen. Es sind aber natürlich meistens Menschen, die man nur oberflächlich oder gar nicht wirklich kennt. Trotzdem beschreibt man diese Personen manchmal ganz gerne, das habe ich schon auch gemacht. Aber gerade beim „Schattenriss“ hab ich mich bemüht, das ganz draußen zu lassen. Und hinter das Klischee zu schauen.
Ihr erster Roman, mit dem Sie auch gleich den Durchbruch geschafft haben, war eine Komödie. Weshalb der Richtungswechsel zum Krimi?
Es gab so eine Art Schlüsselerlebnis. In der Volksoper habe ich den Unfall einer Sopranistin mitten während einer Aufführung gesehen. Sie lief, als sie ihre Arie sang, mit voller Wucht gegen eine metallene Wendeltreppe und blieb bewusstlos liegen. Blut floss, der Vorhang ging runter, große Aufregung. Zum Glück konnte sie ihre Rolle später – sogar unter Standing Ovations – fortsetzen, aber ich hab mir gedacht: Was, wenn da jemand die Wendeltreppe absichtlich versetzt hätte, weil er auf der Bühne einen Mord begehen möchte?
Braucht man für Krimis ein eigenes Mental Setting? Wie viel kriminelles Potenzial steckt in Theresa Prammer?
Im wirklichen Leben 0,0 Prozent, da bin ich ein Waserl.
Aber Sie können sich diese Verbrechen vorstellen.
Ja, das kann ich. Aber dazu muss ich in einer wirklich sicheren Umgebung leben, dann wird es so, wie wenn man Geisterbahn fährt, weil man sich einmal gruseln will. Hätte ich diese Sicherheit nicht, würde ich mir diese Dinge gar nicht vorstellen wollen.
Hat das auch mit einer gewissen Faszination am Bösen zu tun? Oder betrifft das nur uns Leser ...
(lacht) Ich kann hier nur für mich selbst als Autorin sprechen: Es ist weniger das Böse an sich, das mich fasziniert, als der psychologische Hintergrund. Warum kommt der- oder diejenige so weit, diesen Schritt zu machen? Da gibt's ja oft viele falsche Entscheidungen auf dem Weg, die interessieren mich. Die will ich verstehen. Nicht entschuldigen, aber verstehen.
Also wann und wo jemand falsch abbiegt?
Genau. Wir treffen jeden Tag hunderttausend Entscheidungen. Und die Menschen, die ich beschreibe, biegen nicht nur einmal falsch ab, sondern immer wieder. Und ich frag mich: Warum? Weil ich glaube daran, dass die Menschheit mehrheitlich gut ist, sehr oft sehr richtig abbiegt. Was also führt manche in die andere Richtung? Mich interessieren dabei die Fehler, die falschen Entscheidungen – diejenigen, die eine Freude daran haben, wo’s also ins Pathologische – oder Dämonische – geht, bei denen steig ich aus. Die sind nichts für mich, um die kümmern sich andere Kollegen.
Das heißt, sie sind nicht nur ihren Hauptcharakteren gegenüber empathisch, sondern auch ihren Bösewichten?
Empathie ja, kein Mitleid. Aber ich muss sie verstehen, sonst wird das nichts. Prinzipiell mag ich am Krimi ja ganz besonders, dass er für mich nicht mehr – aber auch nicht weniger – als ein roter Faden ist, um den herum es Schicksale gibt, die sich entfalten, Liebesgeschichten, Dramen, alles, was das Leben spielt. Und durch diesen roten Faden werden diese Geschichten, in denen ich mich frei bewegen kann, zusammengehalten.
Kennen Sie von Anfang an den Mörder?
Ja, das ist eines der wenigen Dinge, die für mich von Beginn an feststehen. Ich weiß, was passiert, und ich weiß, wer’s war. Und warum er es getan hat. Alles andere hat Spielraum. Vieles ergibt sich auch erst, wenn ich meinen Figuren folge.
Ich wollte bei "Schattenriss" ja unbedingt wissen, was mit den beiden Teenagern passiert ist, die gleich zu Beginn verschwinden. Deren Schicksal war ihnen auch von Anfang an klar?
Nein, nicht wirklich, also nicht von beiden ...
Stimmt, wir wollen hier nicht spoilern. Nächste Frage: Was ist das Schwierigste am Schreiben eines Krimis?
Die Logik. Dass wirklich alles ineinandergreift, dass die Handlungen jedes Einzelnen – und alle äußeren Umstände! – schließlich zum Ziel führen, ohne dass man Zufälle strapazieren muss. Orte, Zeiten, Personen – manchmal erinnert mich das Schreiben ein wenig an Mathematik.
Sie schreiben bereits an einer Fortsetzung für Edgar und Toni. Wann dürfen wir damit rechnen?
Das wird noch ein bisschen dauern, im Herbst 2024.
"Schattenriss" von Theresa Prammer
"Schattenriss" von Theresa Prammer
erschienen im Haymon Verlag
468 Seiten
17,90 Euro
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